So unglaublich das klingt, selbst damit hatte ich Schwierigkeiten. Ich konnte kaum noch sehen. Um mir nicht die Ohren zu erfrieren, hatte ich mein Halstuch um den Kopf geschlungen, die Ärmel so weit wie möglich über die Hände gezogen und hielt mir schützend den linken Unterarm vor das Gesicht. Das Gewehr hatte ich um den Hals hängen, die Ziege noch auf den Rücken, die so prächtig meinen Sturz abgefangen hatte, so zog ich vorgebeugt dahin. Der Schnee peitschte regelrecht von der Seite her gegen meinen Körper. Und die Kälte durchdrang mich wie Tausende von Nadelspitzen. Es half mir, dass ich den Wind von der Seite bekam, denn wenn ich diese Richtung beibehielt, musste ich irgendwann aufs Lager stoßen. Es sei denn, der Wind käme plötzlich von woanders her.
Ich traf trotzdem nicht auf das Lager, sondern stolperte immer weiter talwärts, aber das Gelände war mit einem Mal so steil, dass ich ins Rutschen geriet, hinfiel und einen steilen Hang hinunterschlitterte. Ich überschlug mich; der Gewehrkolben knallte gegen mein rechtes Knie, dass ich die Engel singen hörte. Als ich dann endlich unten liegenblieb und mich aufrichten wollte, sah ich, dass ich mich am Rand einer Steilwand befand. Keinen Schritt weit von mir entfernt ging es fast senkrecht hinunter.
Ich spürte, dass ich am ganzen Körper zitterte. Vorsichtig richtete ich mich auf die Knie und stieß einen Schmerzensschrei aus, denn mein rechtes Knie hatte ich mir offensichtlich mit dem Gewehrkolben aufgeschlagen. Ich setzte mich hin und blieb eine ganze Weile benommen sitzen.
Da merkte ich, dass ich die Ziege verloren hatte. Die war mir bei diesem Sturz abgerissen und musste hier irgendwo liegen.
Wir brauchten die Ziege. Ich konnte sie nicht einfach liegenlassen. Ich musste sie suchen.
Die Sicht war infolge des Schneetreibens so schlecht, dass ich keine fünf Schritte weit sehen konnte. Ich kroch förmlich auf allen vieren, und plötzlich hatte ich etwas Weiches an der linken Hand: die Ziege.
Allein das Aufstehen, das Neuverschnüren mit den klammen Händen in dieser Kälte war eine Marter für sich.
Im Hochsommer eine solche Eiseskälte, dass man sich die Hände erfrieren konnte! Unvorstellbar, und doch war es so.
Vorsichtig richtete ich mich auf und kletterte den steilen Hang wieder empor. Ich musste wieder hinauf, es gab keine andere Möglichkeit. Ich war trotz allem vom Weg abgekommen. Nach meiner Schätzung musste das Lager links von mir sein. Also hielt ich, als ich endlich oben am Ende der Steilstrecke angekommen war, nach links.
Aus Furcht, abermals an eine Steilwand zu geraten, bewegte ich mich viel langsamer als zuvor.
*
DER SCHNEESTURM LIEß etwas nach, damit verbesserte sich auch die Sicht. Und endlich begriff ich, wo ich mich befand. Ich war viel zu weit nach Osten geraten. Das Lager musste einen knappen Kilometer von hier westlich sein.
Durchgefroren, zitternd vor Kälte, mit zerschundenen Knochen, langte ich nach einer weiteren halben Stunde im Lager an.
Lager? Ich hätte es fast nicht gefunden. Das große Zelt war weggerissen. Das kleine bauten sie gerade wieder auf.
Von Joshua sah ich nichts. Ich dachte aber, ehrlich gesagt, im ersten Moment nicht an ihn. Ich sank zu Boden und lag eine Weile so apathisch herum, ohne dass sich einer von den anderen um mich kümmerte. Schließlich kam Weber zu mir.
„Geh nach unten in den Stollen. Wir haben Joshua auch dort unten. Du siehst ja halb erfroren aus. Dieser Sturm war die Hölle.“
Ich rappelte mich noch einmal auf und taumelte hinunter bis zu unserem Stollen, wankte hinein und ließ mich abermals zu Boden sinken. Ich war fix und fertig. Zum Teil fror ich, zum Teil schwitzte ich, es war eine idiotische Situation.
Ein paar Schritte von mir entfernt lag Joshua. Er sah mich aus seinen großen Augen verwundert an.
„Wo kommst du her?“, wollte er wissen.
Ich wollte ihm etwas antworten, aber es war nur ein heiseres Gekrächze, was ich herausbrachte.
Ein Königreich für einen Whisky oder eine Tasse heißen Tee! Oder sonst etwas, was mich durchzuwärmen vermochte.
Der Sturm ließ noch mehr nach. Und später kamen sie von oben herunter zu uns. Weber voran, dann Jesse und Abe.
„Aber er hat die Ziege“, rief Abe, kam zu mir und beugte sich zu mir herunter. „Verdammt, da oben muss ja alles noch viel schlimmer gewesen sein. Wir müssen ihm etwas Warmes geben. Der ist ja halb erfroren.“
„Und das im Sommer“, krächzte ich.
„Komm her, für solche Fälle habe ich eine Sonderration“, meinte Weber. „Ein Ausnahmefall.“ Und dann holte er aus seiner Segeltuchjacke eine flache Flasche heraus. Er entkorkte sie und hielt sie mir hin. „Nur einen kleinen Schluck. Wir brauchen es zum Desinfizieren.“
Es war Brandy. Scharf wie die Hölle. Aber er fuhr wie ein glühender Lavastrom durch meine Glieder. Ich gab ihm die Flasche wieder und lehnte mich wohlig zurück. „Jetzt ist es mir besser“, krächzte ich.
„Ein schönes Stück Wild“, meinte Abe und hob die Ziege an den Hinterbeinen hoch. „Schade drum.“
„Wieso schade?“, meinte Weber. „Weil einer von uns höchstens dafür sorgen wird, dass ein Stück Schuhsohle daraus entsteht und kein Braten. Ja, wenn Joshua auf den Beinen wäre ...“
Joshua sah Abe schuldbewusst an. „Es tut mir leid, Abe, aber ich könnte ja ...“
„Nichts kannst du“, widersprach Weber. „Du. bleibst hier, bis wir das große Zelt repariert haben. Den Braten kann auch ein anderer machen. Du kannst dich ja daneben setzen, wenn es soweit ist, und bestimmen, wie es gemacht werden soll.“
„Das muss er auch“, rief Abe. „Keiner kocht wie Joshua. Ich hab’ in meinem Leben noch nie in einem Camp so gut gegessen wie bei ihm. Verdammt, richtig verwöhnt bin ich. Ich kann diesen verdammten Schlangenfraß, den wir hier selber produzieren, seit Joshua nicht mehr kocht, einfach nicht mehr hinunterbekommen. Es muss endlich wieder richtiges Essen geben.“
„Aber er ist nicht in der Lage dazu. Das musst du doch begreifen“, sagte Jesse.
„Nun gut. Soll er sich immer daneben setzen und sagen, wie es gemacht werden soll. Jedenfalls möchte ich endlich wieder anständig essen.“
„Sorgen hast du“, meinte Weber. „Aber gut. Es freut mich, dass du mit Joshua so zufrieden bist.“
Er sagte nichts weiter. Aber wir dachten alle dasselbe. Vielleicht musste sich auch Abe daran erinnern, wie sehr er sich am Anfang gewehrt hatte, dass Joshua mit uns ziehen durfte. Eigentlich hatten das Weber und ich durchgesetzt.
Nun gut, sagte ich mir. Abe hatte auf dieser verdammten Expedition etwas gelernt.
*
ZWEI STUNDEN SPÄTER hörte es schlagartig auf zu schneien, der Wind flaute völlig ab, die Wolken zogen weg, und auf einmal schien die Sonne wieder.
Am nächsten Morgen lag der Schnee nur noch oben auf den Bergkuppen, sonst war er wieder weggetaut. Es war warm, und das Land ringsum hatte eine grüne Farbe angenommen, wo es vorher braun und gelb gewesen war.
Wir schufteten weiter in unserer Mine, wuschen das Gold heraus, schleppten Stämme heran, sägten, schlugen sie mit den Äxten zurecht, bauten Stempel und Kappen ein, um unseren Stollen abzusichern, der immer tiefer in den Berg hinein ging.
Die Ausbeute ließ etwas nach. Weber war der Meinung, dass wir an einer anderen Stelle einen neuen Stollen in den Berg schlagen sollten. Aber er gab auch zu bedenken, dass es vielleicht besser war, wenn wir uns