Inhalt
Wem schenkst du deine Gefühle?
Bettina starrte vollkommen verunsichert auf den braunen wattierten Umschlag in ihrer rechten Hand. Ihr Herz hämmerte vor lauter Aufregung. Ihre Neugier war geradezu übermächtig, dennoch zögerte sie noch immer, sich vom Inhalt des Umschlags zu überzeugen.
Was hatte das alles zu bedeuten?
Warum schickte Jan ihr mit einem Expressboten diesen Brief?
Es war durch überhaupt nichts zu erklären, aber Bettina spürte, wie diese unerklärliche Angst sich wieder in ihr breit machte, die sie auch so unvermittelt bei Jans Abreise befallen hatte, einfach so und ohne jeden Grund.
Sie hatte mit Jan traumhafte Stunden voller Zärtlichkeit, Hingabe und Leidenschaft verbracht, die wie im Fluge vergangen waren. Sie waren sich niemals näher gewesen.
Das Taxi aufzuhalten, das ihn zum Flughafen bringen sollte, sich nochmals heftig in seine Arme zu werfen, sich an ihm festzukrallen wie eine Ertrinkende …
Bettina hatte noch immer keine Erklärung dafür, warum sie das getan hatte.
War es Jan vielleicht ebenso ergangen?
Hatte auch er auf einmal ein komisches Gefühl gehabt und deswegen nochmals vor einem Abflug ein Lebenszeichen von sich gegeben, ihr einen lieben Gruß geschickt?
Doch einen solchen Gedanken verwarf Bettina so schnell wieder, wie er ihr gekommen war.
Nicht Jan van Dahlen!
Der war wirklich ein einfühlsamer, warmherziger Mann, aber er hielt nichts von Vorahnungen und Vorbestimmungen.
Jan hatte eine ganz realistische Einstellung zu den Dingen, zum Leben schlechthin, und das war auch gut so.
Er musste als anerkannter freier Journalist den Durchblick haben und konnte sich nur auf das verlassen, was wirklich zählte und nicht auf irgendwelche Mutmaßungen.
Jan van Dahlen schrieb weltweit für die bekanntesten Zeitungen, Fachjournale. Seine Fachbücher waren bekannt und anerkannt und in viele Fremdsprachen übersetzt. In seinem Beruf musste man sich an Fakten halten und sehr genau recherchieren.
Ganz anders wäre es, wenn seine Beiträge für die sogenannte Regenbogenpresse bestimmt wären. Da musste man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen und konnte den Lesern ein wenig die Geschichten aus 1001 Nacht vorgaukeln. Wenn man da übertrieb und die Tatsachen ein wenig zu sehr verdrehte, war es meist, wenn überhaupt, damit getan, irgendwo im Inneren des Blattes eine winzige, kleingedruckte Gegendarstellung zu platzieren, die dann von den Lesern sogar meist übersehen wurde.
Bettina seufzte. Jan war gerade weg, und sie vermisste ihn jetzt schon so sehr, dass es richtig weh tat. Sie spürte noch jetzt seine Wärme, seine zärtlichen Umarmungen, diese glutvollen Küsse, gesammelten Liebesworte …
Wenn sie jetzt noch länger hier herumsaß, würde ihre Phantasie ihr einen Streich spielen. Bettina merkte bereits, wie ihre Gedanken anfingen Purzelbäume zu schlagen.
Sie atmete tief durch und griff kurzentschlossen in den Umschlag hinein.
Ein zusammengefaltetes Blatt fiel heraus und ein kleines quadratisches Schächtelchen, das sorgsam in ein dunkelblaues Glanzpapier eingepackt war, verschnürt mit einem silberfarbenen Band.
Ein Ring?, dachte sie flüchtig.
Aber warum sollte Jan ihr einen Ring schicken, den hätte er ihr doch auch persönlich überreichen können. Außerdem, wo sollte der Ring denn jetzt auf einmal herkommen?
Jan war mit dem Taxi vom Fahrenbach-Hof direkt zum Flughafen gefahren.
Da hatte er überhaupt keine Gelegenheit gehabt, zwischendurch eben mal anhalten zu lassen, um durch irgendwelche Fußgängerzonen zu schlendern und nach einem Ring für sie Ausschau zu halten.
Jan saß vermutlich jetzt längst in seinem Flieger, der ihn an einen seiner Einsatzorte bringen sollte. Die wechselten so häufig, er disponierte mitunter derart schnell um, dass Bettina es sich längst abgewöhnt hatte, sich das alles zu merken.
Wenn sie ihn noch in Tokio wähnte, war er längst in Shanghai oder anderswo.
Was wirklich für sie zählte war, dass er immer häufiger zu ihr auf den Fahrenbach-Hof kam und an dem Leben mit ihr und bei ihr immer mehr Geschmack bekam.
Ach, Jan …
Sie liebte ihn wirklich aus ganzem Herzen, auch wenn es einiges gab, in dem sie nicht miteinander übereinstimmten. Aber an ein süßes Dahingleiten in einem Traumboot glaubte man ohnehin nur in seinen Schwärmereien, in denen der Traumprinz auf einem weißen Pferd dahergeritten kam, die Prinzessin mit auf sein Schloss nahm und mit ihr glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage lebte.
Das wahre Leben war anders. Da zählten ganz andere Werte, zu denen Verlässlichkeit, Treue, die Kunst, miteinander lachen zu können, Übereinstimmung in den wichtigsten Dingen zählten. Außerdem hatte sie ihren Fahrenbach-Hof, der war ihr Schloss und ihr Paradies, und Jan, ihr Traumprinz, war nicht auf einem weißen Pferd in ihr Leben geritten, sondern sie hatte ihn ganz zufällig in einer Buchhandlung kennengelernt.
Als Erstes faltete Bettina das Blatt auseinander.
Jan hatte eine sehr schöne Schrift, und sie liebte es, von ihm Briefe zu bekommen, kleine handgeschriebene Nachrichten. Sie war keine Graphologin, aber wenn sie seine Handschrift beurteilen müsste, dann würde sie ihm auf jeden Fall Kreativität, Großzügigkeit,
Energie und Charakterstärke zurechnen.
Bei diesem Gedanken musste sie lächeln, denn sie wusste, dass das eine sehr, sehr subjektive Einschätzung war.
Schließlich kannte sie Jan und seinen Charakter, da war es sehr einfach, etwas in eine Sache hineinzuinterpretieren.
»Meine liebe Bettina,
ich benutze jetzt diese förmliche Anrede, weil ich dir etwas sehr Wichtiges zu sagen habe.
Unser Beisammensein war wunderschön, unvergleichlich. Auf dem Weg zum Flughafen ist mir klar geworden, dass ich nicht länger davonlaufen kann, nicht vor dir, nicht vor mir, nicht vor einem gemeinsamen Leben mit aller Verantwortung. Ich liebe dich und kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Du bist die einzige, die wahre Liebe meines Lebens. Merkwürdiger Zufall, du würdest es Vorbestimmung nennen, ich kenne dich doch, dass mein Flieger verspätet war und ausgerechnet im Flughafen eine Hochzeitspräsentation stattfand mit allem, was dazu gehört.
Ein bekannter französischer Juwelier packte mit viel Eifer seine Schmuckkollektion aus, und mehr aus Langeweile, denn aus Interesse schaute ich ihm zu.
Als er Eheringe auf dunkelblauem Samt drapierte, wusste ich es auf einmal. Ich muss dich heiraten, du geliebtes Wesen, denn eine Heirat macht die Liebe zweier Menschen zu etwas Besonderem.
Vergiss, was ich dir bislang über die Ehe gesagt habe, es waren nur Worte meines Verstandes. Mein Herz sagt, dass ich dich will, nicht als Lebenspartnerin, sondern als meine Frau.
Meine Frau, ja das hört sich verdammt gut an,