Gut gelaunt und beschwingt ergriff Faolán seinen Stab und machte sich mit den gefüllten Wasserhäuten auf den Weg zum Wagen. Eine Melodie kam ihm in den Sinn, die er heute auf dem Markt bei den Spielleuten aufgeschnappt hatte, und er pfiff sie leise vor sich hin. Das hatte er noch nie getan. Er freute sich bereits auf den nächsten Markttag in Neustatt. Und vor allem auf Svea.
Anno 962 – Neue Gedanken
Der Wagen bahnte sich wieder polternd seinen Weg über die alte, staubige Straße. Das dichte Grün des Waldes zog an Faolán vorüber, ohne dass er es wahrnahm. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie lange sie schon unterwegs waren.
Faolán saß schon eine ganze Weile nachdenklich da, als der Cellerar das Schweigen brach und ihn mit einem Wortschwall in die Wirklichkeit zurückholte. Erst nach einem Augenblick der Orientierung gelang es dem Novizen, seine Konzentration auf den Mönch zu lenken und den Sinngehalt der Worte zu begreifen.
„… auch einen Schluck dieses wunderbar kühlen Wassers kosten? Ich hoffe nicht, dass du es einzig für mich geholt hast! Eine Erfrischung täte dir gut. Du siehst erschöpft aus.“
Faolán nickte beiläufig und trank ein wenig. Als sich das Wasser in seinen Mund ergoss wurde ihm klar, dass seine Gedanken die ganze Zeit um die Ereignisse am Tümpel gekreist hatten. Er war ratlos, wie ihn eine so simple Angelegenheit wie das Gespräch mit dem Mädchen derart ins Grübeln bringen konnte, und er fragte sich, ob er einer dieser gefürchteten Verlockungen der Außenwelt erlegen war.
Vor allem beschäftigte ihn der Inhalt des Gesprächs und die Art und Weise, wie Svea ihre Worte formuliert hatte. Seine Vorstellung, sie sei nur ein armes Mädchen, unwissend und hungrig, hatte sie damit zunichte gemacht. Svea war in Wirklichkeit wortgewandter als so mancher Novize und schien sich zudem in der Bibel auszukennen. Beides war ungewöhnlich für ein Mädchen.
Plötzlich fiel Faolán der Apfel wieder ein. Er hatte ihn heimlich in einer aufgegangenen Naht seines Ärmelsaumes verschwinden lassen, als Bruder Ivo auf der Lichtung erschienen war. Mit Erleichterung stellte er fest, dass sich die Frucht dort noch immer befand. Als sei dieser schon ein wenig vergammelte Apfel etwas Kostbares, dachte er nicht im Entferntesten daran, ihn zu den anderen zurück zu legen oder ihn gar zu essen. Die Idee, dem Cellerar von dem Apfel zu berichten, tat er sofort ab. Weshalb er daraus ein solches Geheimnis machte, war ihm selbst schleierhaft und unweigerlich dachte Faolán an die verbotene Frucht im Garten Eden, den Apfel vom Baum der Erkenntnis. War dieser Apfel von Svea auch eine verbotene Frucht, ein Symbol der Versuchungen? Oder wollte Gott ihn auf die Probe stellen?
Nach einer Weile stellte Faolán eine Frage, die ihn selbst überraschte: „Meister, weshalb leben in unserem Kloster keine Frauen?“
Bruder Ivo, der gerade aus dem Wasserschlauch trank, verschluckte sich und rang prustend und hustend nach Luft. Als er wieder sprechen konnte, fiel ihm nichts Besseres ein, als die Frage zu wiederholen. „Weshalb in unserem Kloster keine Frauen leben?“
„Ja, warum nicht?“
„Nun ja … ist das nicht offensichtlich? Nein, wohl nicht. Sonst würdest du diese Frage ja nicht stellen … Nun ja, ich weiß nicht, es war einfach schon seit jeher so.“ Das war eine äußerst unbefriedigende Antwort. Ivo war sich dessen bewusst und suchte schnell nach einer besseren Erklärung. „Eine Bruderschaft mit Mönchen ist eine Gemeinschaft, die jener der zwölf Apostel gleichzukommen sucht. Auch wir versuchen dem Leben Jesu und dem seiner Jünger nachzueifern. Nur so können wir dem Herrn uneingeschränkt dienen. Jesus hat keine Frau in seinen erlesenen Kreis aufgenommen und sich selbst auch niemals einem Weib verschrieben. Deshalb leben auch wir Mönche in einer Gemeinschaft ohne Frauen. Sie ist für uns der beste Schutz, um gegen die Versuchungen der Welt zu bestehen. Deshalb wirst du im Kloster nur zu besonderen Anlässen einem Weib begegnen.“
„Aber es gibt doch auch Nonnenabteien!“, stellte Faolán fest, der in der Erklärung des Kellermeisters einen Widerspruch sah. „Diese Frauen haben sich auch einem enthaltsamen Leben im Dienste des Herrn verschrieben. Weshalb können sie und die Mönche dem gleichgesinnten Dienst nicht gemeinsam nachkommen?“
Dieser Vorschlag schien den Cellerar noch tiefer zu erschüttern als die einfache Frage nach Frauen im Kloster. Mönche und Nonnen gemeinsam in einer Abtei würden das absolute Chaos innerhalb kürzester Zeit bedeuten, dessen war sich Bruder Ivo sicher. Doch wie sollte er das seinem Gehilfen klarmachen, der noch nicht wusste, zu welchen Verlockungen das weibliche Geschlecht fähig war?
„Nun, wie soll ich es sagen …“, begann er unsicher. „Die Versuchungen durch die Anwesenheit von Frauen wäre für die meisten Brüder auf Dauer unerträglich. Sie würden ihnen mit Sicherheit eines Tages erliegen.“
„Welche Versuchungen sind das?“
„Das wirst du schon noch früh genug erfahren. Genieße die Zeit, in der du noch vor dem tückischen Weib gefeit bist, bevor es Einfluss auf deine Seele und deinen Leib nehmen kann.“
„Wie meint Ihr das, Meister? Was hat es mit Frauen auf sich, dass man sich vor ihnen in Acht nehmen soll?“
Ivo fühlte sich bedrängt und versuchte den Spieß umzudrehen. Er war nicht darauf vorbereitet, seinem Schützling die grundlegenden Fakten und Reize der menschlichen Fortpflanzung darzulegen. Deshalb versuchte er hinter die Ursache dieser Neugier zu gelangen. „Wieso fragst du nach Frauen, Faolán?“
Faoláns Blick flüchtete zur Seite. Bruder Ivo kombinierte schnell und ahnte fremden Einfluss. „Wer hat derartige Gedanken in dir gesät? Waren es die gotteslästerlichen Huren in Neustatt? Haben sie dich angesprochen?“
Obwohl Faolán dies nicht bestätigte, begann der Cellerar leise und ohne Rücksicht auf seine Wortwahl vor sich hin zu schimpfen. „Diese verfluchten Weibsbilder! Gottverlassene Huren und Metzen mit ihren angemalten Gesichtern, die selbst die Beine für einen unschuldigen Jungen spreizen würden. Ihre Punzen sind wie der schweflige Abgrund der Hölle. Wenn ich das nächste Mal sehe, wie sie meinen jungen …“
„Nein! Es waren nicht die Huren. Sie haben nichts dergleichen getan“, rief Faolán.
„Wer war es dann? Ein Mädchen auf dem Markt?“
Faolán schüttelte den Kopf, doch der Kellermeister ließ sich nicht beirren. Er spürte, dass er der richtigen Spur folgte und begriff schließlich, dass es mit Faoláns Marsch zur Quelle zu tun haben musste. „Wen hast du am Tümpel getroffen? Was ist dort geschehen?“
Der Novize erstarrte augenblicklich und schaute stur auf den Weg, der Elle um Elle unter dem Wagen verschwand. Bruder Ivo wusste sofort, dass er mit seiner Vermutung richtig lag und er erinnerte sich an die Frage seines Schützlings, ob er selbst schwimmen könne. „War es ein Mädchen oder eine Frau? Wollte sie dich etwa dazu überreden, mit ihr ins Wasser zu steigen?“
Keine Antwort. Bruder Ivo blieb äußerlich ruhig, obwohl es in ihm brodelte. Er durfte jetzt keinen Fehler machen, wenn er Faoláns Vertrauen behalten wollte. Jungen in seinem Alter waren schwierig, das wusste er aus eigener Erfahrung. Er hatte einst, wie jeder Knabe der zum Manne reift, ebenfalls die Verlockungen und Leiden des Fleisches durchleben müssen. Es waren nicht gerade die schönsten Erinnerungen, die er an jene Zeit hatte.
Der Cellerar versuchte auf andere Art Faolán zum Sprechen zu bringen und ergriff überraschend gelassen das Wort. „Genau das ist es, Faolán, was ich mit der Versuchung meinte. Zuerst verdrehen dir die Frauen mit ihren Blicken den Kopf, dass nur noch schiefe Gedanken daraus hervorkommen. Und dann dauert es nicht mehr lange, bis sie alles mit dir machen können, wonach ihnen der Sinn steht.“
„Wie meint Ihr das? Was können Frauen schon