„Was starrt der Schreiber da Löcher in den blauen Himmel?“ Unversehens ist der Bürgermeister in die Schreibstube getreten und mustert abwägend Ruprechts Gesicht. „Mir scheint, du machst dir so deine eigenen Gedanken. Sag schon, was überlegst du angesichts des kurfürstlichen Schreibens? Gönnst du dem Ratsherrn Tyle nicht den Erfolg?“
„Ach was, der Alte soll sich in seinem Erfolg baden. Nur glaube ich nicht so recht, dass die Idee auf seinem Mist gewachsen ist. Er zeichnet im Namen von Gesellschaftern und da fällt mir vorrangig der Ulrich Schütz ein, der seit gut fünf Jahren drüben am Topfmarkt sein Haus hat. Er soll ein rechtes Schlitzohr sein und wenn ich richtig gehört habe, will er gar Tyles Tochter heiraten. Was für ein Wunder also, dass er alles Wissen der alten Bergbauherren Schütz in das Unternehmen des Tyle steckt. Der Hans Schütz hat ja wohl auch seine Hände mit im Spiel. Deutlicher können die Zeichen für den Erfolg und den Gewinn gar nicht stehen.“
„Na und“, schmunzelnd streicht sich Bürgermeister Stobener über den Bart, „das Glück kommt nicht von ungefähr, man muss schon etwas dafür tun. Übrigens ist der Tyle auch nicht unbeleckt im Bergbau. Sonst hätte er seine Unternehmungen in Geyer und bei Joachimsthal nicht. Ob die Hütte nun in der Hand des Nickel Tyle ist oder der Schütz-Brüder ist egal. Wichtig ist für die Stadt, dass Steuergelder in die Kasse fließen. Wenn da die Ratsherren gut verdienen, ist dies doch nur recht und billig.“
Abwehrend schüttelt Ruprecht den Kopf. „Wenn das mal nicht zu kurzsichtig gedacht ist. Die Stadt muss wachsam sein, dass die Bürgerschaft nicht wieder unzufrieden wird und gegen den Rat antritt, wie es in den letzten reichlich hundert Jahren dreimal geschehen ist.“
Das Stadtoberhaupt winkt energisch ab. „Male nicht zu schwarz, Schreiber! Die letzte innerstädtische Fete war anno 1414, also vor über einem halben Jahrhundert. Der Landesvater hat gut vorgesorgt, dass sich dies nicht wiederholt. Was meinst du, warum das Handwerk heute Plätze im Rat hat und warum wir, die Ratsherren bestimmen, welcher Handwerker diese Plätze besetzt?“
Geflissentlich taucht Ruprecht den Federkiel in das Tintenfass, denn wieso steht es ihm zu, mit dem Bürgermeister über die Stadtpolitik zu debattieren. Oft genug regt der zwar solche Gespräche an, ist aber danach stets sehr ungehalten, wenn man nicht seiner Meinung ist. Dennoch, ganz vermag er nicht seinen Standpunkt zu verleugnen. „Ich will nicht die landesherrliche Weitsicht in Frage stellen, Herr Bürgermeister, nur sehe ich Gefahren für den innerstädtischen Frieden und will dies zur Beachtung empfehlen. Ich erinnere an die Innungsordnung, die im letzten Jahr für die Tuchmacher erlassen werden musste, weil schlimmer Ärger ins Haus stand. Hier war es der Ratsherr Hans Neefe, dessen Geldstreben über die Maßen störte und zu Missstimmung führte. Weber feindeten die Schneider an, beide beschimpften die Verleger und die Ratsherren gierten nach dem Gewandhandel.“
„Ruprecht, du bist Schreiber und nicht Ratsherr. Zerbrich dir also nicht meinen Kopf. Um auf die Saigerhütte zurückzukommen, auch damit gelangt neben der Steuer weiteres Geld in unsere Kasse. Das gewonnene Kupfer wird im Kupferhammer des Jakob Kupferschmied verarbeitet, der wiederum Bürger der Stadt ist.“
Der Schreiber blinzelt schalkhaft und murmelt: „Keine zehn Jahre wird es dauern, da wird ein Tylscher oder Schützscher Kupferhammer diese Aufgabe übernehmen und der Reichtum bleibt in der Familie.“
Eben will der Bürgermeister zu einer geharnischten Gegenrede ansetzen, da tritt der Ratsherr von Pirne in die Schreibstube und reibt sich die Hände. „Na, wenn das kein schöner Tag ist, Herr Bürgermeister! Die Sonne will offensichtlich den letzten Dreck aus der hintersten Ecke der Stadt herausbrennen und anstatt sich darüber zu freuen, streitet Ihr Euch mit dem Schreiber um Hundsfotts Seele. Guten Morgen auch dir, Ruprecht Prescher. Was ist es denn, das euch so gegeneinander treibt?“
„Ach was, uns treibt nichts gegeneinander“, wiegelt der Bürgermeister ab. „Der Ruprecht hat nur so seine Zweifel an der Redlichkeit des Nickel Tyle wie auch der Schützens. Mir scheint, er mag die Ratsherren an sich nicht sonderlich.“
„Aber woher denn, was sollte ich gegen die Ratsherren haben?“, wehrt sich der so beschuldigte Schreiber. „Ich warne nur davor, zu offensichtlich nur dem Gewinn zu frönen und das Stadtwohl aus den Augen zu verlieren. Wir müssen im Auge behalten, dass die Stadtkasse auf Dauer gut genährt bleibt. Es reicht, dass wir stets mit den Benediktinern Ärger haben, weil diese über die Maßen nach Wohlstand streben und der Stadt so manch üblen Streich spielen. Der Herr Caspar von Meckau, seines Zeichens Abt besagten Klosters, soll ganz ordentlich für eigene Rücklagen gesorgt haben. Da hat auch die Visitation vor ein paar Jahren nicht viel gebracht. Wir aber können nichts dagegen tun, dass im Kloster ein reger Getreidehandel getätigt wird und das Klosterbier uns ebenso Schaden bereitet. Überdies kommt es immer wieder zu Rachezügen gegen den Bierausschank innerhalb der Meile, weil unser städtisches Bier sonst nicht gekauft wird.“
Von Pirne nickt Ruprecht zu. „Das hast du ganz richtig erkannt, Schreiber. Es gibt eine Reihe von Einflüssen, die der Stadt zum Schaden gereichen. Gleichzeitig haben wir aber auch Sonderrechte, die andere nicht haben und eben daraus müssen wir Kapital schlagen. Wenn wir es als ungerecht empfinden, dass auf dem Kloster Markt betrieben wird und wenn in den Dörfern Bier gebraut und auch noch verkauft wird, wie sollen es die Leute dort als richtig empfinden, dass uns von Gesetzes wegen dieses Recht allein zusteht? Für diese Menschen ist das schreiendes Unrecht. Noch krasser ist die Situation für die Leineweber im weiten Kreis, denen der Betrieb einer Bleiche untersagt ist. Sie sind gezwungen, ihre Ware nach Chemnitz zu bringen und hier auf unseren Bleichen weiter zu veredeln, obwohl zum Beispiel in Mittweida die Wiesen an der Zschopau keine schlechteren Bleichpläne abgeben würden. Seien wir also etwas verhaltener in unseren Anschuldigungen und konzentrieren wir uns besser darauf, das gut zu nutzen, was uns zur Verfügung steht.“
Bürgermeister Stobener legt dem alten Ratsherrn die Hand wohlwollend auf die Schulter. „Das sind sehr weise Worte, von Pirne. Unser junger Freund erkennt derartige Zusammenhänge noch nicht so recht. Aber es ist wohl ein Vorrecht der Jugend, so ungestüm über die Umstände zu urteilen.“
„Nun verbiegt Eure Seele nicht, Herr Bürgermeister!“ wehrt der Alte ab. „Ganz so Unrecht hat der Ruprecht nicht, wenn er die verfluchte Geldgier einiger ehrenwerter Bürger anprangert, zumal, wenn sie der Stadt zum Schaden gereichen können.“
„Aber ganz so streng habe ich das nicht gemeint“, sucht Ruprecht das Gespräch zu relativieren, „es ging mir darum, dass man das Augenmerk auf die Geschäftsgebaren richten sollte, um der Stadt Schaden zu ersparen. Nicht alles ist so, wie es anfangs scheint. Weder den Tyle noch die Schützes wollte ich der Unredlichkeit bezichtigen. Aber Gedanken darf und muss man sich machen.“
„Ist gut, Schreiber. Nur solltest du deine Gedanken nicht äußern, wenn du von Amts wegen deine Pflicht erfüllst. Dann gilt es, nur zu schreiben und nicht zu denken und auszulegen. Wenn wir unter uns sind, bin ich schon an deinen Gedanken und Ideen interessiert“, beruhigt ihn der Bürgermeister. „Scheinst mir ein ganz brauchbares Köpfchen zu sein. Man sollte nicht glauben, was so in einem Tischlerhaus heranwächst.“
„Oh ja, es geschehen Zeichen und Wunder, zumal wenn des Tischlers Weib die Magdalena Prescherin ist“, fügt der alte von Pirne leise lächelnd hinzu. „Aber ich schlage vor, wir gehen hinüber in die Ratsstube und erwarten dort die übrigen Ratsherren. Sie dürften schon sehr bald eintreffen.“
***
Während Ruprecht am Rande der Ratsstube an seinem Schreibpult eifrig die Feder über das Papier fliegen lässt, diskutieren die Ratsherren recht aufgeregt an dem großen ovalen Tisch in der Mitte des Raumes. Die schweren Armsessel entstammen allesamt der Prescherschen Tischlerei, wurden jedoch schon zu Großvaters Zeiten gefertigt. Die wuchtige Gestaltung der Sitzmöbel hindert den jungen Ratsherrn Ulrich Schütz nicht, durch eine enorme Beinanstrengung den Sessel auf den Hinterbeinen auszubalancieren und, gleich einem ungezogenen Kind, zu wippen, was ihm das mahnende Räuspern des Bürgermeisters einbringt. „Es ist der Situation nicht