„Dank Euch, Meister Hans“, versucht der neu ernannte Schreiber die Situation zu lockern. „Darf ich Euch einen Krug Bier spendieren, als Dank für die frohe Kunde?“
Der Ratsherr wiegt den Kopf bedächtig. „Gegen einen Krug Bier wäre an sich nichts einzuwenden, aber so früh am Tag verdirbt er mir nur die Geschäfte. Lass mal, junger Prescher, morgen Abend komme ich gern herüber und dann darfst du mir den einen oder anderen Krug spendieren.“ Mit der Abgeklärtheit des erfahrenen alten Mannes klopft ihm der Gast auf die Schulter und wendet sich dem Ausgang zu. „Grüß mir den Meister und die Frau Meisterin!“, lässt er noch hören. Dann schlägt hinter ihm die Tür zu.
Ruprecht weiß vor Freude nicht, was er sogleich tun soll. Er könnte singen oder vor Freude schreien, aber das scheint ihm zu unangemessen und so eilt er aus der Werkstatt, den Seinen die frohe Botschaft zu überbringen.
Wie es sich in solchen Situationen nur allzu gern ergibt, sieht er sich völlig allein im Haus. Der Vater und der Paul sind in der Badestube, die Mutter wird Besorgungen erledigen und die Schwestern sind bei Mechthild in der Lehre. Weil er sich aber auch nicht den Nachbarn aufdrängen will, geht er in die Werkstatt zurück und wendet sich seiner Aufgabe zu. Es fällt ihm gar nicht auf, dass zwar seine Gedanken weiterhin abschweifen, die Arbeit nunmehr aber wie von allein durch seine Hände geht. Es ist noch lange nicht Mittag, als er alle Rundhölzer fertig geschnitten und gefast hat, worauf er sich entschließt, die Stäbe sogleich zum Vater in das Spitzgässchen zu bringen und ihm endlich die Neuigkeit zu unterbreiten.
Eilig belädt Ruprecht den Karren, den er vor der Hintertür der Werkstatt abgestellt hat und es bereitet ihm doch erhebliche Mühe, die zweihundert Rundhölzer rutschfest unterzubringen, dass sie nicht auf dem holprigen Pflaster herunterfallen. Zweifellos ist es einfacher, große Möbelstücke zu transportieren, als diese Unmenge Einzelteile. Vorsichtig hebt er die Holme an, dass die Last nur noch auf der Achse mit den zwei großen Rädern zu liegen kommt und es erleichtert ihn sichtlich, dass sich die Ladung nicht verschiebt. Langsam und behutsam rollt er das Gefährt in die Gasse und es folgt willig dem Druck des Lenkers. Bald schon hat er den Topfmarkt hinter sich gelassen und schiebt den Karren die letzten Schritte durch das Spitzgässchen.
Vor der Badestube steht Paul mit einem Fremden zusammen, dem er offensichtlich gerade etwas erläutert. Als er seinen Bruder entdeckt, bleiben ihm jedoch die Worte im Halse stecken und mit offenem Mund starrt er dem sich nähernden Karren entgegen. Sein Gesprächspartner wendet sich teils konsterniert, teils neugierig um, die Ursache der Unterbrechung zu ergründen. Weil ihm aber der profane Transport von Rundhölzern als Auslöser der Stockung im Gespräch nicht aufgeht, schüttelt er nur erstaunt seinen Kopf und entfernt sich in Richtung Hofbreite.
„Mach den Mund zu, die Milchzähne werden sauer!“, ulkt Ruprecht, als er vor der Badestube zum Stehen kommt. „Du hast gesagt, dass du bis Mittag die zweihundert Stäbe brauchst. Hier sind sie, fertig zum Einbau und ohne jeden Makel.“
Der Jüngere schluckt fassungslos. „Was ist los? Vor zwei Stunden war kein Vorwärtskommen zu erkennen und jetzt bist du fertig? Hat dir der Heilige Geist Beistand geleistet oder kannst du zaubern?“ Er greift in die Ladung und zieht drei Stäbe heraus, die bar erkennbarer Fehler sind und einander aufs Haar gleichen. Ohne es fassen zu können starrt er auf die Fuhre, während Ruprecht, vor sich hin pfeifend, ins Badehaus geht, um nach dem Vater zu sehen. Der kniet im Haus auf der Empore hinter den Badezubern und verankert soeben einen Pfosten, der später dem Geländer mit dem Handlauf Halt geben soll.
Ohne aufzublicken knurrt der Tischlermeister: „Geh aus dem Licht, du Schwätzer! Stehst draußen und tratschst mit dem Fremden, während ich mir die Finger verrenke, weil der blöde Pfosten keinen Halt finden will!“
Ruprecht muss schmunzeln. Immer hatte er geglaubt, der Alte würde nur auf ihn schimpfen, dabei geht es Paul in dieser Hinsicht nicht besser. „Ich habe nicht mit Fremden gesprochen, Vater. Ich bringe nur die Rundhölzer und will dir bei dieser Gelegenheit gleich mitteilen, dass ich ab morgen nicht mehr in der Tischlerei arbeite.“
Erstaunt fährt der Tischler herum. „Was denn, du bist es? Ich denke, du kommst mit der Arbeit nicht voran? Paule hat da so etwas verlauten lassen. Und was heißt, du arbeitest nicht mehr in unserer Werkstatt?“
„Na ja, hin und wieder werde ich in der Werkstatt schon noch mit zufassen, wenn ihr mich lasst. Aber hauptsächlich werde ich ab morgen in der Schreibstube meinem Tagewerk nachgehen. Eben war der Ratsherr von Pirne bei uns und hat mir die frohe Botschaft überbracht.“
So schnell es die ungelenken Knie zulassen, erhebt sich der Tischlermeister und schließt, was sonst überhaupt nicht seine Art ist, seinen Ältesten in die Arme. „Na, Gott sei es gedankt!“, seufzt er. „Nun wird doch noch alles so, wie wir es geplant haben. Hast du schon dem alten Roseler Bescheid gegeben?“
Ruprecht, dem die Umarmung nicht unangenehm, wohl aber ungewohnt ist, entwindet sich sacht dem väterlichen Griff. „Du bist der Erste, der es erfährt, das wollte ich so. Dann teile ich es dem Rest der Familie mit und erst dann all den anderen Leuten.“
Der Vater stimmt ihm zu, meint aber: „Ist schon recht so, nur geht es vor allen Dingen gerade die Roselers auch direkt etwas an. Ab sofort müssen sie für dich mit uns zumindest fast ebenbürtig sein. Also mache dich hin zum Haus des Schuhmachers und erzähle ihm alles. Gerade deine Martha dürfte es freuen, will sie bald dein Weib werden.“
Dieses Argument reicht aus, dass Ruprecht eilig aus dem Haus springt. Im Vorübergehen schlägt er Paul die flache Hand zwischen die Schulterblätter und meint: „Kannst jetzt den Karren abladen, Vater braucht das Holz!“, und hastet davon.
DIE VISION AN DER HOCHZEITSTAFEL
Es kommt nicht alle Tage vor, dass in der Gasse „Hinter der Bach“ Hochzeit gefeiert wird und so haben alle Nachbarn ihren Beitrag geleistet, um ein gelungenes Fest zu erleben. Die Gasse wurde vom Brautpaar, nachdem gestern mit lautstarkem Gerassel und vielen Scherben die Unglücksgeister vertrieben wurden, mit einer Intensität gefegt, dass die Bruchsteine der Fahrbahn zwischen den seitlich begrenzenden uralten Baumstämmen wieder deutlich zu erkennen sind. Eine lange Tafel zieht sich von Roselers Haus bis hoch zum Anwesen von Lorenz Ule. Musikanten und Gaukler umschwirren die Hochzeiter und deren Gäste, dass es nur so seine Art hat.
Seit die Brautleute von Sankt Jakobi zurückgekommen sind, wird hier gezecht, getanzt und gesungen. Verwandte, Freunde und Bekannte aus der ganzen Stadt, aus den Vorstädten sowie den nahen Dörfern sitzen zwischen all den Nachbarn und lassen das junge Paar immer wieder hochleben. Selbst der Bürgermeister Stobener und all die Ratsherren haben es sich nicht nehmen lassen und sind bei der Hochzeitsfeier des jungen Stadtschreibers zugegen.
Freilich hätten weder die Brauteltern noch die Preschers, selbst beide Familien zusammen, die Beköstigung der vielen Gäste je tragen können. Aber da ein Hochzeitsfest solch ein freudiger Anlass ist, roch es schon tagelang in allen Häusern der Gasse recht lecker und nun biegt sich die Tafel unter all den Köstlichkeiten.
Ein Zufall ist es gewiss, dass der Herr Pfarrer und die Mutter Mechthild gegenüber der Braut nebeneinandersitzen, flankiert vom Schulmeister und dem Ratsherrn Pirne.
„Ich fühle mich wie im Heiligen Land“, bemerkt der Pfarrer soeben und zeigt sehr bedeutungsvoll auf die Tafel. „Der Korb mit dem Brot wird nicht leer und Wein gibt es in Hülle und Fülle. Das ist eindeutig eine Ehe im Zeichen des Herrn!“ Der Schulmeister nickt zu diesen Worten sehr weise und meint dann belehrend: „Bei Gott, so ist es. Nur ist das Brot hier Kuchen und manch andere Spezerei.“ Worauf das Kräuterweib bemerkt: „Und wenn bei der Hochzeit zu Khana das Wasser zu Wein wurde, dann müssen wir hier eher damit rechnen, dass nach und nach das gute Bier zu Wasser wird.“
Entrüstet lehnt sich der Pfarrer zurück. „Welcher