„Ein Puma?“
Weber schüttelte den Kopf. „Eine Wölfin.“
Den Rest konnte ich mir fast denken. Es war wie mit den Bären. Um diese Zeit hatten sie Junge. Verdammt noch mal, dachte ich, wir lebten nun schon so lange in der Wildnis. Ich alleine hatte Tausende Male gejagt, und uns passierte diesmal ein Schlag nach dem anderen. Erst das mit den Bären und Johnny - und nun die Wölfin bei Joshua. Wir hätten Joshua nicht gehen lassen sollen.
Abe richtete sich auf. „Ich glaube, ich hole jetzt den Weißschwanzhirsch.“
Ich sah zufällig in Joshuas Gesicht. Als Abe das sagte, schien Joshuas Schmerz und Angst mit einem Mal zu verfliegen. Ich glaubte zu erkennen, dass er lächelte. Es war ein triumphierendes Lächeln.
„Es ist nämlich so“, sagte Weber, „er hat einen Weißschwanzhirsch geschossen. Das Dumme war nur, dass er sich in unmittelbarer Nähe einer Wolfshöhle befand. Und da waren die Jungen drin. Die Alten müssen unterwegs auf Jagd gewesen sein. Die Wölfin kam gerade zurück, als Joshua sein Wildbret wegschaffen wollte. Da fiel sie ihn an. Aber er hat sie getötet. Es war nur zu spät.“
„Mensch, Joshua“, sagte ich, „du bist ein toller Kerl, hast einen Weißschwanzhirsch erwischt. Einen großen?“
Joshua konnte nicht reden vor Schmerzen. Er biss immer noch die Zähne zusammen, aber er nickte. Und er schien zu strahlen.
Weber beugte sich über Joshua, zog ihm das Augenlid hoch und schüttelte bedauernd den Kopf. „Du hast noch Schmerzen, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte Joshua leise, „aber es wird schon besser, viel besser “
„Da müssen wir noch zehn Minuten warten“, meinte Weber. „Wenn es richtig wirkt und er einschläft, fange ich an. Die Dosis ist ziemlich kräftig, das hat er allerdings auch nötig.“
Ich beneidete Abe, dass er den Hirsch holen konnte. Denn was nun kam, das hatte ich mir gut vorstellen können. Ich war auch schon so oft bei solchen Operationen in der Wildnis dabeigewesen, wenn mit primitivsten Mitteln versucht wurde zu helfen. Aber an Joshuas Hand war nichts mehr zu helfen. Im Gegenteil, es bestand die Gefahr, dass sich alles noch entzünden würde. Denn das war keine Hand mehr, das waren nur noch Fetzen. Das einzige, was hier noch möglich sein würde, war eine Amputation.
Eine halbe Stunde später war alles vorbei. Weber hätte Arzt werden sollen. Das verstand er jedenfalls vortrefflich. Er amputierte die Hand direkt am Gelenk, verödete die Arterie mit einem glühenden Eisen und zog dann die Haut über einen Teil des Stumpfes hinweg und nähte sie fest. Die Blutung war ebenfalls gestoppt. Den Abbinder hatten wir vorhin schon lösen können. Und jetzt lag Joshua apathisch und noch immer stark benommen im Zelt.
Ich musste an den Captain denken, der hatte auch einen Arm verloren und war dennoch nicht davor zurückgeschreckt, mit uns in die Wildnis zu reiten. Aber dann war ihm ausgerechnet ein Blitz zum Verhängnis geworden.
Abe hätte längst zurück sein müssen. Als wir draußen waren und Jesse sich eine Zigarette rollte und ich mir meine Pfeife stopfte, kam Weber zu uns.
„Macht euch keine Gedanken um Abe. Er versucht, so möchte ich wetten, einen Weißschwanzhirsch zu erlegen.“
„Wieso das?“, fragte ich. „Joshua hat doch schon ...“
Weber schüttelte den Kopf. „Das war ein krankes Tier. Und ich nehme an, dass es irgendwie mit den Wölfen zusammenhängt, die sich ihrer Beute beraubt gefühlt haben. Und dazu noch unmittelbar vor ihrer Höhle. Wir hätten das Fleisch von diesem Hirsch nicht essen können.“
„Hat Joshua das nicht gewusst?“
„Er hat den Hirsch nicht aus der Nähe gesehen. Und wir werden ihm auch nichts davon sagen. Abe wird auf Jagd gehen und irgendwo einen Weißschwanzhirsch erlegen. Es wimmelt da unten von Fährten. Wir werden dieses Tier heraufbringen und sein Geweih werden wir so aufhängen, dass Joshua es immer sehen kann.“
Ich nickte und dachte daran, dass Abe einmal etwas gegen Schwarzen gehabt hatte. Und jetzt war er da unten und rannte sich die Hacken ab, um einen Hirsch zu erlegen, damit Joshua nicht erfuhr, dass er ein krankes Tier erschossen hatte.
Aber Abe brauchte fast bis zum Abend. Und da erst konnte er einen Hirsch erlegen. Allerdings einen recht kapitalen Burschen. Er war so schwer, dass er ihn an Ort und Stelle ausweiden und zerlegen musste. Er brachte einen Teil davon herauf, und wir sind dann in der Dämmerung noch einmal mit ihm hinuntergegangen und haben das übrige geholt. Das Geweih aber hängten wir über den Eingang zu unserem Stollen. Vom Zelt aus konnte man am Hang hinuntersehen und so hatte Joshua einen Blick auf das Geweih.
*
AM NÄCHSTEN MORGEN war Joshua bei Bewusstsein. Weber hatte ihm wieder Laudanum gegeben, um die Schmerzen erträglicher zu machen. Aber Joshua war wach.
Als ich zu ihm ging, um ihm seinen Kaffee zu bringen, sah er mich aus großen Augen an. Sie leuchteten richtig im Halbdunkel des Zeltes. Und er zwang sich zu einem Lächeln.
„Hast du das Geweih gesehen?“, fragte ich. „Wir haben es extra da unten über den Stolleneingang aufgehängt. Du kannst es von hier aus erkennen.“
„Ich habe es gesehen“, erklärte er mit rauer Stimme.
„Ein prächtiger Bursche, den du da erlegt hast“, sagte ich. Mir war noch nie eine Lüge so leicht von den Lippen gekommen wie in diesem Augenblick.
„Danke, Callahan, danke.“
„Hier ist dein Kaffee. Wir haben eine Suppe gemacht, möchtest du etwas davon?“
Er nickte stumm.
Die Suppe war uns angebrannt. Verdammt noch mal, wir waren nun mal nicht so gute Köche wie Joshua. Das Essen schmeckte, seit er nicht mehr kochte, so hundsmiserabel, aber was sollten wir machen?
„Soll ich dir helfen?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Es geht schon, ich habe ja noch die linke Hand.“ Sein Gesicht wirkte mit einem Mal sehr traurig. Er starrte auf seinen bandagierten rechten Arm und sagte dann: „Ich weiß es erst seit gestern Abend.“
Ich nickte. Weber hatte es ihm beigebracht, dass die Hand weg war. Bis zum Abend war Joshua immer noch der Meinung gewesen, die Hand wäre nur verbunden.
„Denk an den Captain“, sagte ich aufmunternd. „Er hatte den ganzen Arm weg. Es gibt doch jetzt neuerdings Hände aus Holz, die werden angeschnallt. Oder aus Leder, ich habe so etwas gesehen bei Männern, die im Krieg die Hand oder den Unterarm verloren haben.“
Er sagte gar nichts, er sah mich nur an. In seinen Augen glomm ein Hoffnungsfunken. Auch wirkte er nicht mehr so ängstlich wie zu dem Zeitpunkt, als Weber und Abe ihn heraufgebracht hatten.
„Soll ich noch etwas für dich tun?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
„Ein herrliches Geweih“, erklärte ich noch einmal und blickte hinunter, wo man die Spitzen des Geweihes sehen konnte. Von unten drangen Hammerschläge herauf, sie waren schon wieder bei der Arbeit.
„Ich muss gehen, ich muss den anderen helfen, Joshua.“
„Ich falle euch zur Last. Es wird noch lange dauern, bis ich euch wieder helfen kann. Und dann nur halb, mit einer Hand“, klagte er.
„Mach dir nichts draus, die Zeit geht auch vorbei. Wir sind noch lange hier. Und ich freue mich auf den Augenblick, Joshua, wo du hier kochst. Verdammt, was wir hier zusammenzaubern, das möchte ich nicht sehr lange futtern müssen. Es ist ein erbärmlicher Fraß.“
Er schluckte tapfer die angebrannte Suppe. Wie muss einem Mann zumute sein, der so gut kochen kann