„Kaffee ja. Kuchen nein.“
„Der Schwarzbeerkuchen ist sehr lecker.“
„Ich glaub ’s dir, aber ich kann nicht mehr.“ Dana legte die Hände auf ihren Bauch und stöhnte: „Ich bin satt. Ich bringe nichts mehr runter.“
„Okay, dann nur Kaffee “, sagte Dr. Härtling, stand auf und holte ihn.
17
Kaum musste Peter Werding dienstlich verreisen, ging es Claudia Meeles gleich nicht mehr so gut. Großvater hatte Peter nach Brüssel mitgenommen.
„Warum fährst du nicht mit Herrn Löffelmann?“, hatte Claudia protestiert. „Du bist doch früher immer mit Herrn Löffelmann gefahren.“
„Herrn Löffelmanns Frau ist hochschwanger“, hatte Ludwig Brauneder seine Entscheidung gerechtfertigt. „Sie kann jede Stunde ihr Baby bekommen. Er möchte dabei sein, wenn es soweit ist. Soll ich mich über diesen verständlichen Wunsch hinwegsetzen?“
„Nein“, hatte Claudia kleinlaut geantwortet. „Natürlich nicht.“
„Wir sind bald wieder zurück“, hatte ihr Großvater versprochen, und nun befand er sich mit Peter bereits drei Tage in Brüssel, und Claudia ging es nicht sehr gut. Ihr taten die Knochen weh. Sie war müde und abgeschlagen und hatte keinen Appetit. In der Nacht hatte sie auch wieder leichtes Fieber gehabt, aber davon erzählte sie ihrer Großmutter lieber nichts, sonst schickte diese sie eventuell sofort in die Paracelsus-Klinik.
War an ihrem quälenden Unwohlsein tatsächlich nur die Trennung von Peter schuld oder steckte mehr dahinter? War sie krank? Musste sie sich Sorgen machen? Sie redete sich ein, dass sie sich sofort wieder wohlfühlen würde, wenn sie ihren geliebten Peter wiederhatte.
Endlich hatte sie Zeit, sich mit Dana Härtling zu treffen, aber das bereute sie schon bald, denn die Sportsfreundin sprach auch von der Paracelsus-Klinik.
Ist das eine Verschwörung?, dachte sie leicht verstimmt. Alle möchten mich ins Krankenhaus schicken. Aber ich bin gesund. Mir fehlt nur Peter. Sobald er wieder bei mir ist, werde ich aufblühen wie eine Blume, die man ausreichend gießt. Ihr werdet es sehen. Ihr werdet es schon sehen!
Großvater und Peter kamen nach sieben Tagen zurück, und Claudia redete sich ein, dass sie sich wieder großartig fühlte, aber das stimmte nicht.
Ein unverhoffter Schwindelanfall wäre ihr im Straßenverkehr beinahe zum Verhängnis geworden. Sie hatte ihr Fahrrad gerade noch rechts ranfahren und anhalten können. Ihre Glieder waren schwer wie Blei, und jede Tätigkeit war für sie mühsam. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht. Sie konnte es vor sich selbst nicht länger leugnen.
Würde Dr. Härtling ihr helfen können? Vielleicht mangelte es ihrem Körper an irgendetwas, das man ihr in der Paracelsus-Klinik zuführen konnte. Möglicherweise benötigte sie eine Spritzenkur oder Infusionen. Das war nicht weiter schlimm. Wenn Danas Vater erst mal herausgefunden hatte, was ihr fehlte, würde es bis zur Genesung wohl nur ein kleiner Schritt sein.
Claudia wollte wieder ganz gesund sein. Für Peter. Um diesen wunderbaren jungen Mann mit ganzer Kraft lieben zu können. So, wie er es verdiente.
18
Vergrößerte Milz, Schmerzen in den Röhrenknochen, Blässe, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Schwindel, gelegentliches Fieber, Neigung zu den verschiedensten Blutungen ... Dr. Härtling war erschüttert. Danas Sportsfreundin hatte Leukämie! Ihr Körper produzierte die weißen Blutkörperchen im Übermaß! Ihr Blut war von Leukozyten überschwemmt!
Der Klinikchef dachte an seine jüngste Tochter Josee, die diese Krankheit auch gehabt hatte. Sie war wieder gesund geworden. Doch wie viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene hatte er schon sterben sehen, weil weder eine Strahlentherapie noch eine Behandlung mit Zystostatika, noch eine Knochenmarktransplantation - weil einfach nichts, absolut gar nichts gegriffen und den Krankheitsverlauf gestoppt hatte.
„Großer Gott!“, stöhnte Dr. Härtling, als er sämtliche Befunde vorliegen hatte, die ihm schwarz auf weiß bestätigten, was er eigentlich schon längst wusste.
Bei der Leukämie - Blutkrebs nennt der Volksmund diese heimtückische und gefährliche Krankheit - steigt die Zahl der weißen Blutzellen von normalerweise 6000 bis 8000 auf viele Hunderttausende im Kubikmillimeter Blut an, und dementsprechend wuchert das die weißen Blutkörperchen erzeugende Gewebe, wobei diese uferlose Vermehrung auf Kosten der roten Blutkörperchen geht, denn in dem Maße, wie unaufhaltsam weiße Blutkörperchen produziert und in den Blutstrom geworfen werden, geht die Produktion der roten dramatisch zurück.
Als Dr. Härtling den Großeltern eröffnete, was die gründliche Untersuchung ihrer siebzehnjährigen Enkeltochter ergeben hatte, brach Barbara Brauneder zusammen.
Claudia Meeles, die Betroffene selbst, ertrug die Nachricht mit unglaublicher Fassung. Dr. Härtling hatte den Eindruck, dass sie ihn nicht richtig verstanden hatte.
Begriff sie die Tragweite dessen nicht, was er gesagt hatte? Sie saß so gefasst vor ihm, als würde das alles jemand anderen betreffen. Einen Menschen, den sie nicht kannte, den sie noch nie gesehen hatte. Sicher, ein solches Schicksal ist immer traurig, wen immer es auch trifft, aber warum erzählte der Klinikchef ihr das?
Er erklärte ihr, was man alles tun könne, um ihr zu helfen, sprach von der Strahlentherapie, deren Ziel es sei, möglichst viele Leukämiezellen zu zerstören. Dies ließe sich sowohl durch eine lokale Strahlenanwendung als auch durch eine Ganzkörperbestrahlung erreichen.
Sie nickte zustimmend. Aber hörte sie ihm auch wirklich zu? Dr. Härtling erwähnte die intravenöse Zufuhr von Radionukliden zur Bestrahlung von innen. Und sie nickte wieder. Aber sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Jemand war krank. Bedauerlich. Schrecklich. Doch was hatte sie damit zu tun? Sie hörte von einer Chemotherapie der Leukosen mit Zystostatika und Gorticosteroiden. Medizinisches Kauderwelsch. Weshalb sollte sie sich damit belasten?
Dr. Härtling ließ das Dilemma, das immer das Gleiche war, unerwähnt: Wurde zu schwach behandelt, blieb die Rückbildung der weißen Blutkörperchen aus, wurde zu intensiv therapiert, ging das Knochenmark ein.
Ein grausamer Tod streckte nach diesem jungen, hübschen Mädchen, dessen Leben gerade angefangen hatte, seine knöchernen Klauen aus, doch sie schien nicht die geringste Angst vor ihm zu haben.
19
Einer von Philomenas Zierfischen war eingegangen und schwamm nun mit dem roten Bauch nach oben im Wasser. Jo Dengelmann holte ihn mit einem kleinen Netz aus dem Aquarium, verhalf ihm zu einer Wasserbestattung, indem er ihn im Klo hinunterspülte, und kaufte anschließend einen anderen, der genauso aussah wie sein Vorgänger und hoffentlich gesünder war und länger leben würde.
Paulchen Tassler, der Transvestit, der zur Zeit wegen Diebstahls einsaß, würde den fliegenden Wechsel nicht merken.
Dengelmann traf Bongo wieder in dessen Stammkneipe. Der Vierschrötige hatte eine mächtige Schlagseite und sprach mit schwerer Zunge undeutlich dummes Zeug. Obwohl er eigentlich bereits genug getankt hatte, hatte er gegen einen weiteren doppelten Korn nichts einzuwenden, solange jemand anders ihn bezahlte.
„Einer geht noch“, grölte er und legte grinsend den Arm um Jo Dengelmanns Schultern. „Einer geht noch rein ... Einer geht noch. Einer geht noch reeeiiin ...! Prost, mein Junge!“ Er hob sein Glas. „Der edle Spender lebe hoch!“ Er stieß mit Dengelmann an und kommandierte: „Hau wech!“ Dann setzte er das Schnapsglas an die Lippen und trank den Hochprozentigen mit einem Schluck. „Du kommst mir heute wie gerufen, Kamerad. Ich bin gerade dabei, Heike schönzusaufen. Heike. Du weißt schon. Die mit dem Silberblick, der langen Nase, Zähne und den Säbelbeinen. Ich treffe sie in einer Stunde.“ Er musterte Jo Dengelmann mit seinen glasigen Augen. „Jeanette schon gefunden?“