„Wie rührend diese Geschichte auch ist, Herr Schütz, ich will hoffen, dass Ihr geschäftlicher Erfolg nicht ausschließlich dem Schaukelstuhl zu verdanken ist“, bemerkt der Ratsherr von Pirne. „Soweit ich richtig gerechnet habe, seid Ihr längst den Kinderschuhen entwachsen und zählt über zwanzig Lenze. Da sollte man langsam solche Unartigkeiten abgelegt haben und ernsthaft werden.“
„Lassen wir diese unfruchtbare Diskussion“, wirft Ratsherr Tyle ein, „wenn der junge Herr Schütz meint, schaukeln zu müssen, dann lassen wir ihm doch das Vergnügen, wenn er nur für neue Bestuhlung sorgt, sollte diese zu Schaden kommen. Ich meine, wichtigere Dinge besprechen zu müssen, die unsere Stadt betreffen.“
„Womit wir beim Kernpunkt unserer Zusammenkunft angelangt sind“, bekräftigt Ulrich Schütz und im Handumdrehen ändert sich sein lausbübisches Verhalten in personifizierte Ernsthaftigkeit. „Ich schlage vor, dass wir drei wesentliche Punkte in die Tagesordnung aufnehmen, nämlich die Errichtung eines neuen Rathauses in steinerner Bauweise, die stärkere Ausnutzung des Berggeschreis für das städtische Wohlbefinden und letztendlich die Wahrung der städtischen Privilegien.“
Überrascht hebt der Bürgermeister den Kopf. „Da hat sich der Herr Schütz ganz hübsch den Kopf zerbrochen, wie er uns auf Trab bringen kann. Nur frage ich mich, ob all die Punkte unbedingt heute behandelt werden müssen. Ich erinnere daran, dass wir bereits eine Reihe von Punkten zur Beratung vorliegen haben. Wenn Ihr also bitte die Dringlichkeit der benannten Punkte erläutern wollt?“
Einem Schulmeister gleich hebt der junge Ratsherr die rechte Hand mit gestrecktem Mittelfinger und doziert: „Es ist nur rechtens, wenn wir den Zeichen der Zeit aufmerksam folgen und daraus Kapital zum Wohle unserer Stadt ziehen. Wie wir alle wissen, gibt es in den Bergen gutes Erz zu schürfen, was wir uns zu Nutzen machen sollten. Wenn wir nicht schnell genug handeln, dann werden es uns die Städte Zwickau oder Freiberg, vielleicht auch Mittweida oder Glauchau besser zu machen wissen und wir haben das Nachsehen. Mit der Saigerhütte schaffen wir eine Menge Gelegenheit weiteren Gewerkes zum Wohle der Stadt. Wir sollten also der Hüttengesellschaft Vorteile zubilligen, die uns fürderhin allen zugutekommen.“
Herr von Pirne schüttelt schmunzelnd das greise Haupt. „So habt ihr euch das klug gedacht, ihr Schützes und Tyles?! Chemnitz schustert der Hütte Geld zu, das dann in eure Taschen fließt! Es sind schon durch des Kurfürsten Privileg Vorteile gegeben, die ausreichend erachtet werden sollten, euch in sicherem Sattel zu wissen. Überlegen wir besser, wie wir der Unternehmung ihren angemessenen Beitrag für die Stadtkasse bestimmen, damit wir alle etwas davon haben.“
Empörung malt sich in die energischen Züge des Ulrich Schütz. „Ich muss sehr bitten, Herr von Pirne, nicht, dass es mir um das Geld leid wäre, was in die Stadtkasse zu fließen hat. Aber es sollte eher gering gehalten werden, um die Erfolgsaussichten nicht von vornherein zu mildern. Schließlich soll die Hütte nicht nur den Leuten Lohn und Brot auf Dauer geben, sondern auch steten Zufluss ins Stadtsäckel. Ich will damit sagen, dass es den Herren an der Spitze der Gesellschaft, mich eingenommen, weniger allein um den Gewinn geht als mehr um den Erfolg der Unternehmung!“
Der Bürgermeister hebt beschwichtigend die Hand. „Es bezichtigt niemand die Herren der Gesellschaft der Unredlichkeit. Wir wollen gerne glauben, dass Euch der unternehmerische Erfolg vornan steht, mein lieber Schütz. Aber wir sollten als Ratsherren dieser Stadt das Wohl der Bürger besonders im Auge behalten. Damit will ich sagen, wenn wir nicht darauf dringen, das Stadtsäckel immer gut gefüllt zu wissen, wird die städtische Entwicklung stocken und dann wiederum ist das Unternehmen Saigerhütte in größter Gefahr.“
Beifällig nicken die Ratsherren mit Ausnahme des jungen Schütz, der eher gelangweilt die Schnitzerei am Deckenbalken betrachtet. „Wenn es so gewollt ist, wird die Hütte gewiss ihren Beitrag zur Sanierung des Stadthaushaltes leisten, nur warne ich die werten Herren! Der Bauer sucht auch nicht von der Färse Milch zu bekommen.“
Herr von Pirne schüttelt den Kopf und murmelt vor sich hin: „Das hält man doch nicht aus, jetzt wird schon das Vieh bemüht! Fragt sich nur, wer ist das Rindvieh?“
Ruprecht hat an seinem Schreibstuhl sehr wohl die Worte verstanden und muss sich bemühen, nicht loszuprusten.
Ein dröhnender Knall füllt den Raum aus, als Ulrich Schütz seine Faust auf den Tisch fallen lässt. „Es ist genug, Alter!“, donnert seine plötzlich sehr erregte Stimme hinterdrein. „Gewiss bin ich für manchen derben Spaß zu haben, aber dass ich dem Vieh zugeordnet werde, gestatte ich selbst dem Stadtadel nicht – mag dessen Stammbaum auch auf den Lokator dieser Civitae zurückgehen! Mein Protest wird den Markgrafen Albrecht sicher sehr interessieren! So ganz für umsonst wird er nicht die Genehmigung zum Betrieb der Hütte erteilt haben.“
Bürgermeister Stobener klopft mit den Knöcheln auf die Sessellehne. „Aber, aber, meine Herren, so erregt Euch nicht so über die Maßen! Die Hütte soll nur ruhig ihren Gewinn bringen, sehr zum Segen auch der Besitzer. Aber natürlich muss auch die Stadt ihren Gewinn damit haben – im Interesse der Bürger.“
Schütz nickt zustimmend. „Ist richtig, Herr Bürgermeister. Es wäre auch zu komisch, hättet Ihr nicht zuerst das Stadtsäckel im Sinn. Doch bitte ich zu bedenken, dass die städtischen Einnahmen umso einige Gulden höher werden, brächtet Ihr ein wenig mehr Geduld auf. Bedenkt die vielen Steuerzahler, die wir der Stadt zuführen werden!“
„Genauso halte ich es, das Wohl der Stadt steht im Vordergrund und deshalb gebe ich dem Antrag der Hüttenbetreiber insofern statt, dass die Gesellschaft einen verminderten Beitrag an die Stadtkasse zu entrichten hat. Schreiber, haltet das fest: auf fünf Jahre zwanzig Prozent verminderte Abgabe!“
Wenig zufrieden schüttelt Ulrich Schütz den Kopf, hatte er sich etwas mehr Entgegenkommen erhofft. Andererseits aber kann er zufrieden sein, eine Vergünstigung erzielt zu haben und so hütet er sich, einen Einwand anzumelden.
Das Kratzen der Feder auf dem Pergament lässt den stillen Protest des Schreibers ahnen.
Ratsherr Tyle lächelt selbstgefällig, hat doch Schütz‘ Bemühen sehr seinem Interesse entsprochen. „Wie wäre es, wenn wir nun zum nächsten Punkt kommen, endlich ein steinernes Rathaus, Herr Bürgermeister?“
DER DREH MIT DER SAIGERHÜTTE
Gemächlichen Schrittes geht Ruprecht durch die Gassen der Stadt und freut sich über jede positive Veränderung, die er entdecken kann. Immer mehr Brachflächen zwischen den Grundstücken finden ihre neuen Besitzer und so schließen sich nach und nach die Lücken in der Bebauung. Wie es beim Neubau so häufig aufzutreten pflegt, strahlt die jungfräuliche Schönheit neuer Farbe und lässt die Mängel der Alterung in der Nachbarschaft verblassen.
In der warmen Abendsonne leuchten die hellen Flächen eher rötlich gelb und der Gesang der Vögel lässt das Herz unbeschwert jubeln. Leise lächelnd beobachtet der Schreiber die Kinder, die da, der strengen Aufsicht elterlicher Fürsorge entflohen, dem städtischen Weideland hinter dem Rathaus mit lautem Geschrei zueilen. Offensichtlich huldigen sie dem alten Spiel vom Büttel und dem Räuber, dem letzten Bierkrawall angepasst.
Der Ausschank auswärtigen Bieres in der Stadt ist unter strenge Strafe gestellt. Dennoch wird immer wieder versucht, fremden Gerstensaft in die Stadt zu bringen. Die hiesigen Brauer wissen sich zu wehren und vertreiben die unliebsame Konkurrenz, wobei so manch deftiger Hieb geführt wird. Nach diesem derben Vorbild jagen die Kinder durch die Gasse, dem ausgewählten Ziel entgegen.
Ruprecht lächelt leise, erinnert er sich nur zu gut, wie