Bettina zuckte die Achseln.
»Das weiß ich so wenig wie du, auch auf dem Hof taucht sie nicht so oft auf, sehr zu Lenis Leidwesen, als ich Yvonne das letzte Mal sah, dachte sie darüber nach, sich als Kinderärztin niederzulassen, das allerdings habe ich versucht ihr auszureden und noch nicht die Flinte ins Korn zu werfen.«
»Dafür, dass sie selbst Ärztin ist, verhält sie sich ziemlich unvernünftig, so einfach mit dem Kopf durch die Wand und etwas erzwingen zu wollen.«
»Weißt du, Linde, in dem Fall handelt sie aber nicht als Ärztin, sondern als eine Frau, die unbedingt ein Kind haben will, ich glaube, da macht man manchmal Sachen, die mit Vernunft nichts zu tun haben.«
»Würdest du es erzwingen wollen?«, erkundigte Linde sich und schaute ihre Freundin neugierig an.
Bettina überlegte einen Moment, dann sagte sie ehrlich: »Ich weiß es nicht. Aus meiner heutigen Sicht würde ich sagen wohl eher nicht, ich würde dann eher denken, dass der liebe Gott nicht will, dass ich Kinder bekomme. Aber wenn es dann wirklich so wäre … ich weiß nicht … zunächst mal glaub ich, dass ich schwanger werde, wenn ich es werden will.«
»Oder wenn du von einer Schwangerschaft überrascht wirst so wie ich«, lachte Linde.
Der Koch kam aus der Küche gelaufen, er war in heller Aufregung.
»Die Kühlung ist schon wieder ausgefallen, und jetzt haben wir ein Problem …«
Linde stand sofort auf, und auch Bettina erhob sich.
»Kümmere dich darum, Linde, ich mach mich auch wieder auf den Weg und fahr erst mal runter zum See. Vielleicht kann ich ja noch einen Blick auf die Zwillinge werfen.«
Linde nickte, sie war mit ihren Gedanken schon ganz woanders, da war sie einfach zu sehr Geschäftsfrau, und Bettina, die schließlich auch einen Betrieb leitete, konnte sie gut verstehen.
Sie verabschiedeten sich voneinander, und dann verließ Bettina den Gasthof, um zu ihrem Auto zu gehen.
*
Zu ihrem Bedauern war sie nicht auf die Kinderfrau und die Zwillinge gestoßen, vermutlich war die Frau mit den Kleinen anderswohin gegangen. Also machte Bettina sich wieder auf die Heimfahrt.
Sie würde nochmal rauf in die Destille gehen, um sich um die Werbung für das Fahrenbach-Kräutergold zu kümmern.
Es war schon verrückt, sie war eine versierte Werbefachfrau, und es fiel ihr nicht schwer, Kampagnen für die von ihr vertriebenen Produkte zu starten, die allesamt zu großem Erfolg führten. Bei der Werbung für ihr eigenes Produkt tat sie sich unheimlich schwer und war mit nichts zufrieden, weil sie sich immer in Gedanken fragte, was ihr Vater wohl dazu sagen würde. Dabei war ihr Vater mit ihrer Arbeit immer zufrieden gewesen, den Druck machte sie sich selber.
Bettina fuhr auf den Parkplatz und stellte mit einem Blick fest, dass das schnittige Auto von Horst Steinbrecher nicht mehr da war. Die Besprechung mit seiner Frau war also vorüber. Was sie wohl ergeben hatte? Ob es ihm gelungen war, sie auf seine charmante Weise zu beschwatzen?
Als sie um die Ecke bog, kam Dorothea Steinbrecher mit dem Fahrrad über den Hof gefahren.
Als sie Bettina entdeckte, bremste sie und sprang vom Fahrrad.
»Ich will noch mal eine kleine Runde drehen«, sagte sie. »Ich kann vom Fahrradfahren gar nicht genug bekommen.«
Bettina schaute in das Gesicht ihres Gegenübers. Aus dem war nicht abzulesen, wie das Gespräch mit ihrem Mann verlaufen war, ob sie sich über den Besuch aufgeregt hatte.
Bettina war nicht neugierig, aber jetzt konnte sie nicht anders, jetzt musste sie einfach fragen.
»Als ich vorhin wegfuhr«, bemerkte sie, »habe ich zufällig Ihren Mann gesehen, Frau Steinbrecher. Er … er wollte zu Ihnen. Es war hoffentlich richtig, dass ich ihm den Weg zum Gesindehaus gezeigt habe. Er sagte, er sei mit Ihnen … verabredet.«
Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sie sich wegen ihrer scheinheiligen Neugier schon schämte.
»Ja, das stimmt. Ich hatte meinen Mann hergebeten«, antwortete Dorothea Steinbrecher vollkommen unbefangen.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, erwiderte Bettina, die jetzt wirklich nicht weiterbohren wollte.
»Er möchte, dass ich zurückkomme«, sagte Dorothea, »in der Firma geht wohl alles ganz schön drunter und drüber … ich konnte ihm in ein paar Angelegenheiten helfen.«
»Das heißt, dass Sie … Ihren Aufenthalt hier bei uns nicht abbrechen werden?«
Dorothea Steinbrecher schüttelte den Kopf.
»Nein, warum sollte ich? Ich fühle mich unbeschreiblich wohl hier … es geht mir gut wie schon lange nicht, und je länger ich hier bin, umso mehr wird mir bewusst, wie dringend ich eine Erholung nötig habe … nein, ich bleib erst mal.«
»Und damit ist Ihr Mann … einverstanden?«, erkundigte Bettina sich.
Dorothea stützte sich auf den Lenker.
»Ich hab ihn nicht gefragt, schließlich bin ich nicht seine Leibeigene. Er muss dann eben seinen Urlaub verschieben und im Betrieb bleiben, bis ich zurückkomme.«
»Sie haben ihm verziehen?«
Sie überlegte einen Moment. Schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Firma gehört uns beiden zu gleichen Teilen, ich trage also auch eine Verantwortung und muss mich voll einbringen, bis ich weiß, wie es weitergehen soll. Vielleicht verkaufen wir, vielleicht übernimmt einer alles und zahlt den anderen aus. Wenn es nach mir geht, dann muss es keinen Krieg zwischen uns geben. Das habe ich meinem Mann auch gesagt, er hat aber auch erfahren, dass es keinen gemeinsamen Weg mehr gibt, dazu waren die Verletzungen einfach zu groß, die praktisch nur das Tüpfelchen auf dem ›i« waren, die Entfremdung zwischen uns hat schon viel früher begonnen, wir haben es nur nicht bemerkt, haben es nicht bemerken wollen. Ich bin froh, dass ich hier die Kraft gefunden habe, ja zu sagen zu einer Veränderung. Sie hatten recht, fünfzig ist nicht alt, wahrhaftig nicht. Da steht einem die Welt offen.«
Bettina konnte es nicht fassen, welche Veränderung mit der anfangs so verhuschten Frau vor sich gegangen war.
»Klar, es ist nie zu spät für einen Neuanfang«, bestätigte Bettina erneut. »Was hat Ihr Mann denn gesagt? Ich mein, er muss doch gesehen haben, wie sehr Sie sich verändert haben.«
Sie lachte.
»Hat er auch, und er war sehr überrascht. Aber er wird sich daran gewöhnen müssen, dass nichts mehr so sein wird, wie es mal war.«
Sie richtete sich auf.
»Ich bin auf einem guten Weg«, sagte sie, »ich muss unbedingt herausfinden, wer ich bin und was ich will … übrigens, heute sind neue Gäste angekommen, ein Ehepaar und ein allein reisender Herr«, sie grinste. »Stellen Sie sich mal vor, mein Mann wollte mir doch glatt mit diesem Herrn eine Affäre andichten, weil ich mich mit ihm unterhalten habe, als Horst hereinkam … das hat mir gefallen, denn dann konnte er wenigstens sehen, dass ich eine Frau aus Fleisch und Blut bin und nicht ein Neutrum.«
Sie schwang sich auf das Fahrrad.
»Jetzt will ich aber los, und Sie haben gewiss auch noch was anderes zu tun als mir zuzuhören … bis später dann. Wir sehen uns ganz gewiss noch.«
Sie radelte davon, und Bettina sah ihr hinterher, bis sie hinter einer Wegbiegung verschwunden war.
Dann hatte sie es eilig, zu Leni zu kommen. Von dem Ehepaar