Das Mädchen lachte kurz auf und ihre funkelnden Augen strahlten Faolán an. Sie ignorierte den Seitenhieb auf ihre vermeintliche Unwissenheit und führte Faoláns Gedanken fort: „Genau! Denn wenn du ein Buch nur dazu benutzt, um darüber einzuschlafen, hättest du reichlich wenig davon. Aber eines haben dir all die Bücher bisher wohl nicht beigebracht!“
„Und was wäre das deiner Meinung nach?“, fragte Faolán erstaunt.
„Das Schwimmen! Oder gibt es einen anderen Grund, weshalb du dich nicht in den Tümpel getraut hast? Vielleicht schämst du dich auch, mit einem Mädchen ins Wasser zu steigen. Oder gibt es Mädchen in eurer Abtei?“
Als sich Faolán das vorstellte, stieg erneut Hitze in seinen Kopf, als habe man ihn bei etwas Verbotenem ertappt. Das rothaarige Mädchen sprach weiter, ohne seine Betretenheit zu bemerken:
„Wenn du also nicht schwimmen kannst, ganz gleich aus welchem Grund, so gibt es nur einen Weg, dies zu ändern: du lernst es!“
„Wie soll ich denn das Schwimmen erlernen?“
„Ganz einfach: Traue dich das nächste Mal ins Wasser und ich werde es dir beibringen. Oder hast du etwa Angst vor mir … weil ich ein Mädchen bin?“
Mit diesen Worten beugte sie sich vor, hob einen Stoffbeutel mit Schulterriemen vom Erdboden auf und legte ihn sich um. Ihre Hände kramten darin, während sich ihre Augen abwartend wieder auf den Novizen richteten. Faolán verneinte ihre Frage, indem er den Kopf schüttelte. Weshalb sollte er sich vor einem Mädchen fürchten? Es war absurd und dennoch zögerte er mit einer Antwort. Nach einer Weile räusperte er sich und fragte skeptisch:
„Welchen Nutzen sollte es haben, wenn ich schwimmen könnte? Hätte Gott gewollt, dass ich schwimme, hätte er dann nicht einen Fisch aus mir gemacht?“
„Oder ein Seeungeheuer!“ Das Mädchen lachte beherzt. „Ich kann schwimmen. Bin ich etwa ein Fisch? Und was ist mit all den Menschen, die bei der großen Sintflut umgekommen sind? Einige von ihnen wären nicht ertrunken, wenn sie hätten schwimmen können.“
Faolán war verblüfft. Dieses einfache Mädchen schien mit den biblischen Geschichten vertraut zu sein. Er wollte ihr gerade erklären, dass Gott diese Menschen gar nicht überleben lassen wollte und sie deshalb nicht schwimmen konnten. Doch bevor er eine einzige Silbe von sich geben konnte, schaute ihm das Mädchen tief in die Augen.
„Du wirst gesucht, Novize. Oder darf ich dich Faolán nennen?“
„Wo- … woher kennst du meinen Namen?“, fragte Faolán verblüfft.
„Ich habe Ohren und bin, wie du inzwischen bemerkt haben dürftest, nicht taub. Offensichtlich hat Gott gewollt, dass ich hören kann.“ Abermals musste sie kichern und fuhr vergnügt fort: „Ich habe nicht gezählt, wie oft ich deinen Namen auf dem Markt schon vernommen habe, aber es dürfte mehr als ein Dutzend Mal gewesen sein. Und dies hier …“, ihre Hand kam aus dem Leinenbeutel hervor und warf dem Novizen etwas zu „… gehört euch, nicht wahr?“
Faolán fing dieses Etwas auf und hielt einen Apfel in der Hand, der einen Schnitt aufwies. Er begriff, dass dies der gestohlene Apfel des Markthüters war, den das Mädchen so wagemutig entwendet hatte. Faolán wusste nicht, was er sagen sollte, und schaute abwechselnd auf die Frucht und das Mädchen.
„Ich bin kein Dieb, obwohl mich diese beiden Narren von Markthütern dafür halten und deshalb wahrscheinlich noch immer in Neustatt nach mir suchen. Sie werden mich niemals erwischen. Ich bin viel zu schnell für sie!“
Die Erinnerung an das Geschehen, besonders die Dummheit der beiden Wachen, entlockte dem Mädchen erneut ein leises Kichern. Dann drehte sie sich um und entfernte sich ein paar Schritte von Faolán, was er bedauerte.
„Warte, wo willst du hin?“, versuchte er sie aufzuhalten. Am liebsten hätte er sie festgehalten. Doch er benötigte all seine Willenskraft, um wenigstens sprechen zu können. Unzählige Gedanken schossen ihm durch den Kopf.
Das Mädchen wandte sich noch einmal um. „Ich muss jetzt gehen. Es mag ja so aussehen, als hätte ich den ganzen Tag nichts Besseres zu tun als den Markt zu besuchen oder baden zu gehen. Doch glaube mir, ich habe noch ein paar Aufgaben zu erledigen, bevor die Sonne untergeht. Außerdem wird dein Mönch in Kürze hier auftauchen und dann sollte ich nicht mehr hier sein! Du weißt doch, wie die Mönche denken …“
„Woher weißt du, dass Bruder Ivo hier auftauchen wird?“
Das Mädchen blickte mit ihren grünen Augen tief in die seinen, und Faolán fühlte, wie er von ihnen angezogen wurde. Hilflos blieb er stehen, als befände er sich im Bann eines heimlichen Zaubers. Endlich antwortete sie und seine Starre löste sich:
„Ich weiß es ganz einfach!“
Als Faolán darauf nichts erwiderte, wandte sich das Mädchen ab und wollte gehen.
„Warte! Wer bist du?“
Noch einmal hielt das Mädchen inne. „Wer ich bin, wäre für den Anfang vielleicht etwas zu weitreichend, um es dir jetzt noch zu erklären. Vielleicht solltest du mich erst einmal nach meinem Namen fragen.“
„Ja, natürlich. Das meinte ich auch. Wie heißt du? Wie lautet dein Name?“
„Svea.“
„Svea … ein außergewöhnlicher … ich bin Faolán.“
Das Mädchen lachte und blickte den Novizen beinahe schon liebevoll an. „Ich weiß, Faolán. Ich kenne deinen Namen bereits. Bis zum nächsten Mal.“
Das Mädchen verschwand mit lautem Rascheln im Unterholz und nichts auf der Lichtung deutete darauf hin, dass Faolán eben noch Gesellschaft gehabt hatte. „Svea …“, flüsterte er noch einmal ihren Namen, als habe er Angst, ihn zu vergessen.
Nur wenige Augenblicke später vernahm er ein Rascheln im Gestrüpp, und kurz darauf erschien Bruder Ivo auf der Lichtung, schwer atmend und stark schwitzend. Er orientierte sich kurz und erblickte seinen Schützling mit Erleichterung. „Faolán, da bist du ja! Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“
Der Novize schaute betreten auf den Waldboden, um dem durchdringenden Blick des Mönches zu entgehen. „Es ist alles in Ordnung. Ich habe die Quelle erst nicht gefunden. Ich bin in die falsche Richtung gegangen.“
Die Lüge kam wie selbstverständlich über seine Lippen und Faolán wunderte sich, dass ihm dies nicht einmal ein schlechtes Gewissen bereitete. Wer war dieses Mädchen nur, dass er ihretwegen den Kellermeister belog?
Bruder Ivo schaute abwechselnd von der Quelle zum Tümpel. Dann verlor sich sein Blick irgendwo in der Ferne, als tauche er in Erinnerungen an vergangene Tage ab. Er kam erst wieder zur Besinnung, als Faolán sich räusperte. Sofort wies er dann seinen Gehilfen an:
„Wenn du soweit bist, fülle die Schläuche und lass uns zurückgehen. Sonst kommt noch jemand auf dumme Gedanken und stielt unseren Wagen. Dann hätten wir ein noch größeres Problem mit dem Abt, als wir es durch unsere Verspätung ohnehin schon haben.“
Faolán stieg zur Quelle und wollte gerade die Schläuche füllen, als ihm eine Frage durch den Kopf schoss. „Könnt Ihr schwimmen, Meister Ivo?“
Der Cellerar blickte Faolán verdutzt an. Er verstand nicht recht, woher die Frage seines Schützlings rührte, doch nach kurzem Zögern gab er bereitwillig Auskunft.
„Ja, ich kann schwimmen – das heißt, ich konnte es zumindest einmal. Als kleiner Junge, noch bevor ich in das Kloster aufgenommen wurde, war ich ab und zu schwimmen. Weshalb fragst du? Hast du etwa Lust auf ein kühlendes Bad in diesem Tümpel?“
„Nein, nein …“, versuchte Faolán den Mönch schnell zu beschwichtigen.
Etwas misstrauisch schaute Bruder Ivo erst