Ein weiterer Aktivist aus dem Identity-Milieu, der Texaner Louis Beam, geboren 1946, versuchte, für diese Kampfesform des individuellen Terrors ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Mit Beam wurde der amerikanischen Rechten nicht nur ein leidenschaftlicher Rhetoriker, sondern auch ein durchaus scharfsichtiger Stratege beschert. Der Vietnamkriegsveteran durchlief diverse faschistoide Organisationen, so den Ku-Klux-Klan, die Aryan Nations und The Order. Beam legte eine Militanz an den Tag, welche zunächst die Aufmerksamkeit der Behörden erregte, dann, Ende der 80er-Jahre, wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. 1987 kam es vor dem Bundesgeschworenengericht von Fort Smith/Arkansas zu einem viel beachteten Prozess wegen »aufrührerischer Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten«. Insgesamt vierzehn mehr oder minder prominente Rechtsradikale waren angeklagt; einer der Hauptbeschuldigten: Louis Beam. Ihm und seinen Kombattanten wurde der Raub von über vier Millionen Dollar, das illegale Horten von Waffen sowie je ein Attentat auf ein jüdisches Gemeindezentrum und eine Gaspipeline zur Last gelegt. Das Verfahren geriet der Justiz freilich zur Blamage: 1988 mussten alle Angeklagten aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Einen weiteren großen Moment erlebte Louis Beam vier Jahre später auf einem Treffen »patriotischer« Verbände in Estes Park/Colorado. Der Anlass: Im August 1992 hatte das FBI der radikalen Rechten Amerikas wieder einmal zu Märtyrern verholfen. Es geschah auf dem Ruby Ridge genannten Anwesen der Familie Weaver im Rocky-Mountains-Bundesstaat Idaho. Beim Versuch, den des illegalen Waffenhandels beschuldigten Bauern und Aryan-Nations-Sympathisanten Randy Weaver auf seiner Berghütte zu verhaften, erschossen die Beamten, wohl aus Unachtsamkeit, Frau und Sohn des Verdächtigen. Die erwähnte Konferenz in Estes Park sollte gegen diesen Vorfall protestieren; gleichzeitig aber wollte man über geeignete Gegenmaßnahmen beraten. Louis Beam nutzte die Gelegenheit, eine neue Strategie für den Kampf gegen die ZOG zu skizzieren. Sein folgenreicher Vortrag hatte den Titel »Leaderless Resistance« – »führerloser Widerstand«. Inzwischen ist der Terminus ein vertrautes politisches Schlagwort; damals waren Begriff wie Konzept neu, namentlich in rechten Kreisen, wo man doch bisher stets auf Kommando und Gehorsam setzte. Beam riet eindringlich davon ab, gegen das aktuelle System eine Organisation mit hierarchischen Befehlsstrukturen und straff koordinierten Zellen in Stellung zu bringen; dies sei illusorisch, ja reiner Selbstmord. Das alte Zellenmodell, wie es etwa während des Bestehens der UdSSR bei den Kommunisten in den Vereinigten Staaten Anwendung fand, hatte, so Beam, zweifelsfrei gewisse Vorteile, etwa den, dass, wenn eine Zelle aufflog, die übrige Struktur intakt blieb. Aber solche Zellenarbeit benötigte eine zentrale Führung und äußere Ressourcen, die der kämpferischen Rechten nun einmal nicht zur Verfügung stünden. Die einzige rationale Strategie sei also die des »führerlosen Widerstands« bzw. der »Phantomzellen«. Einzelne Personen oder Kleinstgruppen sollen völlig autonom und isoliert voneinander operieren; es gibt kein Hauptquartier, keine Befehlskette, keine Mitgliederkartei; als Mitglied darf sich jeder fühlen, der die neuvölkische Ideologie teilt. Das Fehlen einer zentralen und manifesten Koordination wird sozusagen durch eine virtuelle kompensiert: Alle Kämpfer haben die gleiche Einstellung; und jeder einzelne Kombattant weiß aufgrund dieser gemeinsamen Haltung selbst, was in einer gegebenen Situation zu tun ist, auch ohne dass ihm ein anderer etwas sagt. Sämtliche Aktionen des führerlosen Widerstands gehen in die gleiche Richtung; Öffentlichkeit und Sicherheitsbehörden bemerken das einheitliche Muster der Aktionen und werden als Urheber eine straff geführte Zellenstruktur vermuten, die aber gar nicht existiert (daher der Terminus »Phantomzellen«). Der Einheitlichkeit der Reaktionsweisen, so Louis Beam, könne man zusätzlich über die modernen Kommunikationsmedien nachhelfen – durch Orientierungen, wie diese und jene politische Entwicklung aus Sicht eines »Patrioten« oder eines »Retters der weißen Rasse« zu beurteilen sei. Nicht umsonst nutzen rechte Gruppen seit Jahren weltweit das Internet.50
Louis Beams Gedanken waren eine wichtige Inspiration für den rechtsextremen Untergrund der 90er-Jahre. Eine neue Perspektive schien sich den Neonazis zu eröffnen, nachdem herkömmliche Kampfmethoden sie keinen Schritt weitergebracht hatten. Ungeachtet aller Propaganda blieben sie bei Wahlen regelmäßig am Rande der nummerischen Wahrnehmbarkeit, und die Bevölkerung dachte gar nicht daran, sich in bewaffneten Aufständen gegen die ZOG zu erheben. Außerdem unterwanderte die Polizei immer wieder erfolgreich die Reihen der Insurgenten und dezimierte sie durch Verhaftungen. Bedenkt man diesen Hintergrund, versteht man leicht, warum die Rechtsmilitanten das Beam’sche Konzept des »führerlosen Widerstands« derart begeistert aufgriffen. Es bot mehrere Vorteile. So erschwerte es dem Feind die Infiltration. Auch musste man sich nicht die peinliche Frage stellen (lassen), warum es der Nazi-Bewegung nicht gelinge, eine Massengefolgschaft aufzubauen. Jetzt konnte man glauben, dass List vermochte, was dem Heroismus versagt blieb. Dies bedeutete keineswegs, dass der Kampf friedlicher würde. Im Gegenteil. Zwar sagte Beam es nirgendwo explizit, aber jedem Kombattanten war klar, dass auch Beam unvermindert Gewalt befürwortete: Sabotage, Überfälle und Mordanschläge, breit gestreut zu verüben, quasi nach dem Schrotschussprinzip. Die Polizei, so Beams Theorie, suchte nun die organisierende Struktur, die das subversive Geschehen leite, fände aber nichts. Währenddessen gingen die Attacken weiter. So würde der »führerlose Widerstand« den Ordnungskräften ein »Aufklärungsdesaster« bereiten. Inzwischen praktizieren Rechtsradikale innerhalb und außerhalb der USA diese Strategie. In Amerika verfahren bestimmte supremazistisch-nationalistisch gesinnte Einzelkämpfer so, die sich den Idealen des zerschlagenen Order verpflichtet fühlen. Ähnlich »führerlos« agieren Combat 18 in England und der Vit Arikst Motstand (»Weißer Arischer Widerstand«), kurz VAM, in Schweden. Einzeln oder in Kleinstgruppen wählen sie kurzfristig ihr Ziel und schlagen zu. Das Fehlen einer formellen Organisation macht die Ermittlung schwierig und lässt den offiziellen Stellen wenig Möglichkeit zu raschen Reaktionen, zu raschen Erfolgen gar. Timothy McVeigh wusste schon, warum er sich von der Michigan Militia löste und nicht als Mitglied einer festen Gruppe, sondern als »einsamer Wolf« handelte.
Auch ein gewisser Harold Covington, geboren 1953, tat sich eine Weile als Führerfigur in der amerikanischen Nazi-Szene hervor. Während der 70er-Jahre wurde er Mitglied der NSPA und hatte dadurch zwangsläufig auch Kontakt zum Ku-Klux-Klan. Unter den prominenteren US-Nazis war Covington einer der reisefreudigsten; so besuchte er immer wieder Gleichgesinnte auf anderen Kontinenten und stand ihnen, wo nötig, mit Rat und Tat zur Verfügung, so in Irland, England, Rhodesien (heute Simbabwe) und Südafrika. Er heiratete eine Irin und erwarb sich eine doppelte Staatsbürgerschaft. 1979 ermordeten in Greensboro/North Carolina, wie bereits berichtet, NSPA-Leute und Klansbrüder fünf linke Aktivisten. Aus Furcht, selbst in Verdacht zu geraten, verließ Covington