Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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Oberregierungsrat vorgeschlagen. Die andern meinten aber, das ginge nicht, da Sie erst kürzlich vom Assessor zum Rat befördert seien. Ich habe gedacht, ein Adjutantenposten bei mir würde Ihnen nicht zusagen, da Sie an mehr Unabhängigkeit gewöhnt sind. Ich bat deshalb einen Vetter, zu mir zu kommen, den Rittmeister Grafen Karl Bismarck-Bohlen, der hier bei den Dragonern gestanden, aber den Abschied genommen hat. Natürlich fehlt ihm noch Geschäftskenntnis, wohl auch eine feste Gesundheit.“

      Darauf ich: „In meinem ganzen Bekanntenkreise weiß ich nur einen Menschen, der vielleicht einigermaßen zu Ihrem Adjutanten passen würde, das bin ich selbst.“

      „Sie sind zu schade dazu,“ sagte er; „ich kann Sie doch nicht aus Ihren gesicherten Verhältnissen herausreißen, um hier Laufbursche zu werden. Eine Ratsstelle ist nicht vakant.“

      „Daran liegt mir gar nichts,“ erwiderte ich. „Sie mögen es mit andern versuchen, schließlich werden Sie hoffentlich auf mich zurückkommen.“

      * * *

      Die erste gründliche Auseinandersetzung des Ministerpräsidenten mit dem Abgeordnetenhause fand im Januar 1863 statt bei den Beratungen über die an den König zu richtende Adresse, welche den Vorwurf der Verfassungsverletzung und überdies eine Reihe von Beschwerden gegen das Ministerium erheben sollte. Der Abgeordnete Peter Reichensperger (Geldern) führte aus den Landtagsverhandlungen von 1849, auf welche man, um die Verfassung richtig zu interpretieren, zurückgehen müsse, den Nachweis, daß die meisten Redner beider Häuser unter Zustimmung der Minister dem Abgeordnetenhause ein volles Ausgabebewilligungsrecht hätten beilegen wollen. Andere Redner überhäuften das Ministerium mit leidenschaftlichen Angriffen.

      Bismarck trat dem Vorwurfe der Verfassungsverletzung bekanntlich mit dem Wortlaute des Artikel 99 der Verfassungsurkunde entgegen, welcher lautet: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgesetzt.“

      Nun gehöre, sagte er, zum Zustandekommen dieses wie jedes anderen Gesetzes Uebereinstimmung der drei Faktoren der Gesetzgebung. Solange diese fehle, habe eine Ausgabeverweigerung des Abgeordnetenhauses nur den Wert einer Meinungsäußerung, keineswegs aber rechtsverbindliche Kraft. Wenn eine entgegengesetzte Praxis sich in England durch altes Herkommen gebildet habe, wenn solche auch in andern Ländern gelte, wo parlamentarische Verfassungen nach englischem Muster eingeführt wurden, und wenn sich hierdurch eine entsprechende staatsrechtliche Doktrin gebildet habe, so sei das ohne praktische Bedeutung für Preußen, weil unsere Verfassung die Mitwirkung des Herrenhauses und des Königs zum Budgetgesetze wie zu jedem anderen vorschreibe. Da der Wortlaut der Verfassungsurkunde einen völlig klaren Sinn gäbe, so sei kein Anlaß zu irgendwelcher Interpretation.

      Allerdings könne hienach jeder der beiden andern Faktoren das Ausgabebewilligungsrecht des Abgeordnetenhauses vernichten; ebenso klar aber sei, daß nach dem englischen Rechte das Abgeordnetenhaus die Staatsmaschine willkürlich zum Stillstand bringen könne. Es müsse eben als natürlich vorausgesetzt werden, daß jede der gesetzgebenden Gewalten ihr Recht mit Mäßigung und in Hinblick auf das Gemeinwohl ausüben würde, was jedoch hier im vorigen Jahre nicht geschehen sei.

      Bismarck schloß mit den berühmten Worten: „Das preußische Königtum hat seine Mission noch nicht erfüllt, es ist noch nicht reif dazu, einen rein ornamentalen Schmuck Ihres Verfassungsgebäudes zu bilden, noch nicht reif, als ein toter Maschinenteil dem Mechanismus des parlamentarischen Regimentes eingefügt zu werden.“

      Es war vorauszusehen, daß beide Teile, das Ministerium wie das Abgeordnetenhaus, für Gewissenspflicht halten würden, auf ihrem Rechtsstandpunkte auszuharren. Eine Lösung des Konflikts schien auf theoretischem Gebiete unmöglich.

      Außerhalb der Offizierskreise standen in Breslau fast alle meine Bekannten, die sich überhaupt äußerten, auf der Seite des Abgeordnetenhauses; aber mein in Ostpreußen lebender Bruder stimmte voll ein in meine Bewunderung für den Mann, der einen gangbaren Weg gefunden hatte, um den Prachtbau der Heeresreform vor Zerstörung zu retten.

      Frau von Bismarck schrieb mir nach Breslau am 27. Januar 1863:

      … „Diesen Schwirr von früh bis spät jeden und jeden Tag vertrage ich kaum.

      Ich werde allgemach unausstehlich dabei und die Sorge um Bismarck seufzt ununterbrochen in den kläglichsten Molllauten durch mein Herz …

      „Man sieht ihn nie und nie – morgens beim Frühstück fünf Minuten während Zeitungsdurchfliegens –, also ganz stumme Scene. Drauf verschwindet er in sein Kabinett, nachher zum König, Ministerrath, Kammerscheusal – bis gegen fünf Uhr, wo er gewöhnlich bei irgendeinem Diplomaten speist, bis 8 Uhr, wo er nur en passant Guten Abend sagt, sich wieder in seine gräßlichen Schreibereien vertieft, bis er um halb zehn zu irgendeiner Soiree gerufen wird, nach welcher er wieder arbeitet bis gegen ein Uhr und dann natürlich schlecht schläft. Und so geht’s Tag für Tag – soll man dabei nicht elend werden vor Angst und Sorge um seine armen Nerven …

      „Wie sich das Demokraten-Volk gegen meinen besten Freund benimmt, lesen Sie hinlänglich in allen Zeitungen. Er sagt, es sei ihm „nitschewo“10, aber ganz kalt läßt es ihn doch nicht.“ …

      Dieser Brief wurde geschrieben am Abend des zweiten Tages der langatmigen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über den damals im Königreich Polen ausgebrochenen Aufstand und den Versuch der Regierung, denselben durch Verständigung mit Rußland von unseren Grenzen fernzuhalten.

      Allerdings überschütteten selbst Führer der altliberalen Partei, die Sybel, Twestten und Simson, in jenen Tagen den Ministerpräsidenten mit ausgesuchten Liebenswürdigkeiten.

      Der eine sagte: „Diese Regierung kann weder im Innern noch nach außen handeln, weder ruhen noch wirken, ohne die Gesetze dieses Landes zu verletzen … unter solchen notorisch unfähigen und unglücklichen Befehlshabern sind überall Niederlagen zu erwarten.“

      Der andere: „Die Ehre der augenblicklichen Regierung ist nicht mehr die Ehre des Staates und des Landes.“

      Der Dritte: Zu gutem Regieren gehöre Genie oder wenigstens Talent; dieser Regierung könne man jedoch nur die jedem Seiltänzer zugewendete Bewunderung zollen, daß sie nicht fällt.

      Mir erschien es bewunderungswürdig, daß Bismarck solchen Maßlosigkeiten gegenüber eine äußerlich ruhige Haltung beobachtete.

      In diesen Tagen sprach er die später oft angeführten Worte: „Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung sich auf Deutschland leider beschränkt.“

      Am 26. März schrieb Frau von Bismarck:

      … „Sehr reizend wäre es, wenn ich Sie nächsten Mittwoch, den 1. April, um 10 Uhr früh zu seinem Geburtstag aufbauen könnte. Was meinen Sie? … Von dem geselligen Wirrwarr sage ich nichts. Sie kennen das, wie es hier geht und wie man zuletzt ganz schwach davon wird, nicht leiblich, sondern geistig. Das Schlimmste ist, wenn zwischendurch pommersche Verwandte und gute Bekannte hereinfallen, die einen sehen wollen und gekränkt sind, wenn man sich ihnen nicht immer zur Disposition stellt. – Bismarck bekommt aus allen Provinzen viele freundliche Adressen und Depeschen, Säbel, Kuchen, Lorbeerkränze und Gedichte und freut sich, daß man ihn liebt. Ich freue mich auch und fände es wunderbar, wenn es nicht wäre … Sein Befinden ist leidlich, aber blaß und unermeßlich beschäftigt ist er von 10 Uhr morgens immer bis 1 Uhr nachts) trotz Bitten und Lampenauslöschen“ …

      Am 1. April kam ich früh in Berlin an und blieb von 10 Uhr morgens bis 10 Uhr abends bei Bismarcks. Er litt an starken Kopfschmerzen und lag den ganzen Vormittag auf dem Sofa, ohne ein Wort zu sagen. Erst gegen Abend wurde es besser. Besuch wurde nicht angenommen; nur einige Verwandte, namentlich seine schöne und geistvolle Schwester, Frau v. Arnim-Kröchlendorff, mit Gemahl und Tochter leisteten ihm Gesellschaft. Er war in alter Weise freundlich zu mir, sagte aber kein Wort über die Möglichkeit meiner Berufung.

      Bald darauf hatte ich Anlaß, sein