Wenig später tritt Magdalena auf die Gasse hinaus und gibt ihrem jüngeren Sohn zu verstehen, dass neuer Wein und frisches Bier herangebracht werden können, dass die Fässer und Krüge im Hause bereitstehen. Ihre Augen indes streifen die Tafel und suchen den Pfarrer, der sich nunmehr dem alten Schulmeister zugewandt hat und mit diesem eifrig debattiert, inwiefern die heutige Jugend den moralischen Ansprüchen des Lebens gewachsen sei. Erleichtert schmunzelt Magdalena. Offenbar hat der Priester doch keinen nachhaltigen Verdacht geschöpft. Vielleicht hat er nicht einmal den Hauch einer Ahnung. Stattdessen ereifert er sich gerade über die unfassbare Handlungsweise des Kunz von Kauffungen, dessen Beweggründe vom Schulmeister durchaus verstanden werden, wenngleich dieser den Tathergang an sich ablehnt.
„Der Ritter hat doch den Lohn vom König angenommen, was erdreistet er sich, mehr zu fordern?!“, wettert der Schwarzkittel. „Wenn er den Hals nicht voll bekommen kann, muss eben der Kopf herunter. Mir wäre nur lieber gewesen, der Schädel wäre nicht auf dem Freiberger Markt, sondern hier auf das Pflaster gefallen, dann gäbe es mehr Respekt vor der Obrigkeit!“
Nachdenklich reibt sich der Lehrer die Nase. „Tja, wenn er seine Rache nicht auf Kosten der Knaben vollzogen hätte, ich könnte es ihm nicht verdenken, Hochwürden. Ich kann nicht große Versprechungen machen und dann kneifen. Die Stadt muss auch den Bauern das Versprochene zahlen, ansonsten fließt das Wasser vom Goldborn eben nicht durch die Röhre in die Stadt, sondern in den Hilbertsdorfer Bach.“
Während Magdalena langsam weitergeht, glättet die Beruhigung die Spuren der Sorge auf ihrer Stirn. Nein, der Pfarrer hat keinen Verdacht geschöpft. Entspannt rutscht sie neben ihrem Hans auf die Bank und ergreift den Becher, denn soeben bringt der Bürgermeister Stobener einen Trinkspruch auf das Brautpaar.
„Was war denn mit der alten Mechthild los?“, fragt ihr Mann zwischen zwei Zügen von seinem Bier, den Schaum des Gerstensaftes in seinem Bart verteilend. „Hat sie sich mit dem Schwarzkittel angelegt oder geht es der Kräuterhexe nicht gut? Es ist doch sonst nicht ihre Art, so schnell zu verschwinden.“
Ärgerlich tritt ihm Magdalena auf den Fuß. „Du sollst sie nicht immer Kräuterhexe nennen! Irgendwann geht es ihr noch an den Kragen, nur weil du dich nicht beherrschen kannst! Johanna hat den Ausdruck schon von dir übernommen und das macht es noch schlimmer!“
„Nun hab dich nicht so, es ist doch nicht ernst gemeint! Es wird ihr schon keiner den Kopf abreißen. Außerdem muss sie sich nicht so deutlich als das zu erkennen geben, was sie ist“, wiegelt der Tischler ab. „Du gibst dich auch nicht so zu erkennen.“
„Und du musst noch ein Bier mehr trinken, damit du gar nicht mehr weißt, was du von dir gibst. Die ganze Stadt kann zuhören, worüber wir uns unterhalten und manch einer wäre vielleicht ganz stolz darauf, jemanden wegen Hexerei in Verruf zu bringen. Halte also lieber den Mund!“ Ärgerlich blickt sie in die Runde und stellt befriedigt fest, dass niemand von ihrem Wortwechsel Notiz genommen hat.
Plötzlich spürt sie Hans‘ Hand auf ihrem Arm. „Nur keine Sorge, mein Käuzchen, ich werde dich nicht in Gefahr bringen und habe gesehen, dass uns niemand wahrnimmt. Wir könnten von hier verschwinden und es würde im Augenblick niemand merken.“ Er zieht sie an sich und drückt ihr einen langen Schmatz auf die Wange, dem zu entziehen ihr trotz Mühe nicht gelingt und so lehnt sie sich an ihn und lächelt zart. „Ach, du großer Junge, wirst du nie erwachsen? Trotzdem solltest du vorsichtiger mit dem sein, was du von dir gibst. Wir haben hier nicht nur Nachbarn, die uns wohlgesonnen sind, sondern es gibt auch Neider, zumal unser ungeschickter großer Sohn auch noch Stadtschreiber werden konnte.“
„Nanu, was turtelt ihr denn hier? Das Brautpaar sitzt da vorn, ihr verwechselt da sicher etwas“, tönt es plötzlich zu ihnen herüber. Lorenz Uhle, der Metzgermeister hat sich ihnen gegenüber niedergelassen und lacht ihnen offen ins Gesicht. „Es ist immer wieder schön anzusehen, wie ihr auch nach so langen Ehejahren miteinander turtelt. Mein Weib wird mich einen alten Holzklotz schimpfen, weil unsere Liebe nicht mehr ganz so taufrisch erscheint. Wie macht ihr das nur?“
„Es kommt nicht darauf an, die Lenden des Viehs feilzubieten, sondern den Saft der eigenen Lenden freigiebig sprudeln zu lassen“, belehrt der Tischler den feisten Metzger, doch dieser wiehert: „Sprudeln ist gut, ich vermute aber eher, der Saft sickert mehr aus dem alten Gemächt.“
„Haltet die Luft an, Knochenhauer, Ihr zählt wohl über zwanzig Lenze mehr als ich. Allerdings macht mich stutzig, dass da acht Paar Kinderfüße durch Euer Haus trippeln. Aber das sind anscheinend Enkelkinder und damit mag das mit dem Sickern wohl eher auf Euch zutreffen“, erwidert Hans wohlgelaunt.
Lorenz Uhle lacht schallend über die Antwort seines Gegenübers. „Gut pariert, Hans Prescher. Ich schlage vor, wir trinken lieber einen Krug zusammen, als uns zu streiten. Wenn dein Weib uns das Vergnügen lässt?“
Magdalena nickt ihm huldvoll zu. „Diese Gunst will ich euch erweisen. Trinkt auf mein Wohl, während ich mich um die Gäste kümmern will.“ Leise lachend prosten sich die beiden Alten zu und lassen das edle Nass durch die Kehle rinnen.
Zufrieden zwinkert die Frau des Fleischers herüber und raunt verhalten: „Na, Prescherin, da haben sich zwei gefunden. Wenn es denen mit der Liebe so wäre, wie mit dem Krug, dann ginge es uns beiden besser, oder? Ich meine fast, der Lorenz hätte sein bestes Stück nur noch, um Wasser abzuschlagen. Wir sollten die beiden alten Kerle ein wenig vom Fass weglocken, sonst passiert heute wieder nichts.“
Glucksend lacht Magdalena in sich hinein. „Du meine Güte, Nachbarin, das hört sich sehr verschwörerisch an. Vielleicht hält es aber mein Hans anders und ich bin ganz froh, wenn er mich einmal abends in Ruhe lässt? Immerhin ist unser Kindersegen mittlerweile groß genug und wir sollten langsam auf Enkel warten.“
Die Ältere winkt ab. „Was denkst du denn? Die Enkel kommen von ganz alleine, das bringen die Jungen schon ganz gut. Aber das Vergnügen sollten wir uns gönnen, zumal nichts mehr passieren kann.“ Verschwörerisch schiebt sie der Jüngeren ihren Krug zu. „Komm Prescherin, füll mir richtig nach, ich will meinem Alten noch einmal den Weg in die Glückseligkeit zeigen.“
Magdalena entspricht ihrem Wunsch gern und schiebt sich dann von der Tafel nach hinten in den Schatten der Hecke, wo sie unversehens auf Ruprecht trifft, der den Weg zur Latrine sucht.
„Was denn, Bräutigam, du wirst doch nicht den Wein im Übermaß in dich hineinschütten? Denke daran, dass du heute noch Pflichten zu erfüllen hast, die nicht zu verachten sind!“
Der Junge grient ihr ins Gesicht. „Meinst du die Pflichten, die eben die Uhlin eingefordert hat? Das werde ich schon zu meistern wissen. So alt bin ich noch nicht und die Lust darauf ist mir auch noch nicht vergangen.“
„Kindskopf, was verstehst du schon davon? Hast noch keine Frau gesehen und kennst nicht die Qual des Versagens im Bett. Da mussten schon ganz andere Kerle klein beigeben. Vielleicht kommst du aber auch nach deinem Vater, der war diesbezüglich immer bestens orientiert. Das brauchst du mir aber morgen nicht zu berichten, das will ich gar nicht wissen.“
Ruprecht schüttelt den Kopf. „Mein Gott, Mutter! Solche Worte kenne ich gar nicht aus deinem Munde! Aber im Augenblick habe ich andere Sorgen. Ich muss von hier fort, ohne dass es auffällt. Irgendetwas sagt mir, dass ich oben auf dem Katzberg gebraucht werde. Eben hatte ich das Gefühl, als hätte mich die Mutter Mechthild gerufen. Ich soll auf den Katzberg kommen zu den drei alten Ulmen mit Haselstrauch, du weißt schon, dort, wo wir immer im Sommer Verstecken gespielt haben.“
Prüfend blickt Magdalena ihrem Sohn ins Gesicht. „Sag, Großer, hast du bisher nie solche Erscheinungen gehabt? Ich meine, dir muss es doch geläufig sein, dass wir hin und wieder Sachen erleben, die anderen Leuten nicht widerfahren. Dafür entstammen wir den weisen Frauen unseres Volkes – was aber eben niemand wissen sollte. Du aber bist für noch ganz anderes vorgesehen, wenn die Mutter Mechthild recht hat.“
„Nun mach halb lang, Mutter“, wehrt Ruprecht entschieden ab. „Von der alten Mechthild bin ich derartige Bemerkungen