Er setzte sich neben sie, legte die Bücher auf den Schreibtisch und sagte: „So, dann wollen wir mal.“
„Dass Sie sich mit mir diese Mühe geben, finde ich sehr, sehr nett.“
Er lächelte mit blitzweißen Zähnen.
„Ich bin eben ein Netter.“
„O ja, das sind Sie“, bestätigte Senta Wagner. „Das sind Sie wirklich. Einer von den ganz Netten sind Sie.“ Sie seufzte gekonnt. „Ich wünschte, ich wäre ein paar Jährchen jünger.“
„Sie sind nach wie vor eine sehr attraktive Frau.“
„Finden Sie?“
„Auf jeden Fall.“
Sie schlug scheinbar verlegen die Augen nieder.
„Danke für das reizende Kompliment. Ich hoffe, ich kann mich revanchieren, nachdem Sie mir hier am Computer etwas beigebracht haben. Ich bin zwar ein elektronisches Antitalent, aber auch ich habe meine Qualitäten.“
„Das bezweifle ich nicht.“
„Ich koche zum Beispiel sehr gut. Und ein paar andere Dinge kann ich auch recht passabel.“ Mehr sagte sie nicht. Weiter wagte sie sich nicht vor, denn sie wollte sich keine Blöße geben.
Peter Werding begann mit seinen Erklärungen. Senta Wagners Blick hing aufmerksam an seinen Lippen, und er verstand es, selbst die kompliziertesten Dinge so zu erklären, dass sie sich darunter etwas vorstellen konnte. Er würzte seinen Vortrag mit praktischen Beispielen, streute Übungen ein, ließ sie Fehler machen und zeigte ihr, wie sie zu beheben waren.
Senta Wagner ließ wieder einmal einen Seufzer hören.
„Unter Ihrer Anleitung ist alles so kinderleicht, Herr Werding.“
Er zog die Stirn kraus und schüttelte den Kopf.
„Herr Werding - das ist mein Vater. Ich bin Peter.“
„Dann werde ich Sie Peter nennen - wenn ich darf.“
Er nickte. „Ich bitte darum.“
„Aber nur, wenn Sie mich auch beim Vornamen nennen. Ich heiße Senta.“
Er nickte abermals. „In Ordnung - Senta.“
Sie legte die Hand auf seinen Arm.
„Wissen Sie, was ich an Ihnen besonders schätze, Peter? Sie haben unwahrscheinlich viel Geduld und finden stets die richtigen Worte. Wenn man Sie so nicht versteht, erklären Sie’s auf eine andere Weise. Und noch mal auf eine andere Art. Bis man es kapiert.“
Er grinste. „Scheint so, als hätte ich den Beruf verfehlt.“
Ein Kollege streckte den Kopf zur Tür herein. Senta Wagner wünschte ihn zum Teufel. Sie nahm die Hand von Peters Arm.
„He, Peter!“, sagte der junge Mann.
Peter drehte sich um. „Ja? Was gibt’s?“
„Sollst zum Alten kommen.“
„Was Unangenehmes?“
„Glaub’ ich nicht.“
Peter erhob sich. „Ist fürs Erste soweit alles klar, Senta?“
„Na ja“, gab sie enttäuscht zur Antwort, „ich hoffe es.“ Alle Mühe, die sie sich gegeben hatte, war umsonst gewesen, hatte zu nichts geführt. Beim nächsten Mal würde sie wieder ganz von vorn anfangen müssen. Wenn es überhaupt ein nächstes Mal gab.
„Ich lasse Ihnen die Bücher da“, sagte Peter. „Wenn Sie Fragen haben - Sie wissen ja, wo Sie mich finden.“
„Wäre schön, wenn Sie noch mal Zeit für eine solche Instruktionsstunde fänden“, sagte Senta. „Ich habe davon echt profitiert.“
„Das freut mich, und ich hoffe, Ihnen endlich die Angst vorm Computer genommen zu haben. Denken Sie immer daran: Er ist Ihr Sklave und muss tun, was Sie wollen.“ Dann ging er zu Ludwig Brauneder. Die Besprechung dauerte zwanzig Minuten. Als er das Büro des Chefs verließ, begegnete er auf dem Flur Claudia Meeles.
„Na, hat Frau Wagner alles kapiert, was du ihr erklärt hast?“, fragte sie.
„Sie war überraschend interessiert.“
Claudia schmunzelte. „Ja, an dir.“
Peter schüttelte unwillig den Kopf. „Blödsinn.“
„Du gefällst ihr.“
„Ich bin doch viel zu jung für sie.“
„Oh, ich glaube, sie sieht das ein bisschen anders.“
„Woher weißt du das?“, wollte Peter wissen.
„So etwas sieht man doch.“
„Mir ist nichts aufgefallen.“
„Wirklich nicht?“
Peter zog die Augenbrauen zusammen und sah Claudia finster an.
„Zweifelst du an meinen Worten?“
Sie wollte ihn noch weiter aufziehen, deshalb sagte sie: „Ist doch schön, wenn man bei jung und - nicht mehr ganz so jung beliebt ist.“
„Wen meinst du mit jung?“, fragte Peter Werding. „Etwa dich?“
Claudia Meeles errötete, senkte rasch den Kopf und ärgerte sich maßlos darüber, dass sie ihre Zunge nicht im Zaum halten konnte.
Er ging etwas in die Hocke, damit er ihr von unten in die Augen sehen konnte.
„Wenn ich bei dir beliebt wäre, wäre mir das sehr recht.“ Seine Stimme klang in diesem Moment sehr ernst.
„Ich muss ganz dringend telefonieren“, sagte Claudia fahrig.
„Warte bitte noch eine Sekunde! Ich möchte dich noch schnell was fragen. Was machst du nach Feierabend?“
„Ich fahre mit meinem Großvater nach Hause.“
„Muss das sein?“
„Wie bitte?“
Er hob die Schulter und lächelte.
„Na ja ... Ich meine ... Also wenn du nichts weiter vorhast, als mit deinem Großvater heimzufahren, könnten wir doch noch irgendetwas zusammen unternehmen. Was meinst du?“ „Kommt darauf an, was.“
Peter Werding zuckte mit den Schultern.
„Spazierengehen. Was trinken gehen. Essen gehen. Du darfst es dir aussuchen. Ich bin mit allem einverstanden.“
„Essen gehen“, entschied Claudia Meeles.
„Okay.“ Peter nickte und lauschte dann. „Kannst du’s hören?“
„Was?“
Peter grinste. „Mir knurrt bereits der Magen.“
„Getrennte Rechnung. Darauf bestehe ich.“
Peter hob lächelnd beide Hände, als wollte er sich ergeben.
„Alles, was dich glücklich macht.“
Beide wussten nicht, dass Senta Wagner nur fünf Schritte entfernt hinter einer weißen Trennwand stand und ihr Gespräch mithörte. Sie hatte das Fotokopiergerät einschalten wollen, hatte damit aber noch gewartet, als sie die Stimmen der beiden vernommen hatte, und sich ruhig verhalten. Jetzt schimmerten Tränen der Enttäuschung in ihren Augen, und sie wäre gern noch einmal so alt wie Claudia Meeles gewesen, denn dann hätte es noch einen Sinn gehabt, sich weiter um den hübschen Jungen zu bemühen. So aber war es besser, die Finger von ihm zu lassen und sich einem passenderen Jahrgang zuzuwenden.
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