Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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junge Frau zog angestrengt die Augenbrauen in die Höhe. Aigonn konnte nicht sagen, was hinter ihrer Stirn vorging – dem Gesicht, das so fremdartig erschien, allein durch den Charakter dieser Person, die nun von ihm Besitz ergriffen hatte.

      Wie alt sie wohl wirklich sein mag?, schoss es Aigonn durch den Kopf. Die junge Frau erschien ihm sehr reif. Vielleicht war sie dreißig, oder sogar vierzig gewesen, als sie starb. Starb. Ohne zu wissen woher, bereitete Aigonn der Gedanke Unbehagen, vor einer Person zu stehen, die den ewigen Wandel von Tod und Wiedergeburt so plastisch werden ließ. Er wollte gerade das letzte Bauchfell des Schafes wegschneiden, als ihn abfälliges Getuschel aufblicken ließ. Zwei junge Frauen, Töchter zweier Bauern, standen vor Aigonns Elternhaus und beobachteten ihn verstohlen mit seiner Gehilfin die Arbeit verrichten.

      „Habe ich grünen Ausschlag im Gesicht, oder warum gafft ihr wie die alten Tratschweiber?“

      Nun sah auch die junge Frau an Aigonns Seite auf. Er selbst hatte eigentlich nicht ausfallend werden wollen, doch die Art, wie man ihn im Moment behandelte, ließ Zorn in ihm hochkochen. Die Bauerntöchter zogen ertappt ihres Weges weiter, doch der Ausdruck auf ihren Gesichtern verriet offenen Spott. Aigonn wurde klar, was an dieser Szenerie so ausgefallen wirken musste. Er und die vermeintliche Lhenia schoren gemeinsam die Schafe. Der Geisterjunge und die wiederauferstandene Tote. Wie passend! Wie einleuchtend für Rowilan, wenn er sie beide hätte beobachten können.

      Aigonns Ton war gedämpft, als er der jungen Frau zuraunte: „Ich danke dir für deine Hilfe. Aber ich fürchte, es ist besser, wenn du gehst. Das ganze Dorf hält mich für einen gemeingefährlichen Geisterbeschwörer. Wenn wir zu häufig zusammen gesehen werden, werden alle vermuten, dass nicht nur ich ein Geheimnis zu verbergen habe. Zumal ich Zeit ihres Lebens Lhenia ohnehin nicht sehr mochte.“

      Die junge Frau antwortete nicht, sondern bedachte Aigonn nur mit einem intensiven, vielsagenden Blick. Als sie weitere Menschen näher kommen hörte, fragte sie schnell: „Kann ich dich treffen, allein, irgendwann?“

      „Rowilan schickt mir Spitzel hinterher. Sie beobachten mich nicht ununterbrochen, doch ebenso wenig lassen sie mich aus den Augen. Es könnte schwierig werden.“

      Der jungen Frau lag eine Antwort auf den Lippen. Sie wollte gerade zu sprechen beginnen, als erregte Stimmen vom Tor her alle Aufmerksamkeit auf sich zogen. Überrascht sah Aigonn auf. Die Wolle sammelte er zügig in einem Korb, bevor er sich die Sichel in den Gürtel steckte und bis zum Erdweg lief, um besser sehen zu können.

      Am Eingang der Siedlung versammelte sich eine Menschentraube. Aigonn konnte Torwachen erkennen, die versuchten, die Ankommenden in Palisadennähe zu halten, während andere Behlenos und seine Berater aus den Häusern riefen.

      Es waren Fremde. Nur vereinzelte Gesichter blitzten in Erinnerungen auf, verschwommen, flüchtig, teilweise um Jahre gealtert. Doch mit Namen kannte er keinen von ihnen. Es sind Bärenjäger aus dem Osten. Die große Anzahl an Frauen und Kindern verriet ihr Schicksal an die Außenwelt. Im Kampf gegen die Eichenleute hatten vor allem die abgelegenen Siedlungen den größten Teil ihrer Männer verloren. Denn obgleich alle von ihnen die Kriegerweihe erhalten hatten, waren die wenigsten für den Kampf wahrlich vorbereitet gewesen. In seiner Verzweiflung hatte Behlenos jeden, ob Bauer, Schmied, Hirte oder Töpferlehrling, zusammengerufen, um den anrückenden Feinden zumindest zahlenmäßig angemessen gegenübertreten zu können – ganz gleich, wie groß die Übermacht der Eichenleute trotz allem gewesen war.

      Es dauerte einen Moment, bis Behlenos die Flüchtlinge aus den entlegenen Siedlungen seines Einflussgebietes begrüßte. Schon von weitem konnte Aigonn das Missfallen erkennen, das er für Fremde zwar gut zu unterdrücken wusste, durch seine Gestik jedoch allen Vertrauten unverhohlen zuteil werden ließ. Als Aigonn die junge Frau an seiner Seite spürte, trat er mit ihr einige Schritte vor, um das Gespräch besser verstehen zu können. Das halbe Dorf schien sich währenddessen um den kleinen Platz vor dem Tor versammelt zu haben und es ihm nachzutun – zu lauschen.

      Die geflüchteten Bärenjäger waren armselige Gestalten. Schmutz, Wunden und abgenutzte Kleidung, ob an Frau, Mann oder Kind, verdeutlichten die Anstrengungen, die sie auf sich genommen hatten, um den Weg in diese Siedlung zu finden. Eine hochgewachsene Frau mit selbstbewusstem Auftreten schien sich zur Wortführerin der Gruppe erklärt zu haben, trat vor Behlenos und berichtete ihm, nachdem sie förmliche Grüße ausgetauscht hatten: „Die Eichenleute haben nicht von der Idee abgelassen, Rache an uns zu nehmen. Vor vier Tagen hat ein kleiner Trupp von ihnen unsere Siedlung nachts in Brand gesteckt. Wir konnten das Feuer löschen, aber ohne die Krieger ist es sinnlos, den Kampf gegen die Eichenleute aufzunehmen.“

      Behlenos presste verbissen die Lippen aufeinander. Er suchte nach den richtigen Worten, bevor er so höflich wie möglich entgegnete: „Wenn ihr von den Eichenleuten behelligt werdet, werde ich nach Kriegern senden, die euch verteidigen. Die meisten, die mir in der letzten Schlacht beigestanden haben, sind heimgekehrt. Es mögen nicht viele übrig geblieben sein. Aber hinter Wällen und Palisaden seid ihr den Angreifern entschieden im Vorteil.“

      „Behlenos!“ Ihr scharfer Ton ließ den Fürsten aufsehen. Mit Nachdruck blickte die Frau zu dem Mann hinauf, der sie gut und gern um zwei Köpfe überragte, und verdeutlichte langsam: „Behlenos, wir haben unsere Heimat verloren. Das Feuer konnte gelöscht werden, aber die Wälle sind beinahe restlos zerstört. Kurz nachdem wir die Siedlung verlassen haben, sind die Eichenleute über unsere Häuser hergefallen und haben alles vernichtet, das sie finden konnten. Sie waren wie wahnsinnig! Als gäbe es Dämonen zu verjagen!“

      Behlenos schwieg. Aigonn konnte an seinen Augen erkennen, wie es hinter seiner Schädeldecke arbeitete. Das Anliegen dieser Menschen war offensichtlich. Sie waren Angehörige der Bärenjäger, des Volkes, dem Behlenos als Fürst Schutz und Verantwortung geschworen hatte. Als hätte Aigonn in den Kopf dieser Frau gesehen, wiederholte sie fast wörtlich, was er für sich dachte: „Ich bitte dich! Ich weiß, dass es euch nicht weniger schwer getroffen hat als uns, aber die Kinder und Frauen müssen irgendwo leben. Zurück können wir nicht. Wenn du etwas verlangst, dass wir als Gegenleistung erbringen können, sag es, aber bitte …“

      „Ja!“ In der Stimme des Fürsten schwang so viel Missbilligung mit, dass er sich dafür hätte schämen müssen. Doch ganz gleich, ob Behlenos der Mensch war, derartige Gewissensbisse zu entwickeln, in diesem Moment tat er es nicht. Ein kurzer Blick über die Menschenmenge vor ihm verschuf ihm Zeit, um nach den richtigen Worten zu suchen: „Ich fürchte, wir können nicht alle von euch in Häusern einquartieren. Wie viele seid ihr?“

      „Siebenunddreißig.“

      „Siebenunddreißig …“, wiederholte er. „Nein, das wird nicht funktionieren. Wenn ihr Bekannte oder Freunde habt, die euch in ihre Häuser aufnehmen wollen, dann sucht diese auf. Allen anderen kann ich nur anbieten, Jägerzelte zu errichten, die als notdürftige Unterkunft dienen müssen. Seht nach, wo ihr Platz findet!“

      Ein dünnes Lächeln umspielte die Lippen der Frau. Bei näherem Hinsehen schien die Wortführerin der Geflüchteten Behlenos ein wenig ähnlich zu sehen. Aigonn schätzte sie beide etwa auf das gleiche Alter. Vielleicht waren sie verwandt. Er konnte sich entsinnen, dass die Cousine seines Fürsten die Fürsprecherin einer eigenen Siedlung war. Doch Aigonn konnte sich auch täuschen.

      Während Behlenos die Flucht ergriff, traten seine Berater und andere Einwohner des Dorfes zu den Leidensgenossen vor und verwickelten sie in erregte Gespräche. Die Geschichte über den Überfall und die Eichenleute musste mehrmals erzählt werden, bis man die erschöpften Bärenjäger endlich zu Häusern und Hütten führte, um sie willkommen zu heißen.

      Die junge Frau musterte Aigonn schweigend von der Seite. Er selbst wusste nicht, wie viel sie von den Umständen des Krieges erfahren hatte. Doch als er ihrem Blick begegnete, erfasste ihn das unsägliche Gefühl, dass hinter diesem Gesicht viel größeres Wissen und viel ältere Erinnerungen ihren Weg zurück zu ihrer Besitzerin fanden, als er es selbst auch nur ahnen konnte.

      Als sich der Marktplatz allmählich geleert hatte und schon wieder die ersten Blicke auf dem ungleichen Paar hafteten, raffte die junge Frau ihren Rock, suchte den Korb mit der Wäsche und klemmte sich diesen wieder