Grace Kelly, Fürstin Gracia Patricia
Vorwort
Der vorliegende Band ist als Fortsetzung zu dem 2007 erschienenen ersten Band angelegt und bildet gleichzeitig auch dessen Abschluss. Während in dem von Martha Schad verfassten ersten Band berühmte Frauen von der Antike bis zum 17. Jahrhundert vorgestellt wurden, wird in dem zweiten Band die Reihe mit Porträts vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart fortgesetzt.
Die in diesem Buch zusammengeführten Kurzporträts präsentieren die Biographien von 51 international bekannten und interessanten Frauen. Der Bogen spannt sich von Monarchinnen und Premierministerinnen, über Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, Frauenrechtlerinnen und Sportlerinnen bis zu Spioninnen, Attentäterinnen und Hexen. Die getroffene Auswahl muss dabei immer subjektiv bleiben, da es eine Vielzahl anderer Frauen gibt, die mit dem gleichen Recht in diesen Band hätten aufgenommen werden können, da sie ebenfalls ein faszinierendes Leben führten und herausragende Leistungen vollbrachten. Hauptkriterium für die Auswahl war der Wunsch, eine möglichst große Bandbreite zu erreichen und so Frauen aus den unterschiedlichsten Berufen und Lebensbereichen vorstellen zu können.
Barbara Beck, August 2008
Anna Göldi
* 1734 in Sennwald
† 1782 in Glarus
Dienstmagd und »Hexe«
»Gleichwohl, um das Gelächter zu vermeiden, beschloss man, sie nicht unter dem Titel der Hexe, sondern unter einem andern (…) aus der Welt zu schaffen.«
(Wilhelm Ludwig Wekhrlin)
Hexenverfolgungen und Hexenprozesse fanden in Mitteleuropa vom 14. bis zum 18. Jahrhundert statt. Geahndet wurde dabei schadenstiftende und teuflische Zauberei. Alle nicht erklärbaren Ereignisse und alles auf natürlichem Weg nicht begründbare Unglück wurden dem Wirken von Hexen und Unholden zugeschrieben. Der Hexenwahn, dem in Europa etwa 40.000 bis 60.000 Menschen zum Opfer fielen, fand erst im Zuge der Aufklärung ein Ende. Vor allem Frauen waren dabei bevorzugte Opfer der Hexenverfolgungen – sie bildeten etwa achtzig Prozent der Verurteilten. In der Mehrzahl entstammten die Verfolgten den sozialen Unterschichten.
Die am 24. Oktober 1734 in Sennwald geborene Anna Göldi entstammte ärmlichen Verhältnissen. Ihre Eltern waren der Messmer und Scherenschleifer Adrian Göldi und Rosina Bühler. Seit ihrer frühen Jugend musste das Mädchen selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen, indem es als Dienstmagd arbeitete. Bevor sie nach Glarus kam, wurde Anna Göldi zwei Mal Mutter von unehelichen Kindern. Da ihr erstes heimlich geborenes Kind 1765 bereits in der ersten Nacht starb, wurde sie wegen Kindsmordes mit Prangerstehen und Hausarrest bestraft. Über das Schicksal des 1775 in Straßburg geborenen Sohnes, der aus einer anderen Liebesbeziehung stammte, ist nichts bekannt.
Im September 1780 trat sie ihren Dienst bei dem Arzt, Ratsherrn, Richter und Regierungsrat Dr. Johann Jakob Tschudi in Glarus an. Die Familie Tschudi gehörte zu den reichsten und einflussreichsten Herrschaftsgeschlechtern im protestantischen Kanton Glarus. Nach einem Streit mit der verwöhnten achtjährigen Tochter Anna Maria Tschudi, genannt Annamiggeli, fanden sich im Oktober 1781 mehrmals Stecknadeln in der Milchtasse des Kindes. Man beschuldigte die Magd, die Nadeln hineingelegt zu haben, und entließ Anna Göldi trotz ihrer Unschuldsbeteuerungen. Auf die Beschwerde der Magd reagierte die Obrigkeit ungehalten. Als das kleine Mädchen Wochen nach der Entlassung mehrfach Nadeln und Nägel auszuspucken begann und unter heftigen krampfartigen Zuckungen litt, kam rasch der Verdacht auf, dass Anna Göldi das Kind »verderbt« habe. Aus den Erzählungen des Annamiggeli schloss man, dass die Nadeln und Drahtstücke durch ein von der Magd verabreichtes »Leckerlein« in den Körper des Mädchens gelangt seien.
Als treibende Kraft hinter Göldis Verhaftung und dem folgenden Prozess entpuppte sich ihr Dienstherr Dr. Tschudi. Offensichtlich war er besorgt, dass ihm ein Verhältnis mit seiner Dienstmagd zur Last gelegt werden könnte. Da überführte Ehebrecher als unfähig galten, ein politisches und richterliches Amt zu bekleiden, lag es nahe, dass Johann Jakob Tschudi die Göldi mundtot machen wollte.
In dem Steckbrief des Kantons Glarus vom 9. Februar 1782 wurde Anna Göldi, die inzwischen außer Landes lebte, folgendermaßen beschrieben: »Anna Göldin (…), ohngefähr 40. Jahr alt, dicker und grosser Leibsstatur, vollkommnen und rothlechten Angesichts, schwarzer Haaren und Augbraunen, hat graue etwas ungesunde Augen, welche meistens rothlecht aussehen, ihr Anschauen ist niedergeschlagen, und redet ihre Sennwälder Aussprach, tragt eine modenfarbne Jüppen, eine blaue und eine gestrichelte Schos, darunter eine blaue Schlingen- oder Schnäbeli-Gestalt, ein Damastenen grauen Tschopen, weis castorin Strümpf, ein schwarze Kappen, darunter ein weisses Häubli, und tragt ein schwarzes Seidenbettli.«
Noch im Februar 1782 wurde Anna Göldi in Degersheim verhaftet und nach Glarus überführt. Auf Betreiben Dr. Tschudis wurde der Fall vor dem Evangelischen Rat, nicht vor dem Gemeinen Rat verhandelt, der für landesfremde Personen zuständig war. Über Leben und Tod der Angeklagten entschied somit ein Gericht, das dafür gar nicht zuständig war. Zu den Räten im Evangelischen Rat besaß Dr. Tschudi beste Kontakte und Verwandtschaftsbeziehungen.
Da ein Teufelsbanner die Meinung vertreten hatte, nur die Verderberin des Kindes könne dieses wieder heilen, wurde so lange Druck auf die Inhaftierte ausgeübt, bis diese sich dazu bereiterklärte. Zunächst hatte Anna Göldi dies mit den Worten abgelehnt: »Wie soll ich dem Kinde helfen, da ich ihm doch gar nichts zu Leide getan habe.« Als die Wunderheilung gelang, wurde dies als ein Beweis angesehen, dass die Magd mit mehr als natürlichen Kräften begabt war. Sie hatte damit unwillentlich den vollen Schuldbeweis geliefert.
In dem Prozess gab die Dienstmagd nach stundenlangen Verhören und unter der schweren Folter zu, die Kräfte des Teufels zu nutzen. In der Urteilssprechung wurde aber der Vorwurf der Hexerei vermieden, stattdessen die »ausserordentliche und unbegreifliche Kunstkraft« der Angeklagten hervorgehoben. Bei der Frage, ob man Anna Göldi zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe oder zum Tod verurteilen solle, entschied sich der Rat für Letzteres, da Glarus kein Zuchthaus besaß. Eine Zuchthausstrafe hätte nur in Zürich vollzogen werden können. Da die Glarner Richter befürchteten, dass die Göldi in Zürich alles widerrufen könnte, verurteilte sie der Rat am 6. Juni 1782 als Giftmörderin zum Tod durch das Schwert. Am 13. Juni wurde das Urteil vollstreckt und Anna Göldis Leichnam unter dem Galgen verscharrt.
Anna Göldi war jedoch, wie dies bei solchen Prozessen häufig geschah, nicht das einzige Opfer geblieben, denn durch die Erzählungen der Tschudi-Tochter wurde auch der mit Anna Göldi bekannte Schlossermeister Rudolf Steinmüller der Mittäterschaft verdächtigt und Ende März 1782 verhaftet. Als der alte Mann erkennen musste, dass das Gericht nicht an der Wahrheit interessiert war, sondern nur sein Geständnis haben wollte, beging er am 12. Mai 1782 in seiner Zelle Selbstmord.
Trotz strenger Pressezensur sorgte der Göldi-Fall für Aufsehen und wurde zum Ärger des Glarner Rates als Justizmord gegeißelt. Der Begriff des Justizmordes wurde in diesem Zusammenhang überhaupt erstmals