Die Lust auf das Lavendelbad war Bettina vergangen, sie ging nur rasch ins Badezimmer zurück, ließ das bereits eingelaufene Wasser aus der Wanne laufen und machte sich für die Nacht zurecht.
Sie wollte an Jan denken und daran, wie glücklich sie mit ihm war. Doch das war gar nicht so einfach – die Gesichter von Doris und Grit schoben sich immer wieder in ihre Gedanken, die beide ein Problem hatten, das sie sich selbst zuschreiben mussten.
Doris hatte ihren Mann verlassen, war aus Frankreich förmlich geflohen, hatte die Scheidung gewollt, und nun jammerte sie Jörg hinterher, und Grit war voll eingetaucht in das oberflächliche Leben der Schicki-Mickis, hatte mit ihrem jungen Lover High Life gemacht und Mann und Kinder abgeschoben, und jetzt, da sie allein und verlassen war, besann sie sich auf das, was sie verloren hatte.
Bettina starrte ihr Spiegelbild an.
Zum Glück wuchsen ihre Haare wieder, sie hatten zwar noch immer nicht ihre ursprüngliche Länge erreicht, aber immerhin sah sie nicht mehr aus wie die Jungfrau von Orleans.
Sie bürstete ihre Haare kräftig, als könne sie dadurch deren Wachstum beschleunigen. Wie verrückt sie doch gewesen war, sie sich nach der Trennung von Thomas raspelkurz schneiden zu lassen, so kurz wie bei einer tibetischen Nonne.
Sie hielt in ihren Bewegungen inne.
Thomas …
An ihn hatte sie schon lange nicht mehr gedacht, und sie stellte auch keine Vergleiche mehr zwischen ihm und Jan an. Dieses Kapitel war wohl endgültig passé. Dabei war er doch ihre große Liebe gewesen, was hatte sie um ihn gelitten, zuerst in den Jahren der Trennung, dann nach seinem Betrug.
Warum hatte er ihr etwas vorgemacht und nicht gesagt, dass es in Amerika eine Ehefrau gab?
Nein!
Sie legte ihre Haarbürste weg und verließ beinahe fluchtartig ihr Badezimmer.
Sie wollte alles, aber jetzt wirklich nicht an Thomas Sibelius denken.
Sie hatte Jan, und der würde niemals solche Spielchen mit ihr spielen. Dessen Leben lag offen wie ein Buch vor ihr.
Lag es das wirklich?
Nein, das nicht. Alles wusste sie nicht, denn Jan sprach nicht gern über seine Vergangenheit. Das meiste über ihn wusste sie eigentlich von Isabella Wood, die mit ihm beinahe wie eine Schwester aufgewachsen war.
Aber was sollte es – alles musste sie auch nicht wissen. Es reichte doch vollkommen, dass er sie liebte, dass sie ihn liebte, dass es so vieles gab, was sie miteinander verband. Und eines wusste sie mit absoluter Sicherheit, er hatte nicht irgendwo versteckt im Hintergrund eine Ehefrau!
Als sie in ihr Bett schlüpfte und das Licht löschte, wurde Bettina wieder einmal bewusst, wie sehr es sie mitgenommen hatte und wie schmerzlich es gewesen war, zufällig zu erfahren, dass Thomas Sibelius, ihre erste große Liebe, wie sie lange geglaubt hatte, ihre einzige Liebe, ihr etwas ganz Wesentliches verschwiegen hatte – nämlich seine Ehefrau Nancy.
Energisch warf sie sich zur Seite und vergrub ihr Gesicht in ihr Kissen.
Ob es eine Nancy gab oder keine, das war jetzt nicht mehr relevant. Sie tastete nach dem schmalen Ring an ihrem Finger und drehte ihn herum.
Sie war verlobt und würde Jan van Dahlen heiraten … das war ein ganz wundervolles Gefühl.
Bettina schloss die Augen und wünschte sich, ganz schnell einzuschlafen und von Jan zu träumen …
*
Als Bettina am nächsten Morgen wach wurde, versuchte sie sich an ihre Träume zu erinnern, leider vergebens. Entweder hatte sie nichts geträumt oder es war so unwesentlich gewesen, dass sie es vergessen hatte.
Doch das machte sie nicht traurig. Ihr Leben war so schön, dass sie sich nicht in Träume flüchten musste.
Doch auf dem Weg ins Badezimmer fiel ihr etwas anderes ein – das Telefonat mit ihrer Schwester Grit.
Grit war wirklich sehr unglücklich gewesen, und Bettina konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Schwester am Telefon schon mal geweint hatte.
Grit hatte ihre Einladung noch nicht angenommen, aber sie würde sie gleich anrufen und diese wiederholen. Der Fahrenbach-Hof war ein so friedlicher Ort, das würde auch Grit begreifen, wenn sie erst mal hier war.
Bettina schaute auf ihre Uhr.
Jetzt war es noch zu früh, aber sofort nach dem Frühstück, ehe sie hinauf in die Destillerie gehen würde, wollte sie Grit anrufen.
Bettina duschte, cremte sich flüchtig ein, und war wenige Minuten später fertig.
Schönheitssalons, Kosmetikerinnen, Schönheitschirurgen würden an ihr nichts verdienen und brotlos werden. Sie liebte es schon, sich hübsch zu machen, wenn sie ausging, aber für ihren Job oben hielt sie es für überflüssig, sich zu stylen. Da reichte ihr ein Hauch ihres Lieblingsparfüms, außerdem schätzte sie praktische, bequeme Kleidung. Sie war zwar die Chefin, aber wenn Not am Manne war, wenn eine Sendung eilig verschickt werden musste, da war sie sich nicht zu fein dazu, mit anzupacken.
So trug sie auch jetzt nur eine Jeans, einen schlichten Pulli und flache bequeme Schuhe.
Welch ein Glück, dass sie Jan auch am besten in ihrem naturbelassenen Zustand gefiel und auch er eher lässige Kleidung schätzte. Er würde vermutlich einen Anfall bekommen, wenn sie sich die ersten Fältchen mit Botox wegspritzen ließe. Also, von daher passten sie ganz hervorragend zusammen.
Ihr Frühstück bestand aus einem starken Kaffee und zwei Scheiben Toast mit Butter und Lenis köstlicher selbstgemachter Himbeermarmelade. Das reichte, wenn sie allein frühstückte, denn im Laufe des Vormittags würde es bei Leni noch ein zweites Frühstück geben. Das hatte sich irgendwie bei ihnen so eingebürgert, und das gefiel Bettina auch, denn dann hatten sie Gelegenheit, so richtig miteinander zu ratschen. Das brauchten sie beide, denn wenn Leni und Yvonne sich glücklicherweise immer näherkamen, herrschte zwischen ihnen längst nicht die Vertrautheit wie zwischen ihnen beiden, und Leni vertraute ihrer Tochter längst nicht das an, was sie mit Bettina ungeniert besprach.
Bettina war rasch fertig, und nachdem sie das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler gestellt und alles wieder weggeräumt hatte, griff sie zu ihrem Telefon.
Jetzt musste Grit auch wach sein.
Die meldete sich allerdings mit sehr verschlafener Stimme.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht aufwecken«, sagte Bettina, nachdem sie ihre Schwester begrüßt hatte.
»Was ist denn?«
»Ich möchte mich nur erkundigen, wie es dir geht, Grit«, sagte Bettina.
»Was soll das denn? Wie soll es mir gehen? Gut natürlich … um mich das zu fragen, rufst du in der halben Nacht an?«
Das konnte doch nicht wahr sein!
Grit war grantig und unfreundlich wie immer und hatte nichts mehr gemeinsam mit dem Häufchen Elend des vergangenen Abends.
Das musste Bettina erst einmal verdauen.
»Entschuldige bitte, Grit«, stammelte sie schließlich, »gestern hast du auf mich einen ziemlich unglücklichen Eindruck gemacht, du hast geweint, und ich …«
»Du liebe Güte«, unterbrach ihre Schwester sie unwirsch, »ich hatte was getrunken und war ein bisschen neben der Spur. Da musst du doch jetzt nicht gleich einen Film draus machen und mich wecken.«
Ein bisschen neben der Spur? Sie war kreuzunglücklich gewesen und hatte das auch glaubwürdig rübergebracht.
»Grit, entschuldige …«
Wieder