Sammelband 6 Extra Western September 2018. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Вестерны
Год издания: 0
isbn: 9783745205664
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wunderte mich über diese plötzliche Reaktion des Alten. Er war ja sonst ein Wahrheitsfanatiker. Jetzt stellte er sich vor Jesse, den er eigentlich nicht so lange kannte wie ich.

      Mir war die ganze Geschichte rätselhaft, insofern, als Jesse und Bill für mich wirklich Burschen mit einer grundehrlichen Haut waren.

      Jetzt meldete sich Abe zu Wort. „Hören Sie, Marshal. Die beiden Jungs sind tot. Unser Freund hat recht.“ Abe kam jetzt aus seiner Deckung heraus. „Trotzdem möchten wir den Ausweis sehen. Geschichten kann jeder erzählen.“

      „Verstehe“, meinte Hutchinson. „Ihr habt nach Gold gebuddelt und fürchtet jetzt um eure Ausbeute. Macht euch keine Gedanken, mich interessieren nur diese beiden Männer. Ich will euch alle der Reihe nach ansehen. Es gibt eine ziemlich genaue Beschreibung von den beiden.“

      „Dann wird es Ihnen möglich sein“, erwiderte Weber, „die beiden wiederzuerkennen, wenn wir ihnen die Gräber zeigen und Sie sie dort herausholen.“

      Ich merkte, dass Hutchinson einen kleinen Augenblick unsicher war. Vor allen Dingen sah ich es an seinem Begleiter. Flame blickte Hutchinson fragend an, und ich sagte mir, dass die beiden eben doch keine sehr genaue Beschreibung von Jesse und Bill hatten. Was sich Weber ausgerechnet hatte, spielte ja darauf ab. Wir wollten ihnen im Notfall die Toten zeigen.

      *

      HUTCHINSON HATTE SEINE Unsicherheit sehr schnell überwunden. Jetzt kam er direkt auf mich zu und sagte: „Du bist Jed Callahan.“

      Er duzte mich, ich hatte ihn ja ebenfalls geduzt. Vielleicht war das am Ende die beste Unterhaltungsform.

      „Genau der bin ich.“

      „Von dir habe ich schon gehört. Hast du nicht für die Armee den Pfadfinder gemacht?“

      „Oft genug“, erwiderte ich.

      „Und du hast auch Herden von Texas heraufgebracht, nicht wahr?“

      Ich nickte. „Bis jetzt achtmal.“

      „Wunderbar. Dann hast du die beiden von früher gekannt, nicht wahr?“

      „Stimmt genau“, bestätigte ich.

      „Und wer ist das?“ Er zeigte auf Abe.

      „Mein Name ist Abe Winnigall“, erklärte Abe.

      Jetzt war es der Marshal, der Abe überrascht ansah. „Sie waren Treibherdenboss, nicht wahr?“

      „Sie kennen mich so gut, als wären Sie mein Bruder“, spottete Abe. „Dabei sind Sie gar kein Texaner, nicht wahr?“

      „Ich stamme aus Kentucky“, erklärte Hutchinson. „Aber nun weiter. Sie sind Weber. Von Ihnen habe ich gehört. Sie haben damals diesen tollen Fund bei Aspen gemacht.“

      „So toll war das auch wieder nicht“, meinte Weber bescheiden.

      „Und die ganze Ausbeute ist schon alle? Nichts mehr da von dem vielen Gold?“, fragte der Marshal.

      „Er hat sich von seiner Frau getrennt und ihr alles hinterlassen. Genügt das?“, sagte Abe, und jetzt klang es gar nicht mehr so entgegenkommend wie eben.

      Der Marshal hob die Hände. „Macht euch keine Gedanken. Ich meine es nicht böse. Ich suche nur zwei Männer. Gegen alle anderen hab’ ich gar nichts. Hier ist mein Ausweis. Sieh ihn dir an, Callahan.“

      Der Ausweis war in Ordnung. Er war abgestempelt vom obersten Bundesgericht in Washington, und ein Bundesrichter hatte unterzeichnet.

      „Das ist in Ordnung“, sagte ich, und Hutchinson steckte den Ausweis wieder in die Gesäßtasche. Dann stemmte er die Arme in die Hüften und rief:

      „Da sind noch mehr da. Zeigt euch doch alle. Wenn ihr nichts zu verbergen habt, gibt es nicht den geringsten Grund, mir zu misstrauen. Wie gesagt, ich suche nur diese zwei Männer.“

      „Die wir Ihnen als Tote zeigen können. Sie liegen ein gutes Stück von hier weg“, erklärte ich. „Jesse hat ein Grab für sich, und Bill ist zusammen mit Captain Bentley begraben.“

      „Captain Bentley?“ Hutchinson hob überrascht die Brauen und sah mich verwundert an. „Wer ist das?“

      Ich erklärte es ihm. Und ich erzählte auch die ganze Geschichte mit dem Gewitter, dem Sturm, dem Hagel, den unheimlich vielen Blitzen, und dass wir dann die drei gefunden hatten. Und nun steckte ich ganz einfach Jesse in die Rolle von Colfax, behauptete, dass es Jesse gewesen war, dem das Erlebte den Verstand geraubt hatte. Und schließlich erzählte ich von dem Zweikampf mit den Bären.

      Er hörte sich alles an, wandte sich dann kurz Roy Flame zu und machte dabei ein sehr skeptisches Gesicht. Offenbar traute er meiner Geschichte nicht sehr.

      „Also dann“, meinte er schließlich. „Bleibt nur noch übrig, dass ihr mir erzählt, wer die beiden anderen sind, die noch hier oben leben. Denn ich weiß, dass ihr zu fünft seid.“

      Nun zeigte sich auch Jesse. Und bevor er irgendwelchen Unsinn reden konnte, falls er meine Geschichte nicht richtig gedeutet hatte, rief ich: „Und das ist John Colfax.“

      Mir war sofort klar, als ich den Namen aussprach, dass John früher einmal Marshal gewesen war und Hutchinson ihn womöglich von früher her kannte. Aber das war eine Klippe, die wir einfach riskieren mussten.

      Wider Erwarten sah Hutchinson Jesse nur ganz kurz an und schien von der Tatsache, dass John früher einmal Marshal gewesen war, nichts zu wissen.

      „Und der fünfte Mann?“, fragte er.

      Da tauchte Joshua auf.

      Aber Hutchinson widmete ihm nur einen ganz kurzen Blick, wandte sich dann wieder mir zu und sagte: „Stimmt. Von einem Schwarzen war auch die Rede. Ich hatte nur wissen wollen, ob er bei euch ist. Was hat er an der Hand?“

      Ich sog hörbar die Luft ein, bevor ich sagte: „Da ist keine Hand mehr, Marshai. Ein Wolf hat ihm diese Hand zerfleischt. Wir mussten sie amputieren.“

      „Hier oben?“, fragte er nur.

      Ich nickte.

      „Armer Kerl.“ Er sah Joshua bewundernd an, griff dann wieder in seine Brusttasche und brachte eine Zigarre heraus. „Raucht er die?“, fragte er.

      Joshuas Augen leuchteten. Ich wusste genau, dass er keine Zigarren mochte. Aber die Tatsache, dass der Marshal ihm eine schenkeh wollte, schien ihn sehr zu freuen. Er kam auch gleich und holte sich die Zigarre.

      „Lass sie dir schmecken, Junge“, sagte Hutchinson und klopfte Joshua freundlich auf die linke Schulter.

      Irgendwie gewann Hutchinson mit dieser Geste mein Herz. Es ist eigenartig. Es sind oft die kleinen Dinge, an denen man einen anderen erkennt. Aber mir war Hutchinson sympathisch. Das einzige, was mir missfiel, war die Tatsache, dass er auf Jesse aus war. Hatte Jesse wirklich die Stirn gehabt, auf eine Postkutsche loszugehen? Wie dreckig musste es ihm ergangen sein, dass er so etwas getan hatte. Aber dazu konnte ich ihn jetzt nicht fragen.

      „Also gut“, meinte Hutchinson, und wandte sich Weber zu. „Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, wenn wir eine Stunde Rast machen bei euch. Vielleicht lasst ihr jetzt unsere Pferde ans Wasser.“

      „Natürlich haben wir nichts dagegen.“

      „Erklärt mir genau“, fuhr Hutchinson fort, „wo ihr die beiden bestattet habt. Wir wollen euch gar nicht lange stören. Wir werden nach den beiden suchen und sie herausholen müssen.“

      Da fiel mir ein, dass wir von John Colfax die persönliche Habe in Webers Packen hatten. Da gab es eine Schwester, und ihr wollten wir das Geld schicken, das sich noch in der Brieftasche befunden hatte. Es waren nur lächerliche fünfzehn Dollar gewesen. Aber schließlich hatte sie einen Anspruch darauf. Und eine Fotografie war da. Sie zeigte