„Ich glaube, den Wunsch wird Petrus dir erfüllen.“
Dana schloss den Wagen auf. Sie stellten ihre Tennisbags auf die Rücksitze und stiegen ein.
4
Auch über Hamburg war der Himmel postkartenblank. Sommerlich gekleidet flanierten die Menschen über die Landungsbrücken. Touristen machten die obligate Hafenrundfahrt mit, ruhten sich in den Straßencafés aus und schrieben Ansichtskarten an Familie und liebe Freunde.
Die Reeperbahn war bei Tag so gut wie nicht vorhanden, war bloß eine Straße von vielen. Der halbseidene Glanz erstrahlte erst, wenn die Sonne sich verabschiedet und dem Mond Platz gemacht hatte. Bongo (kaum einer wusste, wie er wirklich hieß) lümmelte am Tresen seiner Stammkneipe und hatte seinen x-ten Korn vor sich stehen.
Ein Koloss von einem Mann, von Kopf bis Fuß tätowiert - ein wandelndes Bilderbuch. Fäuste wie Bud Spencer und ebenso rauffreudig wie dieser in seinen Filmen. Sein Kopf war kahlgeschoren und glänzte wie eine Billardkugel. Soeben fuhr er sich mit der Hand darüber, als wollte er sich streicheln, weil er so brav einen Korn nach dem anderen vernichtete.
Ein blonder Bursche von schätzungsweise dreiundzwanzig Jahren trat durch die Tür.
„Hallo, Bongo.“
„Na, Jo.“
Jo Dengelmann setzte sich neben den Hünen. Blonde Igelfrisur, Hemd bis zum Bauchnabel offen, dicht behaarte Brust, sechs oder sieben Goldketten um den Hals.
„Wie geht’s?“
Bongo griente. „Gestern ging’s noch.“
„Was dagegen, wenn ich dir ’nen Drink spendiere?“
„Nicht das Geringste.“
Jo wandte sich an den Wirt. „Zwei Korn.“
„Doppelte“, forderte Bongo.
Jo nickte. „Doppelte.“
„Was läuft denn so, Kumpel?“, fragte Bongo und leerte sein Glas, um das nächste in Empfang zu nehmen.
Jo grinste schief. „Das fragst du mich?“
Bongo tippte sich an die Stirn. „Ach ja, du warst ja auf Urlaub.“
„Bin seit einer Woche auf Bewährung raus“, erklärte Jo.
„Dann würde ich mich an deiner Stelle nicht mit mir blicken lassen.“
Jo boxte den anderen leicht gegen die Rippen.
„Ich verleugne doch meine alten Freunde nicht. Das kann niemand von mir verlangen.“
Sie hoben ihre Schnapsgläser und prosteten einander zu.
„Wie war’s denn da, wo du warst?“, erkundigte sich Bongo.
Jo schürzte die Unterlippe.
„Nicht so übel. Hab’ ’ne Menge guter Bekannter getroffen. Ich soll dich von Einauge grüßen.“
„Wann kommt der denn wieder raus?“
„Er hat noch ein halbes Jahr“, antwortete Jo Dengelmann. „Weißt du, wo Jeanette ist?“
„Hab’ sie seit einem Monat nicht gesehen.“
„Ist sie noch mit Käppi zusammen?“
„Nee, den hat sie in die Wüste geschickt.“
„Weshalb?“
„Er hat zu viel gekokst.“
Jo Dengelmann schüttelte den Kopf.
„Ist ein Jammer, wenn einer fortwährend die Nase in den Schnee steckt.“
Bongo grinste. „Da ist Schlucken billiger.“ Er trank gleich wieder. Seine Augen glänzten wie Glasmurmeln. „Weshalb suchst du Jeanette?“
Jo hob die Schultern.
„Ich möchte, dass sie mir einen Gefallen tut.“
„Was Kriminelles?“
„Nun ja ...“, dehnte Jo.
„Verstehe. Ich werd’ versuchen, sie für dich aufzutreiben.“
„Danke, Bongo.“
„Dank mir nachher - wenn ich sie gefunden habe. Wo bist du zu erreichen?“
„Ich wohne in Philomenas Apartment“, antwortete Jo Dengelmann.
Philomena hieß eigentlich Paul Tassler und war kein Mädchen, sondern ein Mann, der sich gerne auffallend schminkte und enge Frauenkleider trug. Der Transvestit hatte sich zum wiederholten Male beim Stehlen erwischen lassen und saß zur Zeit die Haftstrafe ab, zu der das Gericht ihn gnadenlos verdonnert hatte.
Bongo nickte und sagte: „Du hörst von mir.“
5
„So, da sind wir“, sagte Dana Härtling und ließ den Wagen vor dem Büroblock des Zeitschriftenvertriebs ausrollen.
Ludwig Brauneder, ein hagerer Mann von zweiundsechzig Jahren, kam soeben aus der Vertriebshalle. Sein immer noch sehr dichtes Haar leuchtete in der Sonne wie frisch gefallener Schnee. Als er Claudia und Dana erkannte, ging er auf den roten Kleinwagen zu. Die Mädchen stiegen aus.
„Da bin ich wieder, Großvater“, sagte Claudia Meeles und holte ihre Tennistasche aus dem Wagen.
„Guten Tag, Herr Brauneder“, grüßte Dana und gab ihm die Hand.
„Dana“, gab Ludwig Brauneder erfreut zurück. „Schön, Sie zu sehen.“ Er grinste. „Hat Claudia Sie endlich mal geschlagen?“
,,Leider wieder nicht“, seufzte seine Enkelin.
„Aber sie hat gute Ansätze gezeigt“, stellte Dana lächelnd fest.
Der weißhaarige Mann wandte sich an Claudia: „Wir hatten einen Computerabsturz.“
Sie erschrak. „Lieber Himmel, wer hat ihn verschuldet?“
Ihr Großvater seufzte. „Na, wer schon?“
„Wieder Frau Wagner?“
Ludwig Brauneder nickte. Claudia sah Dana an.
„Frau Wagner ist fünfundfünfzig und hasst Computer wie die Pest. Wenn man ihr etwas zu erklären versucht, macht sie sofort alle Schotten dicht, so dass nichts zu ihr durchdringen kann. Und wenn ihr dann so ein Malheur passiert, bricht sie in Tränen aus und ist zutiefst verzweifelt.“
„Sie weint noch immer“, sagte Herr Brauneder. „Ich wollte sie nach Hause schicken, aber sie weigert sich, zu gehen.“
„Was ist mit dem Computer?“, fragte Claudia.
„Der läuft seither nicht mehr einwandfrei.“
„Na, dann will ich mal sehen, was ich tun kann.“ Claudia richtete ihren Blick auf Dana Härtling. „Ich muss was tun. Danke noch mal fürs Bringen.“
„Hoffentlich findest du den Fehler“, meinte Dana. „Ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen.“ Sie nickte Claudias Großvater zu. „Auf Wiedersehen, Herr Brauneder.“
„Auf Wiedersehen, Dana.“
Die Arzttochter stieg wieder in den Wagen und fuhr nach Hause. Claudia und ihr Großvater begaben sich in den Bürotrakt. Senta Wagner saß mit rotgeweinten Augen an ihrem Schreibtisch.
Damit