Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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Wähnen teilt, sondern allein ihre Wirksamkeit übt – und das ist Vernunft und Einsicht –, noch sich seinen Affekten unterwirft – das ist Selbstbeherrschung –, noch Furcht hat, da sie im Abstand vom Leibe bleibt – und das ist Tapferkeit –, wenn vielmehr in ihr gebietet Vernunft und Geist und das Andere nicht widerstrebt – und das ist Gerechtigkeit. Einen solchen Zustand nun der Seele, in welchem sie in der geschilderten Weise denkt (geistig tätig ist) und dabei ohne Affekte ist, kann man doch treffend als Gleichwerdung mit Gott bezeichnen; denn das Göttliche ist ebenfalls rein und seine Wirksamkeit ist von derselben Art, so daß das was ihm nachahmt eben dadurch Vernunft hat. Und weshalb ist nun nicht auch das Göttliche in diesem Zustand? Es hat überhaupt keinen Zustand, Zustand ist etwas erst der Seele Angehöriges. Auch das Denken der Seele ist ein anderes; von den Oberen denkt das eine anders als die Seele, das andere überhaupt nicht. Ist denn geradezu ‘Denken’ ein bloßes gemeinsames Wort für beide? Nein, das auch wieder nicht; sondern das Obere denkt ursprünglich, das von ihm Stammende auf andere Weise. Denn wie der ausgesprochene Gedanke ein Nachbild des Gedankens in der Seele ist, so ist der in der Seele seinerseits ein Nachbild dessen in einem Andern. Wie nun der ausgesprochene gegenüber dem in der Seele bruchstückhaft ist, so ist der in der Seele, welcher jenen Oberen verdolmetscht, seinerseits bruchstückhaft gegenüber dem über ihm. Die Tugend also eignet nur der Seele; der Geist hat keine Tugend und ebensowenig das was über ihm steht.

      [4]Nun fragt sich, ob die Reinigung zusammenfällt mit dieser höheren Tugend, oder ob die Reinigung vorangeht und die Tugend aus ihr folgt; und ob im Gereinigtwerden oder im Gereinigtsein die Tugend unvollkommener ist; im vollen Gereinigtsein erreicht sie erst gewissermaßen ihr Ziel und Ende. Dies Gereinigtsein seinerseits ist nun aber nur die Entfernung alles Widrigen, das Gute aber noch etwas andres. Wenn aber in der Seele vor der Unreinheit das Gute war, dann genügt doch die Reinigung? Gewiß, die Reinigung genügt dann; aber das was sie übrig läßt, ist dann das Gute, nicht die Reinigung. Was dies Übrigbleibende ist, ist allerdings noch fraglich; denn die nach der Reinigung übrigbleibende Wesenheit kann ja doch wohl gar nicht das Gute sein, denn sonst wäre sie nicht in das Böse geraten. Ist sie also ‘dem Guten nur ähnlich’ zu nennen? Besser wohl, nicht hinreichend gut um zu beharren im wahrhaft Guten; denn sie hat von Natur beides in sich; das Gute in ihr ist Vereinigung mit ihrem Urverwandten, das Böse mit dem Entgegengesetzten. Deshalb muß sie sich reinigen zu solcher Vereinigung. Die Vereinigung selbst aber ist Hinwendung. Wendet sie sich denn nach der Reinigung hin? Nein, nach der Reinigung ist sie hingewandt. Das also ist ihre Tugend? Nein, erst das was die Hinwendung ihr bringt. Und was ist das? Schau; und Abdruck des Gesehenen ihr eingeprägt und in ihr wirkend, wie das Bild auf das Auge. So hatte sies zuvor nicht, und es ist keine ‘Erinnerung’? Sie hatte es, doch war es nicht wirkend, sondern lag unerhellt in Bewahrung; damit es aber erhellt werde und sie es nun in sich gewahr werde, mußte sie sich auf das Erhellende hinrichten. Ferner war es nicht Jenes selbst, was sie hatte, sondern nur seine Abdrücke; so gilt es den Abdruck anzupassen an die wahre Wirklichkeit, von welcher die Abdrücke erst abgeformt sind. Aber daß sie es habe, bedeutet vielleicht auch, daß der Geist ihr nicht fremd ist; er ist ihr aber eigentlich nur dann nicht fremd wenn sie auf ihn schaut, sonst ist er ihr fremd ob er gleich bei ihr ist; ist es doch auch bei den Wissenschaften so, wenn wir sie haben ohne daß sie in uns wirken, sind sie uns fremd.

      [5]Doch ist noch zu bestimmen wie weit die Reinigung reicht (dabei wird auch deutlich werden mit was für einem Gott die Gleichwerdung und Identität statthat); das heißt aber vor allem zu untersuchen, was mit Zorn und Begierde und allem übrigen ist, Kummer und dergleichen, und in wieweit eine Abtrennung vom Leibe möglich ist. Um sich vom Leibe zu trennen, muß sie sich vielleicht auch gewissermaßen räumlich in sich selbst zusammenziehen, jedenfalls aber muß sie sich freihalten von Affektionen; die unvermeidliche Lust muß sie wie bloße Wahrnehmungen auf sich wirken lassen und als Arznei und Abhilfe gegen Beschwerden, nur um deren Belästigung abzuwenden; die Schmerzen muß sie ausstreichen, oder, ist das nicht möglich, gelassen tragen und dadurch mindern daß sie nicht mit sich mitleidet; die Heftigkeit muß sie möglichst ausmerzen, wenn es angeht ganz, sonst darf sie wenigstens nicht selbst mit heftig sein, sondern das Unwillkürliche darf nur dem Körper angehören, es muß aber wenig und schwach bleiben; die Furcht aber muß sie ganz austilgen, denn sie braucht um nichts zu fürchten, und auch in der Furcht ist das Unwillkürliche – es sei denn die Furcht diene sie zur Vernunft zu bringen; und die Begierde? Daß sie nach nichts Niedrigem Begierde haben darf, versteht sich; zügellose Begierde nach Speis und Trank wird sie in ihrem eigentlichen Selbst nicht haben, auch nicht nach Liebesgenuß, oder doch höchstens, will ich meinen, nach dem den die Natur gebietet, und ohne daß dies Verlangen ein triebhaft unwillkürliches sei, oder höchstens bis zur Vorstellung die aber auch ihrerseits unbedacht ist; kurz, in ihrem eigentlichen Selbst wird die Seele selbst rein sein von allen Leidenschaften; aber auch ihren vernunftlosen Teil wird sie gewillt sein so zu reinigen, daß er überhaupt keine Erschütterungen von außen mehr erfährt oder doch keine heftigen, so daß die Erschütterungen nur selten sind und sofort durch ihre Nachbarschaft aufgehoben werden – so wie der Nachbar eines weisen Mannes die Frucht dieser Nachbarschaft erntet, indem er dem Weisen gleich wird oder doch ihn so in Ehren hält daß er nichts was der Edle mißbilligt, zu tun wagt. So wird es gar keinen Kampf mehr geben; schon die bloße Anwesenheit der Vernunft, welche der niedere Seelenteil in Ehren hält, bewirkt, daß der niedere Teil schon von allein wenn er überhaupt einmal sich rührt unwillig wird, weil er nicht in Anwesenheit seines Gebieters sich ruhig [6]verhalten, und sich selbst seine Schwäche vorwirft. So ergibt sich für den Menschen daß er in all diesem nicht fehlt sondern recht handelt.

      Aber das Trachten sollte ja nicht darauf gehen, ohne Verfehlung zu sein, sondern ‘Gott’ zu sein. Der Mensch nun, dem doch eine unwillkürliche Verfehlung in diesen Dingen vorkommt, der ist Gott und Daimon, also zwiefältig, oder besser, er hat bei sich ein andres Wesen, welches nur niedere Tugend hat. Aber wenn nichts dergleichen ihm widerfährt, dann ist er Gott und nur Gott, allerdings ein Gott von denen, welche dem Ersten nachfolgen. Sein Selbst nämlich ist das was von der oberen Welt herabgekommen ist und das seinem Selbst Entsprechende ist in der oberen Welt, wenn er ist wie er herabkam; der aber zu seinem Beiwohner gemacht wurde, als er in diese Welt kam, auch den wird er sich gleichmachen nach dessen Vermögen, so daß dieser womöglich ganz ohne Erschütterungen von außen bleibt, jedenfalls aber nichts tut was der Gebieter verwirft.

      Was ist nun für einen solchen Menschen die Einzeltugend? Nun, Weisheit und Einsicht in der Schau dessen was der Geist besitzt, der Geist aber besitzt es durch unmittelbare Berührung. So sind Weisheit und Einsicht zwiefach, einmal sind sie im Geist, einmal in der Seele; droben im Geist sind sie nicht Tugend, in der Seele aber sind sie Tugend. Und was sind sie dort oben? Wirksamkeit des Geistes selbst und sein Wesen; während sie hier in der Seele, da sie nur das sind was von dort herab in einen andern Träger eintritt, Tugend sind. Auch die Idee der Gerechtigkeit und der andern Einzeltugenden ist ja nicht Tugend, sondern gleichsam Vorbild, und erst was von ihr her in die Seele kommt, ist Tugend; denn Tugend gehört einem Jemand an; die Idee jedes Dinges aber gehört nur sich selbst und keinem andern an. Was nun die Gerechtigkeit betrifft, beruht sie etwa, wenn anders sie darin besteht daß ‘jeder Teil die ihm eigene Aufgabe erfüllt’ stets auf einer Mehrzahl von Teilen? Nun, die eine Gerechtigkeit beruht auf einer Mehrzahl, wenn es sich um eine Vielheit von Teilen handelt; die andere aber ist Erfüllung der eigenen Aufgabe schlechthin, mag sie auch nur einen Träger haben. Die wahre Ansich-Gerechtigkeit ist jedenfalls nur die Funktion eines Einheitlichen zu sich selbst, in welchem es kein eines und anderes gibt; so ist also auch für die Seele die höhere Gerechtigkeit, daß sie sich mit ihrem wirkenden Sein auf den Geist richtet, und Zucht die Wendung nach innen zum Geist, und Tapferkeit Unberührtheit von Affekten zufolge Gleichwerdung mit dem worauf sie hinblickt, welches seinem Wesen nach von Affekten unberührt ist, während sie selbst das erst vermöge von Tugend wird, um nicht den Affekten ihres niedern Beiwohners [7]mit unterworfen zu sein. Es bedingen sich also gegenseitig diese Tugenden in der Seele so wie das was im Geist oberhalb der Tugend als Vorbilder vorhanden ist. Das Denken des Geistes nämlich ist Wissen und Weisheit, und seine Wendung zu sich selbst ist die Zucht, und das Tun des eigenen Werkes Gerechtigkeit, und das sich selbst gleich und rein bei sich Bleiben gewissermaßen Tapferkeit; in der Seele ist dementsprechend das Blicken auf den Geist Weisheit und Einsicht (und zwar sind das ihre Tugenden, denn sie ist dies nicht selbst, wie in der oberen Welt) und die andern Tugenden folgen