Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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Welt! Ich rufe euch!“

      Der Schwindel, der Rowilan erfasst hatte, wurde immer stärker. Er wollte sich bereits auf den Boden stützen, bis er sich ermahnte, dass er nicht fiel, sich von dem Gefühl nicht täuschen lassen durfte. Das Laub unter seinen Knien schien an Substanz zu verlieren, die Welt sich aufzulösen.

      Als Rowilan die Augen öffnete, war der Menhir fast vollkommen im Dunst der Flammen verschwunden. Der Rauch breitete sich aus, schien Gestalt anzunehmen, als hätten die Geister des Ortes von den Fackeln Besitz ergriffen. Lautlose Worte hallten über den Hain hinweg. Rowilan hörte seinen eigenen Atem wie den Wind in seinen Ohren rauschen, vermischt mit Stimmen, die kein Mensch verstehen konnte; nicht er. Noch nicht.

      „Ihr Götter, uns steht eine neue Wende bevor!“ Seine Worte verloren sich in einem Stimmenmeer. „Der Herr des Lichts und des Reifens, die göttliche Sonne, schreitet zu seinem Höhepunkt, der uns Gedeihen und Ernte bringen wird. Er ist der Richter, der bestimmt, wie wir den Winter verbringen. Er entscheidet, womit wir unsere Vorräte füllen. Sagt mir nun, ihr Götter, was verlangt ihr für eine neue, gute Ernte?“

      Mit seiner letzten Frage kam ein Wind auf. Die Stimmen wurden lauter, kamen näher. Sie schmerzten Rowilan in den Ohren, während er angespannt in den Rauch starrte, wartete, ob etwas geschah.

      Auf einmal verschwammen die Flammen mit ihrem Dunst. Die Farben vermischten sich zu einer unkenntlichen Masse, während die Stimmen direkt neben Rowilans Ohren zu sprechen schienen. Das Flüstern vibrierte auf seiner Haut, sein Name erklang vielstimmig dazwischen. Es wurde immer schwerer, sich zu konzentrieren, während Rowilan immer noch abwartete. Doch kein Gott sandte ihm eine Botschaft. Er spürte keine Präsenz, nur die Geister, die ihm allmählich so nahe waren, dass es ihn schauerte. Mit aller Macht versuchte Rowilan sich zu konzentrieren, doch schließlich konnte er nicht anders, als zu fragen: „Was wollt ihr von mir?“

      Keine Antwort. Nur ein Lachen. Ein feines, wissendes Lachen, das ihn verhöhnte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Rowilan zwinkerte, versuchte die Visionen abzuwenden. Jeder Schamane hatte gelernt, sich aus einer Trance zu befreien, wenn es nötig wurde. Doch der Weg in die Wirklichkeit war verschwunden. Er fühlte ihn nicht mehr, hatte den Bezug zum Boden, zum Wald, zum Hain verloren. Nur noch der Wind und das schwimmende Farbenmeer waren verblieben. Rowilan war plötzlich orientierungslos geworden. Wider Willen wogte Panik in ihm auf. Er musste jetzt ruhig bleiben, sonst würde er die Kontrolle verlieren, den Weg zurück! Seine Stimme hatte keinen Klang mehr, als er ins Nichts hineinschrie: „Aehrel!“

      Keine Antwort. Keine Reaktion, weder von den Menschen noch von den Göttern. „Aehrel, hilf mir!“ Das Lachen wurde lauter. Je näher es kam, desto mehr verwandelte es sich in eine Stimme, die seine eigene Panik widerspiegelte, eine Stimme, die ihm immer vertrauter wurde. Es gab kein Entkommen davor, keinen Ausweg. Keinen Weg zurück.

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      „Herrin!“ Aigonns geflüsterter Ruf verlor sich in den Schatten. Der Tag dämmerte bereits in leuchtenden Rottönen über dem Horizont und beschwor eine erste, frische Brise, die den Bärenjägern endlich Abkühlung schenken sollte.

      „Herrin, bitte höre mich!“ Keine Antwort. Nur das leise Flüstern des Waldes von fern her. Missmutig presste Aigonn die Lippen zusammen, während er unterhalb des Wallganges entlanglief, die feinen Nebelschwaden im Auge, die immer wieder unter den Palisaden hindurchdrangen.

      Rasch warf er einen Blick nach hinten. Er war sich sicher, dass die Wachen ihren Dienst nicht beendet hatten und Aigonn noch immer nachstellten. Doch in diesem Moment wollte er sie eigentlich nicht beachten – aller Unvernunft zum Trotz.

      „Herrin, ich bitte Euch! Sprecht mit mir! Hört mich, ich brauche Euren Rat.“

      Die Nebelschwaden entgegneten nichts. Gar nichts. Keinen Laut, kein Wort, schon wieder nicht. Aigonn überkam fast das Gefühl, zu verzagen. Er konnte nicht verstehen, warum die Nebelfrau nicht mit ihm sprechen wollte – jetzt, da viel mehr im Gange zu sein schien, als Menschen es kontrollieren konnten. Doch vielleicht interessierte sie sich gar nicht dafür. Wer konnte wissen, wonach den Nebelgeistern der Sinn stand?

      Fast wütend über diese Vorstellung – wahr oder nicht – wandte Aigonn sich um. Der Abend hatte Ruhe gebracht, hatte die Stimmen gedämpft und viele von ihnen in einem kleinen Haus aus Stroh und Lehm zusammengebracht, das zwischen den anderen Behausungen niemandem aufgefallen wäre.

      Oran hatte Wort gehalten und das gesamte Dorf zu sich eingeladen – die übrigen Flüchtlinge inbegriffen. Zwei andere befreundete Bauern hatten sich bereiterklärt, Schemel und Feuerholz zu spenden, sodass sich eine riesige Menschentraube eng um ein einziges kleines Häuschen drängte. Die wenigstens saßen im Inneren. Mehrere Feuer waren entzündet und es floss genügend Bier und Wasser, um die Menschen vorerst bei Laune zu halten.

      Aigonn näherte sich verhalten. Es drängte ihn noch immer nicht, zu dieser Feier zu kommen, nicht einmal, um jemand anderem damit einen Gefallen zu tun. Die reservierten Blicke, die ihn trafen, bestätigten sein Gefühl. Zwar wurden nicht alle Gespräche leiser, als er an den Menschen vorbeilief, doch seine Gedanken malten genügend Bilder aus, um ihm die Stimmung gänzlich zu verderben.

      Efoh erwartete ihn bereits im Inneren des Hauses. Die Wand aus Schweißgerüchen, tierischen Ausdünstungen von den nahen Ställen, Bier und bratendem Fleisch ließ Übelkeit in ihm aufsteigen, doch Aigonn erinnerte sich daran, dass es im Winter manchmal in seinem eigenen Elternhaus nicht anders gerochen hatte. Das Haus des Oran war bis in die letzten Winkel mit Menschen gefüllt. Der fast euphorisch wirkende Gastgeber suchte sich halb springend seinen Weg durch die Reihen, um neues Bier zu bringen – und seine Geschwindigkeit ließ erahnen, wie schnell das für ihn fast kostbare Getränk aufgebraucht sein würde.

      Efoh hatte sich irgendwo in die Menge gedrängt und einen Platz am heimischen Herdfeuer ergattert. Dorthin winkte er Aigonn, einen Becher Bier in der Hand und halb in ein Gespräch mit zwei anderen jungen Männern des Dorfes vertieft.

      Aigonn grüßte flüchtig. Die argwöhnischen Blicke, die ihm selbst von den Freunden seines Bruders begegneten, kümmerten ihn fast nicht mehr. Er hatte sich die größte Zeit seiner Kindheit damit abgefunden, dass er anders war als die anderen und nur wenige wirklich seine Gesellschaft gesucht hatten. Tarages vielleicht. Ein paar wenige andere. Menschen, die nicht mehr lebten. Die meisten davon. Die anderen hatten sich verändert, waren erwachsen geworden und hatten die Geschichten und Warnungen ihrer Familien ernster genommen. Nach den jüngsten Ereignissen, in die Aigonn sich aus für ihn unbekannten Gründen verwickelt hatte, erst recht.

      Efoh für seinen Teil ließ sich seine Stimmung nicht trüben, rief Oran herbei, dessen Gesicht vom vielen Hin-und-Her-Laufen bereits rot angelaufen war, und bat um einen Trunk für seinen Bruder. Dieser kam, auch wenn Aigonn seinem Bruder weniger enthusiastisch entgegenprostete, als dieser es vormachte. Als Aigonn keine Anstalten machte, sich größer in das Gespräch über Schafe, Lämmer und Tragzeiten einzuklinken, verlor man auch bald das Interesse an ihm, sodass er sich näher an das Herdfeuer setzte und endlich Gelegenheit hatte, die Hütte sorgsam nach der jungen Frau abzusuchen.

      Ein Teil der Frauen hatte sich von den Männern abgeschottet und saß zusammen mit kleineren Kindern auf der Bettstatt des Bauern und seiner Tochter. Es dauerte einen Moment, bis Aigonn die junge Frau zwischen ihnen entdeckte. Auf eine gewisse Weise verschuf es ihm Genugtuung, dass er nicht die einzige Person in diesem Raum war, die sich in dem Trubel unwohl fühlte.

      So argwöhnisch wie man Aigonn betrachtete, so vorsichtig sprach man mit der vermeintlichen Lhenia. Scheinbar war es ihr recht so, denn die anderen Frauen schienen sich im Geheimen zu fragen, wie sehr Tod und Wiedergeburt Orans Tochter verändert haben mussten. Aigonn schmunzelte über ihre Unwissenheit und erkannte eine Mischung aus Neugierde und Furcht in den Blicken der Mütter, wenn diese die Münder zum Sprechen öffneten.

      Es dauerte einen Augenblick, bis die junge Frau sich endlich aus dem Gespräch ausklinkte, den Blick über die Menge schweifen ließ und für einen kurzen Moment des Erkennens bei Aigonn innehielt. Dann wandte sie sich wieder ab. Es vergingen jedoch keine hundert Herzschläge mehr, bis sie mit der Ausrede, sie wolle