City of Fallen Angels. Cassandra Clare. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cassandra Clare
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Chroniken der Unterwelt
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401801322
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Gott. Simon. Es tut mir so leid. Ich hätte etwas bemerken müssen. Wir werden dir Hilfe besorgen. Wir werden irgendjemanden finden, der dich behandeln kann. Ein Arzt. Ganz egal, was es kostet…«

      »Mom, ich kann zu keinem Arzt gehen.«

      »Doch, natürlich kannst du das. Du musst irgendwo untergebracht werden. Vielleicht in einem Krankenhaus…«

      Ruhig streckte Simon ihr seine Hand entgegen. »Fühl mal meinen Puls«, sagte er.

      Verwirrt schaute sie ihn an. »Wie bitte?«

      »Mein Puls«, wiederholte er. »Fühl ihn. Wenn ich einen Herzschlag habe, werde ich mit dir zum Krankenhaus fahren. Wenn aber nicht, dann musst du mir einfach glauben.«

      Elaine Lewis wischte sich die Tränen aus den Augen und griff zögerlich nach Simons Handgelenk. Nachdem sie Simons Vater über so lange Zeit gepflegt hatte, wusste sie so gut wie jede Krankenschwester, wie sie den Pulsschlag überprüfen musste: Sie drückte die Kuppe ihres Zeigefingers gegen die Innenseite seines Handgelenks und wartete.

      Simon sah zu, wie sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht veränderte – von Kummer und Sorge zu Verwirrung und dann zu schierem Entsetzen. Sie sprang auf, ließ seine Hand fallen und wich vor ihm zurück. Ihre Augen wirkten riesig und dunkel in ihrem kreidebleichen Gesicht. »Was bist du?«, stieß sie hervor.

      Simon fühlte sich elend. »Das hab ich doch schon erklärt. Ich bin ein Vampir.«

      »Du bist nicht mein Sohn. Du bist nicht Simon.« Seine Mutter zitterte am ganzen Körper. »Welche Sorte von Lebewesen hat denn keinen Puls? Was für eine Art von Monster bist du? Was hast du mit meinem Kind gemacht?«

      »Mom, ich bin’s, Simon…« Zaghaft ging er einen Schritt auf sie zu.

      Doch seine Mutter stieß einen Schrei aus. Nie zuvor hatte Simon sie so kreischen gehört und er hoffte, dass er das auch nie wieder erleben musste. Es war ein grauenhafter Schrei.

      »Geh weg!« Ihre Stimme brach. »Komm ja nicht näher.« Und dann wisperte sie: »Barukh atah Adonaj shome’a Tfilah…«

      Mit einem Schlag wurde Simon klar, dass sie ein Gebet haspelte. Sie fürchtete sich so sehr vor ihm, dass sie betete, er möge verschwinden… für immer verbannt werden. Und das Schlimmste daran war, dass er es förmlich spüren konnte. Der Name Gottes bereitete ihm ein mulmiges Gefühl im Magen und ließ seine Kehle brennen.

      Sie hatte allen Grund zu beten, dachte er, bis ins Mark erschüttert. Denn er war verflucht. Er gehörte nicht in diese Welt. Welche Sorte von Lebewesen hat denn keinen Puls?

      »Mom«, wisperte er. »Mom, hör auf.«

      Mit großen Augen schaute sie ihn an, während ihre Lippen sich weiterhin bewegten.

      »Mom, du brauchst dich nicht aufzuregen.« Simon hörte seine eigene Stimme wie aus weiter Ferne, sanft und beruhigend – die Stimme eines Fremden. Er schaute ihr direkt in die Augen, während er mit ihr sprach, und hielt sie durch den engen Blickkontakt gefangen, so wie eine Katze eine Maus hypnotisiert. »Es ist nichts passiert. Du bist in deinem Sessel im Wohnzimmer eingeschlafen. Und du hattest einen Albtraum. Du hast geträumt, ich wäre nach Hause gekommen und hätte behauptet, ich sei ein Vampir. Aber das ist natürlich Unsinn. So etwas würde niemals geschehen.«

      Seine Mutter hatte aufgehört zu beten, blinzelte nun einmal und starrte ihn gebannt an. »Ich träume«, wiederholte sie.

      »Ja, ein schlechter Traum«, bestätigte Simon, ging langsam auf sie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Dieses Mal wich sie nicht zurück; stattdessen sackte ihr Kopf nach vorn, wie bei einem müden Kind. »Alles nur ein Traum. Du hast in meinem Zimmer rein gar nichts gefunden. Es ist nichts passiert. Du hast einfach nur geschlafen, das ist schon alles.«

      Behutsam nahm er ihre Hand. Widerstandslos ließ sie sich von ihm ins Wohnzimmer führen, wo er sie sanft in einen Sessel drückte. Sie lächelte, als er ihr eine Decke über die Beine legte, und schloss dann die Augen.

      Simon kehrte in die Küche zurück und stopfte die Flaschen und leeren Blutbeutel schnell und methodisch in einen Müllbeutel, den er zuknotete und mit in sein Zimmer nahm. Dort wechselte er seine blutbespritzte Jacke rasch gegen eine saubere aus und warf ein paar Klamotten in eine Reisetasche. Dann schaltete er das Licht aus und zog die Zimmertür hinter sich zu.

      Als er das Wohnzimmer betrat, schlief seine Mutter bereits tief und fest. Vorsichtig streckte er seine Finger aus und berührte sie leicht an der Hand.

      »Ich werde für ein paar Tage fort sein«, wisperte er. »Aber du wirst dir keine Sorgen machen. Denn du erwartest mich nicht so bald zurück. Du glaubst, ich bin auf einem Schulausflug. Es besteht kein Grund, mich anzurufen. Alles ist in bester Ordnung«, fügte er hinzu und zog seine Hand fort.

      Im schwachen Licht des Wohnzimmers erschien seine Mutter zugleich älter und jünger als zuvor. Tief unter die Decke gekuschelt, wirkte sie so klein wie ein Kind, aber auf ihrem Gesicht zeichneten sich mehr Falten ab, als er jemals an ihr gesehen hatte.

      »Mom«, flüsterte er.

      Erneut berührte er ihre Hand, woraufhin sie sich unter der Decke regte. Da er sie nicht wecken wollte, zog er seine Finger hastig zurück. Dann ging er lautlos zur Haustür und nahm seine Schlüssel von dem kleinen Tisch, ehe er die Tür leise hinter sich ins Schloss zog.

      Im Institut herrschte Stille. Neuerdings war es hier immer so still. Jace hatte sich angewöhnt, mit offenem Fenster zu schlafen, sodass der gedämpfte Lärm des Straßenverkehrs, die gelegentliche Blaulichtsirene eines Krankenwagens und das Hupen der Fahrzeuge auf der York Avenue zu ihm ins Zimmer wehten. Aber er konnte auch Dinge hören, die Irdische nicht wahrnahmen, und diese Dinge drangen durch die Nacht und bis in seine Träume – der Luftstrom eines fliegenden Vampirmotorrads, das Flattern von Elbenschwingen, das weit entfernte Heulen von Wölfen bei Vollmond.

      Im Augenblick hing allerdings nur eine breite Mondsichel am Himmel und warf gerade genug Licht, dass Jace in ihrem schwachen Schein lesen konnte. Er lag auf dem Bett, das Silberkästchen seines Vaters aufgeklappt vor sich, und sichtete den Inhalt. Eine der Stelen, die einst seinem Vater gehört hatten, lag darin, daneben ein silberbeschlagener Jagddolch mit den Initialen SWH auf dem Griff und ein Stapel Briefe – die Jace ganz besonders interessierten.

      Im Laufe der vergangenen sechs Wochen hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Abend einen oder zwei Briefe zu lesen, in der Hoffnung, ein Gefühl für den Mann zu bekommen, der sein biologischer Vater gewesen war. Vor seinem inneren Auge hatte sich allmählich ein Bild geformt – das Bild eines nachdenklichen jungen Mannes mit ehrgeizigen Eltern, der sich zu Valentin und seinen Gefolgsleuten hingezogen fühlte, weil sie ihm scheinbar die Gelegenheit boten, sich vor der Welt zu beweisen. Stephen Herondale hatte Amatis selbst nach der Scheidung noch geschrieben – ein Umstand, den sie mit keinem Wort erwähnt hatte. In diesen Briefen kam seine Enttäuschung über Valentin und seine Ablehnung gegenüber den Aktivitäten des Kreises deutlich zum Ausdruck; allerdings erwähnte er Jace’ Mutter, Celine, nur selten, wenn überhaupt. Was in gewisser Weise nur logisch war – schließlich hatte Amatis wohl kaum Neuigkeiten über ihre Nachfolgerin hören wollen. Und dennoch konnte Jace nicht anders, als seinen Vater dafür ein wenig zu hassen. Wenn ihm seine Mutter gleichgültig gewesen war, warum hatte er sie dann überhaupt geheiratet? Wenn er den Kreis so sehr verabscheut hatte, warum war er dann nicht ausgetreten? Valentin war zwar ein Irrer gewesen, aber zumindest hatte er zu seinen Prinzipien gestanden.

      Doch diese Gedanken sorgten nur dafür, dass Jace sich noch schlechter fühlte, weil er Valentin seinem richtigen Vater vorzog. Was machte das für einen Menschen aus ihm?!

      Ein leises Pochen an der Tür riss ihn aus seinen Selbstzerfleischungen. Er rappelte sich auf und durchquerte den Raum, in der Erwartung, Isabelle im Flur vorzufinden, die mal wieder irgendetwas von ihm leihen oder sich über irgendetwas beschweren wollte.

      Aber vor der Tür stand nicht Isabelle, sondern Clary.

      Sie trug andere Kleidung als üblich: ein tief ausgeschnittenes schwarzes Trägertop, darüber eine weiße, locker zusammengeknotete Bluse