Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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      [9]Ferner, wäre der Teil, der in das Einzelding kommt, ein Ganzes und damit jedes einzelne Ding ein Ansich wie das Erste, jedes aber für sich in Abtrennung, so ergäben sich zahlreiche Erste und jedes Einzelstück wäre ein Erstes. Was sollte dann aber die Ursache sein, welche diese vielen Ersten trennt, daß sie nicht alle eine einheitliche Gesamtheit bilden? Ihre Körper gewiß nicht; denn diese Ersten können ja unmöglich die Formen der Körper sein, wenn anders auch sie jenem Ersten, von dem sie kommen, gleichen. Sind aber die genannten Teile (des Ersten), die in den Vielen sind, Kräfte von ihm, so ist erstlich nicht mehr jedes einzelne ein Ganzes. Sodann, wie sind sie, nachdem sie sich von Jenem getrennt und es verlassen haben, hierher gekommen? Denn wenn sie es denn verlassen haben, verließen sie es klärlich, um irgendwohin zu gehen. Ferner, sind diese Kräfte, wenn sie hier ins Sinnliche eingetreten sind, noch in Jenem oder nicht? Wenn sie es nicht sind, so ergibt sich die undenkbare Vorstellung, Jenes sei geringer geworden und kraftlos, da es beraubt ist der Kräfte, die es zuvor hatte. Daß ferner die Kräfte getrennt von ihren Substanzen existieren, wie wäre das möglich? Sind sie schließlich sowohl in Jenem wie anderswo, so müssen sie entweder als Ganze hier unten sein oder Teile von ihnen. Wenn Teile, so sind die übrigen Teile dort oben. Wenn ganz, so sind sie entweder hier unten als eben die, die sie dort sind, nicht geteilte, und dann ist also wiederum dasselbe überall, ohne geteilt zu sein; oder die Kräfte sind jede einzeln ein Ganzes, das zur Vielheit geworden ist, und einander gleich, so daß dann jeweils die Kraft gemeinsam mit der Substanz auftreten wird, oder es wird nur eine Kraft geben, welche der Substanz verbunden ist, die übrigen aber sind bloße Kräfte. Indessen, sowenig Substanz ohne Kraft, sowenig kann es auch Kraft ohne Substanz geben; denn die Kraft ist dort oben Existenz und Substanz oder etwas Höheres als Substanz. Wenn aber die Kräfte, die aus jenem Oberen stammen, andersartig sind, weil geringer und verdunkelt, so wie ein dunkles Licht aus einem helleren, und ebenso die Substanzen, die mit diesen Kräften verbunden sind (denn eine Kraft ohne Substanz kann man nicht zulassen), so ist erstens auch bei den Kräften dieser Art, die unbedingt einander gleichartig sind, notwendig zuzugeben entweder, daß ein und dieselbe überall ist; oder doch, wenn nicht überall, so doch allemal ein und dieselbe zusamt als Ganze, nicht geteilte, z. B. wenn sie in einem und demselben Körper ist. Und wenn dies, warum dann nicht ebenso im ganzen All? Wenn dagegen jede einzelne Kraft ins Unendliche geteilt sein soll, so wird sie auch für sich nicht mehr ganz sein, sondern durch die Teilung wird sie Unkraft sein; da sie ferner dann bei jedem andern Teil als eine andere ist, so gäbe es keine Möglichkeit der Mitempfindung (Selbstbewußtsein) mehr. Zweitens, so wie das Abbild einer Sache, etwa auch jenes schwächere Licht, abgeschnitten von dem, woher es stammt, nicht mehr ist, und wie man allgemein alles, was von einem andern her seine Existenz hat und dessen Abbild ist, wenn man es von jenem trennt, nicht mehr in der Existenz belassen kann, so können auch diese Kräfte, die von Jenem herkommen, wenn sie von Jenem abgeschnitten sind, nicht sein. Und wenn das, so muß dort, wo diese Kräfte sind, zugleich auch Jenes sein, von dem sie gekommen sind; und somit ergäbe sich wiederum, daß ein und dasselbe überall zugleich ungeteilt als Ganzes ist.

      [10]Wenn man aber einwendet, daß nicht notwendig das Nachbild von etwas an dem Urbild hängt (denn ein Nachbild könne existieren, auch wenn das Urbild fort ist, von dem das Nachbild stammt, auch könne die Wärme in dem Erwärmten noch existieren, wenn das Feuer fort ist), so werden wir erstens bezüglich des Nachbildes und Urbildes antworten: wenn man das Nachbild vom Maler meint, so hat dies Nachbild nicht das Urbild geschaffen, sondern der Maler; und von ihm ist es kein Nachbild, auch wenn einer sich selber malte; denn das, was malte, war nicht der Körper des Malers und nicht die nachgebildete Gestalt; nicht der Maler, sondern diese bestimmte Anordnung der Farben, sollte man sagen, bringt ein so beschaffenes Bild hervor. Es ist bei dem Gemälde gar nicht im eigentlichen Sinne Hervorbringung wie bei dem Nachbild im Wasser, im Spiegel oder bei Schatten; denn da hat das Nachbild seine Existenz im eigentlichen Sinne nur von dem Früheren her und entsteht von ihm aus, und hier ist es unmöglich, daß das Hervorgebrachte getrennt von ihm existiert. Daß aber dies die Weise ist, in der auch die schwächeren Kräfte von den höheren her entstehen, werden die Gegner zugeben. Zweitens, bezüglich des vom Feuer Gesagten, so ist die Wärme nicht als Nachbild des Feuers anzusprechen (man wolle denn etwa behaupten, auch Feuer sei in der Wärme enthalten; dann aber läßt man die Wärme nicht getrennt von der Feuerquelle sein). Sodann, wenn auch nicht sofort, immerhin läßt doch der erwärmte Körper nach und wird kalt, wenn das Feuer fortgeht. Wenn ferner die Gegner die abgeleiteten Kräfte erlöschen lassen, so können sie erstens nur noch das Eine unvergänglich sein lassen und müssen die Seele und den Geist vergänglich machen. Sodann aber lassen sie aus einer nicht fließenden Wesenheit Fließendes hervorgehen. Nun dürfte aber z. B. die Sonne, wenn sie an einen beliebigen Platz gesetzt verharrt, denselben Stellen dasselbe Licht spenden; wenn man sagt: nicht dasselbe Licht, so erhärtet man damit, daß der Körper der Sonne fließt. Indessen, daß das von Jenem Ausgehende unvergänglich ist und die Seelen und der ganze Geist unsterblich sind, das ist schon anderwärts ausführlicher gezeigt.

      [11]Indessen, wenn das Geistige als Ganzes überall ist, warum nimmt dann nicht alles an ihm als Ganzem teil? Und wie kann es dort ein Erstes und dazu noch ein Zweites und nach diesem noch weitere Stufen geben? Nun, man muß annehmen, daß das Beiwohnende je nach der Eignung dessen beiwohne, das es aufnehmen soll; das Seiende ist überall im Seienden und läßt es nirgends an sich selber fehlen, es wohnt ihm aber nur das bei, was beizuwohnen vermag; und so weit wie sein Vermögen reicht, so weit, nicht im räumlichen Sinne, wohnt es ihm bei; so wohnt das Durchsichtige dem Lichte bei, das Trübe aber hat nur in geringerem Grade an ihm teil. Ferner ist Erstes und Zweites und Drittes hier nach Rang und Kraft und Unterscheidung zu verstehen, nicht im räumlichen Sinne. Denn nichts hindert, daß die so unterschiedenen Stufen beisammen existieren, so wie Seele und Geist und alle Wissenschaften, die wichtigeren wie die niederen. Nimmt doch auch vom selben Objekt das Auge die Farbe wahr, der Geruch das Wohlduftende und ein anderer Sinn noch etwas anderes, da sie alle beisammen und nicht getrennt sind. So ist also das Jenseitige mannigfaltig und vielfach? Nun, dies Mannigfache ist anderseits doch einfach, und die Vielheit doch wieder Einheit; denn seine rationale Form ist einheitlich und vielfach, und alles Seiende ist eines. Denn auch das Anders ist in ihm, und die Andersheit gehört ihm an; denn zum Nichtseienden kann sie ja nicht gehören. Und das Seiende gehört zu dem Einen, das nicht abgetrennt ist von ihm; wo das Seiende da ist, da wohnt ihm auch das ihm zugehörige Einssein bei, und das Eine wieder ist an sich selber Seiendes. Denn es gibt auch ein Beiwohnen dessen, das getrennt ist. Anders wohnen die Sinnendinge dem Geistigen bei (soweit sie beiwohnen und denen sie beiwohnen), anders das Geistige sich selber; wohnt ja auch anders der Leib der Seele bei, anders die Wissenschaft der Seele, anders die Wissenschaft der Wissenschaft, wenn beide in demselben Träger sich befinden; der Leib aber dem Leibe wieder in anderer Weise.

      [12]Manchmal ertönt eine Stimme in der Luft und in der Stimme ein Wort, und ein Ohr, das gerade da ist, nimmt es auf und versteht es; stellt man nun in den leeren Zwischenraum ein anderes Ohr, so gelangt Stimme und Wort auch zu ihm, vielmehr das Ohr kommt zu dem Wort; desgleichen werden eine Mehrzahl von Augen, die auf denselben Gegenstand hinblicken, allesamt mit demselben Schaubild gefüllt, obgleich der Gegenstand sich an einem abgetrennten Ort befindet; und zwar weil das Aufnehmende hier Auge, dort Ohr war: gleichermaßen bekommt ein Ding, das es vermag, Seele, und ebenso ein Zweites, ein Drittes, und zwar von demselben her. Die Stimme, von der wir sprechen, ist überall in der Luft nicht als eine geteilte Einheit, sondern als eine überall ganze Einheit. Desgleichen hat beim Sehen die Luft, wenn sie etwa affiziert würde und die Bildgestalt an sich trüge, diese nicht als geteilte; denn wohin man auch ein Auge stelle, es erhält dort die Bildgestalt. Freilich wird diese Auffassung des Sehens nicht von jedem Standpunkt aus zugegeben; sie soll hier also nur deswegen angeführt sein, weil auch bei ihr die Teilhabe von einem und demselben ausgeht. Beim Hören aber ist es offenkundiger, daß die ganze Form überall in der Luft vorhanden ist; denn es könnte nicht jeder dasselbe hören, wenn das Laut gewordene Wort nicht an jeder einzelnen Stelle als ganzes da wäre und jedes Ohr gleichermaßen das Ganze aufgenommen hätte. Wenn also selbst hierbei keineswegs die Stimme als ganze dergestalt die ganze Luftstrecke entlang gebreitet ist, daß ihr einer Teil sich mit diesem Luftteil verbindet, ein anderer mit jenem Luftteil zugleich sich teilt, wie kann man da noch Bedenken haben, daß die Seele nicht am Körper entlang gebreitet ist und sich mit ihm teilt, sondern an jeder Stelle des Dinges, dem sie beiwohnt, zugegen