Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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Aigonn und die junge Frau immer stickiger zu werden, immer dünner. Er atmete schneller, kürzer. Sein Herz fügte sich in diesen Takt, trieb seinen Puls in die Höhe. Wie ein Sog schien es Aigonn herumzureißen.

      Eine schier eiskalte Hand auf seinem nackten Unterarm zog ihn in die Wirklichkeit zurück. Aigonn musste dreimal die Augen öffnen und schließen, bis er erkannte, dass die junge Frau an ihn herangetreten war. Ihr Blick durchbohrte ihn, als sie Aigonn beschwor: „Oran hat wenig Nützliches über dich, Rowilan und die anderen Menschen des Dorfes erzählt. Doch was auch immer dieser Schamane für ein Mensch ist, wenn du nicht bald lernst, in die Geschehen um dich herum einzugreifen anstatt sie nur zu beobachten, wirst du schneller dein Leben verlieren, als es dir lieb ist.“

      Damit wandte sie sich ab und machte einige Schritte in die Dunkelheit hinein; solange bis sie merkte, dass Aigonn ihr nicht folgte. „Nun komm! Oran wird seine Tochter bald vermissen!“

      Aigonn folgte ihr schweigend. Einige Herzschläge vergingen, bevor die junge Frau, nun weniger bestimmend, einwarf: „Wer hält zu dieser Zeit Rituale im Wald ab? Dein Schamane?“

      Er stutzte kurz. Aigonn musste gestehen, dass er diese Frage gar nicht beantworten konnte. Die Annahme der jungen Frau war nicht unwahrscheinlich – zumal er Rowilan an diesem Abend bisher nicht gesehen hatte. Warum – dafür wusste er spontan keinen Grund. Doch er glaubte nicht annähernd von sich zu wissen, was in Rowilans Gedankenwelt vor sich ging.

      „Es scheint so zu sein“, war seine Antwort. „Warum, kann ich dir aber auch nicht sagen.“

      Die junge Frau beließ es dabei. Als sie sich Orans Haus näherten, kamen ihnen bereits die ersten Dorfbewohner entgegen, die für diesen Abend heimkehren wollten. Aigonn ließ sich bewusst ein Stück zurückfallen, suchte Schutz in den Schatten der Häuser, doch recht Notiz nahm keiner von ihm. Kurz bevor sie den Lichtschein des ersten großen Lagerfeuers betrat, hielt er die junge Frau jedoch noch einmal zurück. Sein Atem ließ feine Haare flattern, als er ihr über die Schulter hauchte: „Kannst du mir nun deinen Namen verraten?“

      „Nein.“ Sie sprach, ohne ihn anzusehen. Dann überquerte sie die flackernde Grenze und trat ins Licht.

      Verloren

      Es schmeckte fast modrig, als Aigonn sich über die Lippen leckte. Das Gefühl, als hätte sich eine Schicht Erde in seinem Mund gesammelt, ließ ihn das Gesicht verziehen, während sein Geist vom Halbschlaf in die Realität zurückkehrte. Das Leinenhemd des Vortages, das er zum Schlafen anbehalten hatte, war von der plötzlichen Feuchtigkeit im Raum klamm geworden. Die stickige Luft und erkaltender Schweiß schienen es in eine tote, zweite Haut zu verwandeln, die sich um Aigonns Oberkörper krallte und ihn mit dem Hauch der Verwesung umarmte.

      Angewidert riss er sich das Kleidungsstück vom Leib, bevor er es neben sich auf die Felle warf. Die verbrauchte Luft innerhalb des Raumes war unmerklich abgekühlt, feuchter. Über Nacht musste es geregnet haben, lange nachdem Aigonn heimgekehrt war. Denn er hatte noch eine nicht einschätzbare Zeitspanne lang wachgelegen und in die Dunkelheit gestarrt. Abende wie der Zurückliegende und eine Flut schwer zu ordnender Gedanken riefen zu leicht verflogene Erinnerungen zurück – ganz egal, wie sehr Aigonn sich dagegen gewehrt hatte.

      Das flache Atmen von der anderen Seite der erloschenen Feuerstelle verriet die friedlich schlafende Moribe, die sich von dem plötzlichen Erwachen ihres Sohnes nicht hatte stören lassen. Efoh war nicht zu sehen. Aigonn vermutete seinen Bruder im Lager der befreundeten Handwerker – oder noch immer bei Oran im Haus, betrunken oder gerade auf dem besten Weg, sich auszunüchtern. Er gönnte es ihm, das alles, die Geselligkeit, die Kameraden, die Zeit seines Lebens mit Aigonn selbst nie sehr viel hatten anfangen können.

      Je länger er neben der verloschenen Feuerstelle stand, desto stickiger schien die Luft zu werden. Als würde er im Inneren des Hauses ersticken, lief er barfuß und mit nacktem Oberkörper zur Tür hinaus. Die strähnigen Haare klebten im Schweiß an seinem Rücken.

      Das Dorf draußen schien noch zu schlafen. Oran war es mit drei Fässern Bier, viel gutem Willen und ehrlicher Sympathie gelungen, den größten Teil der Bärenjäger einen ganzen Abend so zu unterhalten, dass es die meisten heute noch spüren würden. Aigonn schmunzelte darüber. Seine Laune trübte sich lediglich, als er feststellen musste, dass nur der Wachposten, der ein Auge auf ihn haben sollte, seiner Aufgabe größere Priorität gegeben hatte als Feiern und Alkohol.

      Aigonn stand jedoch nicht der Sinn danach, sich weiterhin über diese Tatsache aufzuregen. Allmählich gab er sich Mühe, sich mit diesem Zustand abzufinden, an welchem er ohnehin kaum etwas ändern konnte. Aus diesem Grund scherte er sich gar nicht um die Anwesenheit des jungen, sichtlich verschlafenen Kriegers und wandte sich unverhohlen in Richtung der Palisaden.

      Was hatte er schon zu verlieren? Es würden viele neue Geschichten entstehen, aber wirklich begreifen, was hier vor sich ging, würde von den Dorfbewohnern ohnehin kein einziger. Das tat ja nicht einmal Aigonn selbst.

      Aus diesem Grund nahm er keine Notiz von dem Wachposten, als er sich auf den Wehrgang der Palisaden schwang. Der Krieger hatte den Mund bereits geöffnet, um ihn zurechtzuweisen, doch Aigonn entgegnete ihm schon: „Keine Sorge! Ich kann euch gar nicht schnell genug entkommen, ohne dass ihr mich niederstreckt!“

      Einen Herzschlag brauchte der Wachposten, dann stieß er mit finsterer Miene aus: „Für welche Verbrecher hältst du uns, dass du glaubst, wir würden unsere eigenen Leute mit Lanzen erstechen?“

      „Ich sprach nicht von töten. Das dürft ihr nicht, sicherlich. Aber mit den dünnen Speeren nach den Beinen zu werfen, würde doch schon genügen. Dir würde so etwas sicherlich gelingen, nicht wahr?“

      Für einen Moment glaubte Aigonn, der Krieger würde ihm die Faust ins Gesicht schlagen. Er war schon bereit, sich zu ducken, seine Nerven gespannt, doch der Krieger besann sich schließlich eines Besseren. Zwei Schritte weit nahm er demonstrativen Abstand. Aigonn konnte die Botschaft seiner Augen nicht recht deuten, nicht ausschließlich ablehnend, vielleicht ein Hauch Enttäuschung darin enthalten. Doch seine Stimme war kalt, als er Aigonn entgegenwarf: „Renn doch in deinen Tod, wenn du dich für so nutzlos hältst. Niemand wird dich daran hindern!“

      Damit ging er. Aigonn stand einen Moment still und überlegte, da ihm die Bedeutung dieses Satzes nicht recht klar wurde. Doch dann beließ er es dabei. Die Stirn in tiefe Falten gelegt trat er an die Palisaden heran und ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen.

      Es war noch früh am Tag, doch später, als er beim Erwachen zunächst geglaubt hatte. Gräuliche Gewitterwolken über den Höhenzügen am Horizont bestätigten Aigonns Vermutung ebenso wie das vom Regen noch nass glänzende Gras. Zu seiner Enttäuschung hatten sich die Nebelschwaden größtenteils wieder verzogen. Im Grunde hatte er die Hoffnung längst aufgegeben, dass die Nebelfrau innerhalb der nächsten Dutzend Tage wieder mit ihm sprechen würde, doch der Drang nach Antworten hatte ihn wieder hier auf die Palisaden hinausgetrieben. Zwar hatte es nachgelassen, das Drängen um Fragen und Antwort, sodass es fast die Gewohnheit war, die ihn dazu veranlasst hatte. Doch sie war noch mächtig genug, um ihn zu beherrschen. Aigonn befand es seltsam. Sich und sein Handeln.

      Schließlich versank er so weit in seinen Gedanken, dass er den zweiten Wachposten nicht wahrnahm, der hinter ihm auf die Palisaden stieg – jener, der ihn überwachen sollte. Dieser begann zögerlich die Hand zu erheben, so als ob er Aigonn ansprechen wollte. Der beobachtete dies nur aus dem Augenwinkel, nahm keine Notiz davon, sondern blickte über die Sträucher am Waldrand hinweg, dorthin, wo er als kleiner Junge zum ersten Mal der Nebelfrau begegnet war.

      Der Wachposten hatte den Mund schon geöffnet, als Aigonns Reaktion ihn innehalten ließ. Denn dieser stutzte. Aigonn erhob sich und spähte konzentrierter auf die Wiese hinaus. Es fiel ihm schwer, genau auszumachen, was er dort – unweit des Waldrandes – entdeckt hatte. Doch das, was er erkannte, war ein zerschlissenes Leinenhemd.

      „Sieh mal!“ Als hätte der Wachposten schon immer an dieser Stelle gestanden, fasste Aigonn ihn an der Schulter und fragte: „Siehst du das?“

      Der Krieger trat an seine Seite.

      „Ist