Kaspar hebt die Schultern. „An mir soll es nicht liegen, aber was wird deine Martha dazu sagen? Und lass dir das Bier nicht zu sehr in den Kopf steigen, der Herr Stadtschreiber sollte immer eine Respektsperson sein!“
„Und darauf solltet ihr anstoßen!“, tönt es hinter Ruprecht und als er sich umwendet, erkennt er Nurembergs Friedrich, einen Spielgefährten seit frühester Kindheit, da drüben Hinter der Bach. Gern lädt er ihn ein, mit an seinem Tisch Platz zu nehmen, zumal auch dieser mit Kaspar vertraut ist.
„Wieso bist du nicht im ‚heiligen Georg‘? Johanna hat Martha gesteckt, du wärest oft dort“, versucht Ruprecht zu ergründen.
„Was denn, ist mein liebes Schwesterlein geschwätzig mit den Nachbarn? Ich sollte ihr die Rute zu kosten geben, dass ‚sie das dreiste Maul hält!“ Friedrich scheint ehrlich erbost zu sein, sich als Gesprächsthema der Gasse zu wissen. Kaspar jedoch legt ihm vertraulich die Hand auf die Schulter. „Reg dich nicht auf, solange die Leute über dich reden, bist du interessant, lebst du. Wenn du keinen Grund für Tratsch und Klatsch mehr bietest, dann haben dich die Würmer auf dem Kirchhof bereits aufgefressen. Übrigens muss dir das Geld locker in der Tasche sitzen, wenn du dir das Bier im ‚Georg‘ leisten kannst.“
„Alles nur Gerede!“, wehrt Friedrich ab. „Das Bier kostet genau wie hier, aber der Heimweg ist deutlich kürzer. Nur sitzen heute die Leute der Gilde dort zusammen und so bin ich hierher ausgewichen – sehr zum Glück, muss ich sagen, sonst hätte ich euch nicht getroffen.“
„Wieso zum Glück“, wirft Ruprecht ein, „meinst du vielleicht, dass wir deine Zeche übernehmen?“
Beinahe hochmütig blickt Friedrich auf: „Das wird nicht nötig sein, heute habe ich noch genug Kredit beim Wirt. Mein Kerbholz ist glatt und in der Tasche drückt mich ein Guldengroschen.“
„Na, wenn das so ist, dann rück zu uns herüber, musst nicht in aller Einsamkeit den Krug leeren“, schlägt Kaspar vor und bereitwillig wechselt Friedrich den Platz.
Bereits dreimal hallte der Stundenruf des Türmers durch die Gassen, als Ruprecht erstmals überlegt, ob er nicht langsam den Heimweg antreten sollte. Martha wird sicher schon unruhig sein, denn dieses Fernbleiben war nicht vorgesehen. Außerdem wollten sie sich um ein Grundstück bewerben, wo sie ihr eigenes Haus errichten könnten. Seit Wochen zogen sie schon durch die Gassen der Stadt und hielten Ausschau nach einem leerstehenden Häuschen. Selbst ein neues Haus zu errichten, traut sich Ruprecht nicht zu und für eine Auftragserteilung fehlt das Geld.
„He, träume nicht, Schreiberling!“, kommt die mahnende Stimme Kaspars von gegenüber.
Schuldbewusst zieht Ruprecht die Schultern nach oben. „Ich habe gerade überlegt, ob ich nicht lieber langsam heimwärts ziehe. Mein Weib wird schon unruhig sein, denn sie ist es nicht gewohnt, dass ich fernbleibe.“
„Ach was, lass dein Weib ruhig hin und wieder allein, sonst nimmt es dich an die Leine und das letzte bisschen Freiheit ist dahin.“ Friedrich hebt demonstrativ seinen Krug. „So jung sehen wir uns nicht wieder und ganz sicher wird es nicht zur Gewohnheit, dass wir Michaels Gäste sind.“
Zustimmend nickt Kaspar. „Sehr wohl gesprochen, lass uns einen Schluck nehmen. Wer kann schon sagen, ob sich die Möglichkeit zum Umtrunk noch einmal so ergibt.“ Dumpf schlagen drei Holzkrüge aneinander und besiegeln Ruprechts Verbleib in der Runde. Einzig der Wirt scheint mit dieser Entwicklung so gar nicht zufrieden, denn er würde lieber nach langem Tagewerk auf sein Nachtlager kriechen.
Nichtsdestotrotz lassen ihn die Männer hochleben. Mit sehr wichtigtuerischem Blick neigt Kaspar seinen Kopf zu Ruprecht. „Hast du schon gehört, Schreiber, der Schütz muss dem Wettiner ordentlich eine Nase gedreht haben! Mit der Saigerhütte in der Chemnitzaue wird er dem Markgrafen Albrecht die Silbergroschen verweigern und das Recht wird noch auf seiner Seite sein!“
Während Ruprecht gerade noch ein erstauntes „Ooh!“ herausbekommt, lässt Friedrich die Faust auf die Tafel krachen. „Das ist ein starkes Stück und durchaus eines Schütz würdig. Allerdings glaube ich nicht, dass sich der Markgraf das so gefallen lässt. Der wird sich seine Groschen schon zu holen wissen.“
Es könnte eines Schulmeisters nicht würdiger erscheinen, wie Kaspar den Zeigefinger der Rechten gegen die Decke streckt. „Was denkt ihr, der Schütz ist ein listiger Fuchs. Nur geschmolzenes Silber muss dem Landesherrn übergeben werden. Mit der Saigerhütte aber wird es nicht herausgeschmolzen und so kann es der Schütz behalten!“
„Ihr schwätzt, wie ihr es versteht“, wirft endlich Ruprecht ein. „Wenn auch der Schütz bald die Tochter vom Nickel Tyle freien wird, bleibt doch der Tyle oberster Herr der Hüttengesellschaft. Und der hat sich vom Markgrafen das Recht verbriefen lassen, über das gewonnene Kupfer und Silber bestimmen zu können. Albrecht verzichtet auf das Regalrecht. Im Übrigen wird in der Saigerhütte sehr wohl das Erz geschmolzen. Geh doch hin und lass dir zeigen, was dort passiert. Die verschiedenen Teile der Schmelze verhalten sich bei den Temperaturen unterschiedlich und so kann man sie voneinander trennen.“
Unwirsch winkt Kaspar ab. „Diese Klugscheißerei ist nicht zum Aushalten! Es ist Wurst, ob der alte Nickel Tyle oder der junge Ulrich Schütz, ob geschmolzen oder gesaigert! Außerdem: was soll das Regalrecht sein? Für mich ist das eher die Erlaubnis, etwas aus dem Regal herauszunehmen – so wie der Wirt den Krug für mein Bier.“
Genüsslich lehnt sich Friedrich zurück, streckt die Beine und lässt seine Hand auf die Schulter seines erregten Nachbarn fallen. „Nun halte die Luft an! Wenn der Ruprecht Genaueres weiß, dann lass ihn. Wir haben ohnehin nichts davon, ob der Groschen an den Landesherrn geht oder nicht. Ob der Nickel oder der Ulrich die Münzen einstreicht, kann uns gleich sein, wir hören weder die Groschen klingen noch schenkt man uns dafür ein Bier ein. Trinken wir lieber auf unser Wohl!“
Kalt und feucht deckt der Nebel den Schmutz der Gassen zu, als die drei Zecher endlich das Wirtshaus verlassen und vor der Tür Abschied voneinander nehmen. Dem übermäßigen Biergenuss ist es geschuldet, dass ihre Stimmen durch die schmale Häuserschlucht hallen, worauf bald schon schlaftrunkene Bürgerstimmen ärgerlich Ruhe zur Nacht einfordern. Gleich darauf sieht sich Ruprecht allein in der Dunkelheit und sich entfernende Schritte zeigen an, dass sich seine Freunde auf den Heimweg begeben haben.
Schwer atmend lehnt er sich an den Zaunpfosten zu seiner Rechten und sucht sich zurechtzufinden. In biergeschuldeter Welligkeit wirken die schemenhaften Schattenrisse der Stadtbebauung desorientierend auf den Zecher. Suchend tappen die Schritte unter Ausnutzung der gesamten Gassenbreite endlich weiter und bald schon sieht er sich unerwartet in der zurückgewichenen Begrenzung auf dem Marktplatz gegenüber dem Rathaus. „Mein Gott, wie komme ich denn hierher?“, stammelt er trunken. „Wie soll ich zu meinem Marthel finden?“, lallt er mehr oder weniger leise und würgt gleich darauf den sauren Biergeschmack aus der Kehle zurück in den Bauch.
„Wer da!“, tönt plötzlich eine barsche Stimme von rechts. Eine Laterne tut sich auf und stellt den Betrunkenen im grellen Licht bloß. Es ist Nik, der Nachtwächter, der da unvermutet an ihn herantritt. „Mein Gott, Ruprecht, was hast’ in dich hineingeschüttet, dass du so aussiehst? Ist dein junges Weib so schlimm, dass du saufen musst?“
„Nnnein, ich habe doch nur …“, stammelt der Betrunkene und gleich darauf ergießt sich ein Schwall Erbrochenes über das Beinkleid Niks. Der springt erschrocken zurück und lässt dabei den Stiel der Hellebarde auf Ruprechts Schädel niedersausen.
„Du besoffenes Stück!“, schreit er erschrocken und steppt zur Seite, als ein erneuter Schwall aus dem Mund Ruprechts dringt, der nun die Augen verdreht und zusammensackt.
Der Hüter städtischer Nachtruhe lässt die Waffe wie die Lampe fallen und sucht den Betrunkenen zu halten, was ihm jedoch nicht gelingt und so wälzt der sich gleich darauf im Straßenschmutz.
In der kleinen Hütte vor der Stadt dreht sich die alte Mechthild auf ihrem Lager hin und her. Wirre Gestalten tanzen durch ihren Traum und lassen sie hilflos stöhnen.