„Hab’ ich nicht vor. Was gibt’s? Hast du Jeanette inzwischen gefunden?“
„Nein. Ich habe gehört, sie lässt sich hin und wieder im Schmalztopf blicken.“
„Im Schmalztopf?“
„Ist eines dieser neuen winzigen In-Lokale, die wegen Überfüllung polizeilich geschlossen werden müssen, sobald vier Gäste drinnen sind. Sie eröffnen heute mit viel Tschinbum und Trara und in einem halben Jahr weiß keiner mehr, dass es sie gegeben hat.“
Jo ließ sich die Adresse geben. Es war in der Nähe des Jungfernstiegs. Er dankte Bongo für den Tipp, legte auf, schaltete das Fernsehgerät ab und verließ die Wohnung.
Das Lokal, das er zwanzig Minuten später betrat, war wirklich sehr klein. Vier Tische, sechzehn Stühle - natürlich besetzt. Dazwischen und darum herum Gäste mit Bier oder Weingläsern in der Hand, banale Lebensweisheiten und jämmerliche Belanglosigkeiten von sich gebend. Smalltalk in Reinkultur. Ein Kellner drängte sich mit einer Riesenportion Spareribs an Jo vorbei. Als er mit leeren Händen zurückkam, sagte Jo: „Ich suche Jeanette.“
„Ist nicht hier.“ Der Kellner war keiner von den gesprächigen Typen, wirkte ungeduldig und gehetzt. Alle wollten so schnell wie möglich bedient werden. Er musste sich ranhalten, wenn er nicht wollte, dass der Besitzer des Schmalztopfs sich von ihm trennte und einen flinkeren Mitarbeiter einstellte.
„Das habe ich bereits bemerkt“, sagte Jo Dengelmann. „Wann war sie zum letzten Mal hier?“
„Vorgestern.“
„Und wann kommt sie wieder?“
Der Kellner zuckte mit den Schultern. „Heute?“ Schulterzucken. „Morgen?“ Wieder dieses nichtssagende Schulterzucken. „In einer Woche? Überhaupt nicht mehr? Keine Ahnung.“
„Bring mir’n Bier!“
„In Ordnung.“
Jo bekam sein Bier. Er bezahlte gleich, gab ein stattliches Trinkgeld und knüpfte die Frage daran: „Weißt du, wo Jeanette wohnt?“
„Nein. Hier in der Nähe - nehme ich an.“
„Wenn sie hierherkommt, ist sie da allein oder in Begleitung eines Freundes oder einer Freundin?“, fragte Jo Dengelmann. „Oder trifft sie sich hier mit jemandem?“
Der Kellner kniff argwöhnisch seine grauen Augen zusammen.
„Warum willst du so viel wissen? Bist du’n Bulle?“
Jo grinste breit. „Sehe ich wie’n Bulle aus?“
Der Kellner musterte ihn unsicher. „Weiß ich nicht.“
Jo trank einen Schluck Bier und wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Oberlippe. „Freund, du kannst mir glauben, ich bin genau das Gegenteil von ’nem Bullen, und ich suche Jeanette, weil ich einen prima Job für sie habe.“
„Ich sag’s ihr, wenn ich sie sehe.“
„Aber nicht vergessen.“
„Natürlich nicht. Keine Bange.“
„Sag ihr, ich wohne in Philomenas Apartment.“
„In Philomenas Apartment.“ Der Kellner nickte. „Geht klar.“
„Sie soll mich anrufen.“
„Kennt sie die Nummer?“
„Sie steht im Telefonbuch unter Paul Tassler.“
Der Kellner legte die Hand wie eine Muschel an sein Ohr. „Hä?“
Jo Dengelmann grinste. „Ist ein bisschen kompliziert, aber Jeanette kennt sich aus.“
8
Claudia Meeles betrat in schwarzen Kordhosen und cremefarbenem Pullover die große Wohnküche.
„Guten Morgen, Großmutter.“ Sie küsste die Sechzigjährige auf die faltige Wange.
„Guten Morgen, mein Kind.“ Barbara Brauneder schlug sechs Eier in die Pfanne, die auf dem Herd stand und in der sie zuvor den Frühstücksspeck angebraten hatte. Ein Geruch, der Claudias Appetit anregte, erfüllte die Küche.
„Ist Großvater schon auf?“, fragte das Mädchen.
„Er sitzt im Wohnzimmer und liest die Morgenzeitung.“
„Na, so was. Und ich dachte, ich wäre heute früher dran als er.“
Barbara Brauneder wischte die Hände an ihrer Kleiderschürze ab.
„Hast du gut geschlafen?“
„Nein.“
Frau Brauneder sah ihre Enkelin forschend an.
„Du siehst auch nicht besonders gut aus.“
„Ich fühle mich ein bisschen matt“, gab Claudia zu, „aber das vergeht bestimmt, sobald ich deinen guten, starken Kaffee getrunken habe.“
Barbara Brauneder drittelte die große Ham-and-eggs-Ration in der Pfanne und schob die Portionen mit einer Gabel auf die bereitgestellten Teller. Sie sah sich ihre Enkeltochter etwas genauer an.
„Kindchen, deine Augen glänzen“, stellte sie besorgt fest. „Du hast doch nicht etwa Fieber?“
„Glaube ich nicht. Höchstens ein bisschen erhöhte Temperatur.“
„Vielleicht brütest du irgendeine Krankheit aus.“
„Ach, nein, bestimmt nicht“, versicherte Claudia noch.
Sobald das Frühstück auf dem Tisch stand, zog Frau Brauneder ihre Kleiderschürze aus, hängte sie an einen Haken, der an der Küchentür befestigt war, und rief ihren Mann. Ludwig Brauneder erschien ohne Zeitung. Claudia begrüßte auch ihn mit einem Kuss auf die Wange.
Sie setzten sich, und Barbara Brauneder sagte zu ihrem Mann: „Claudia gefällt mir heute Morgen nicht, Ludwig.“
„So?“ Er musterte seine Enkeltochter. „Ich finde sie so hübsch wie immer.“
„Sie hat mit Sicherheit Fieber.“
„Fieber?“ Ludwig Brauneder musterte Claudia noch einmal.
„Doch nicht richtiges Fieber“, sagte das Mädchen.
„Sie sollte heute besser nicht arbeiten“ , erklärte Barbara Brauneder.
„Aber Großmutter ...“, protestierte Claudia.
„Wenn du meinst“, sagte der weißhaarige Mann zu seiner Frau. Die Kompetenzen waren im Hause Brauneder klar getrennt. Er war für alle finanziellen und geschäftlichen Belange zuständig und sie für ein behagliches Heim und das leibliche Wohl aller Familienmitglieder.
„Ich bin nicht so krank, dass ich nicht arbeiten könnte“, versuchte Claudia ihren Großeltern klarzumachen, aber sie kam damit nicht durch. Nach dem Frühstück musste sie sich den Fiebermesser unter den Arm klemmen.
„Aber nicht mogeln“, sagte Barbara Brauneder mit erhobenem Zeigefinger. Zehn Minuten später las sie von der Skala ab: „Siebenunddreißig acht. Na, bitte! Marsch, ins Bett mit dir!“
„Großvater ...“, sagte Claudia flehend.
Doch sie bekam keine Unterstützung von ihm.
„Du tust, was deine Großmutter dir sagt.“
„Aber im Büro liegt ein Haufen Arbeit. Den bewältigt Frau Wagner nicht allein.“
„Peter Werding wird sie unterstützen.“
„Aber der ist doch erst seit einer Woche in der Firma.“
„Er