Im Jahr darauf startete auch die zierliche, 23 Jahre alte Wilhelmine Reichard, die inzwischen wie ihr Ehemann vom Fliegen träumte, ihre Karriere als Ballonfahrerin, in der sie insgesamt siebzehn »Luftreisen« unternehmen sollte. Sie bekannte: »Schon bei dem ersten Aufsteigen meines Mannes lag ich ihm an, mich zur Begleiterin zu nehmen; allein da er die mit einem solchen Unternehmen verbundene Gefahr noch nicht aus eigner Erfahrung kannte, so trug er Bedenken, daß ich sie mit ihm theilen sollte, versprach mir aber, daß so bald er mich mit allen erforderlichen Vorsichtsmaßregeln praktisch bekannt machen könne, er alsdann meinen Wunsch zu erfüllen bereit sey.« Am 16. April 1811 war es soweit – sie stieg in Berlin als erste deutsche Frau mit einem Freiballon auf. Ihr Ehemann hatte diesen Aufstieg genauso wie die noch folgenden sorgfältig vorbereitet. Die zweite Fahrt folgte bereits am 2. Mai. Danach siedelte die Familie Reichard nach Dresden über, wo Wilhelmine Reichard am 30. September zu ihrer dritten abenteuerlichen Ballonfahrt startete. Während die ersten beiden Fahrten problemlos verliefen, stürzte sie bei ihrer dritten Fahrt ab. Unter schlechtesten Witterungsbedingungen aufgestiegen, erreichte sie zwar die Rekordhöhe von etwa 7800 Metern, aber sie verlor wegen des Sauerstoffmangels dabei das Bewusstsein und der Ballon zerriss. Sie erlangte noch einmal kurz das Bewusstsein, wie sie sich später erinnerte: »Ich erwachte nur noch auf einen Augenblick, und dieser war der schrecklichste meines Lebens. Ich fand mich in dem Schiffchen liegend, und das Barometer war meinen Händen entsunken. (…) Mein Blick fiel sogleich auf den Ball. Man denke sich, welches Entsetzen mich ergriff, als ich ihn gänzlich zersprengt, alles Gases entledigt, und stückweise durch das zerrissene Netz flattern sah.« Glücklicherweise trug sie von dem Absturz in der Nähe von Saupsdorf keine lebensgefährlichen Verletzungen davon, da der Ballon in einigen jungen Fichten hängen blieb. Über alle drei Fahrten veröffentlichte Wilhelmine Reichard ausführliche Berichte.
Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege zog die Familie, die inzwischen auf drei Kinder angewachsen war, nach Döhlen, wo die Reichards eine eigene chemische Fabrik gründen wollten. Döhlen ist heute ein Stadtteil von Freital. 1815 erhielten sie die Konzession zur Errichtung einer Fabrik zur Herstellung von »technisch- und pharmaceytisch-chemischen Producten«.
Da das Ehepaar Reichard noch finanzielle Mittel für den Fabrikbau benötigte, begannen sie beide 1816 wieder mit dem Ballonfahren, das sie nun ausdrücklich als Einnahmequelle nutzen wollten. Jeder Aufstieg erhielt ein publikumswirksames »Rahmenprogramm«. Ballonfahrten waren damals, noch dazu, wenn sie von Frauen durchgeführt wurden, eine beliebte Attraktion. Wilhelmine Reichard selbst war ganz begeistert von diesen Erlebnissen, wenn sie »gleich einem Sonnenstäubchen im Weltall« schwebte und ihrer »Winzigkeit sich so augenscheinlich bewusst« wurde. Am 22. Juli 1816 absolvierte Wilhelmine Reichard von Berlin aus nach Fürstenwalde eine der ersten Zielfahrten mit dem Freiballon. Es wurde zugleich mit einer Dauer von dreieinhalb Stunden ihre längste Ballonfahrt überhaupt. Bei der fünften Fahrt am 29. August legte sie von Hamburg aus ca. 225 km zurück, die weiteste von ihr zurückgelegte Strecke. 1817 musste sie wegen ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihres fünften Kindes im Oktober eine Pause einlegen. Erst im August 1818 konnte Wilhelmine Reichard mit ihren Ballonfahrten zum Gelderwerb für den geplanten Fabrikbau fortfahren. 1819 und 1820 feierte sie noch weitere Triumphe als »Luftschifferin«. Ihrer vierzehnten Fahrt am 30. Mai 1820 in Prag wohnte der österreichische Kaiser Franz I. bei, der sie zu zwei weiteren Aufstiegen nach Wien einlud. Bei der Fahrt am 10. August in Wien wurde diese Fahrt vom Boden aus von der Universitäts-Sternwarte und von der Triangulierungsdirektion auf dem Leopoldsberg astronomisch vermessen, wobei die Flugbahn des Ballons tabellarisch und graphisch aufgezeichnet wurde. Dies war damals ein Novum. Der finanzielle Ertrag der Fahrten war überaus lohnend. Am 1. Oktober 1820 beendete Wilhelmine Reichard ihre Ballonfahrt-Karriere in München, wohin sie König Max I. Joseph eingeladen hatte. Bei diesem Aufstieg zum Oktoberfest unternahm sie ihre Fahrt in einem bayerischen Trachtenkleid, das sie geschenkt bekommen hatte. Nach diesem letzten Auftritt widmete sie sich ganz ihren familiären Aufgaben.
Im Jahr darauf gründete ihr Ehemann seine chemische Fabrik in Döhlen, wozu Wilhelmine Reichard einen wesentlichen finanziellen Beitrag geleistet hatte. Diese Fabrik, die für Jahrzehnte die einzige ihrer Art in Sachsen blieb, stellte vor allem Schwefelsäure her. Das folgende Jahrzehnt war von dem Ausbau der Fabrik geprägt, wobei Wilhelmine Reichard ihrem Mann immer eine »bereite und sorgsame Rathgeberin« war. 1834 brachte sie ihr achtes und letztes Kind, Tochter Louise, zur Welt. Als ihr Ehemann 1844 unerwartet verstarb, war dies nach fast 37-jähriger Ehe ein harter Schlag für Wilhelmine Reichard: »Die Leute sagen ‚Die Zeit lindere jeden Schmerz!’ Darinn soll Trost liegen, für mich liegt das Gegentheil darinn!« Finanzielle Sorgen kamen hinzu. Die Fabrik wurde von den beiden Söhnen August und Gottfried weitergeführt. Am 23. Februar 1848 verstarb Wilhelmine Reichard in Dresden an den Folgen eines Schlaganfalls.
Ida Pfeiffer
* 1797 in Wien
† 1858 in Wien
Weltreisende und Reiseschriftstellerin
»Sie haben Unglaubliches durchgeführt.«
(Alexander von Humboldt)
»Ich genieße wahrlich einen Weltruf. Welche Unterstützungen würde man mir zukommen lassen, hätte ich nicht das Unglück eine Oesterreicherin zu sein. Meine Regierung thut wenig, meine Landsleute garnichts; – ich muß jetzt, wie auf meiner ersten Reise, das Kreutzerchen zehnmal umwenden, bis ich ihn ausgebe, Entbehrungen erdulden, die man oft mit kleinen Summen umgehen könnte.« Als die Forschungsreisende Ida Pfeiffer dies 1852 schrieb, galt sie als Ausnahmeerscheinung, da eine Frau der Biedermeierzeit nicht alleine ausgedehnte Reisen unternahm – dies entsprach nicht den gesellschaftlichen Normen. Trotzdem fand sie öffentliche Anerkennung: Mehrere neu entdeckte Tiere, die sie gesammelt hatte, wurden nach ihr benannt. Durch ihre Reiseberichte war sie der internationalen Fachwelt ein Begriff geworden. Als erste Frau wurde sie Ehrenmitglied der »Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin«. Eine besondere Ehre widerfuhr der Wienerin in Preußen zudem durch die Verleihung der Goldenen Medaille für Wissenschaft und Kunst durch König Friedrich Wilhelm IV. Auch die Société de Géographie de Paris machte sie wie die kaiserlich-königliche Geographische Gesellschaft in Wien zum Ehrenmitglied.
Die am 14. Oktober 1797 in Wien geborene Ida Reyer war die Tochter des Textilfabrikanten Aloys Reyer und von dessen Ehefrau Anna von Schwernfeld. Unter dem Einfluss des Vaters erhielt sie die gleiche männlich geprägte Erziehung wie ihre Brüder. Später erinnerte sie sich: »Ich war nicht schüchtern, sondern wild wie ein Junge und beherzter und vorwitziger als meine älteren Brüder.« Mit Begeisterung las Ida Reiseberichte und träumte davon, fremde Länder kennen zu lernen. Als die Mutter sie nach dem Tod des Vaters 1806 zu ihrer »wahren weiblichen Bestimmung« erziehen wollte, kam es zu heftigen Gegenreaktionen der Tochter. Erst dem Hauslehrer Emil Trimmel gelang es, sie mit ihrer Rolle als Mädchen zu versöhnen. Seinem Heiratsantrag 1814 verweigerte die Mutter aber die Zustimmung, da er in ihren Augen keine gute Partie darstellte, und sie untersagte der verliebten Ida alle weiteren Kontakte zu ihm.
Um den schwierigen häuslichen Verhältnissen zu entkommen, ging Ida Reyer im Mai 1820 eine Vernunftehe mit dem verwitweten und gut situierten Anwalt Dr. Mark Anton Pfeiffer aus Lemberg ein. Aus der nicht sehr glücklichen Ehe stammten zwei Söhne. Nachdem ihr Ehemann wegen finanzieller Schwierigkeiten seine Kanzlei schließen musste, lebte das Paar meist getrennt. Unter schwierigsten ökonomischen Bedingungen kümmerte sich Ida Pfeiffer um