»Wer ist der Mann?«, rief Bettina und setzte sich.
Leni legte ihren Stift beiseite, setzte ihre Brille ab.
»Welcher Mann?«
»Na, der neue Gast.«
Leni lachte.
»Hast du Ambitionen, ihn näher kennenzulernen?«
Bettina winkte ab.
»Nein, natürlich nicht … Frau Steinbrecher erwähnte ihn, und ich wusste nichts von diesem Gast.«
»Ich auch nicht«, antwortete Leni, »er hat unsere Anschrift vom Fremdenverkehrsverein in Bad Helmbach bekommen, nachdem er sich dort nach einer ruhigeren Unterkunft erkundigt hat. Er ist ein Dr. Umleitner … vielleicht ist er ja Arzt.«
Bettina musste lachen, so typisch Leni.
»Nicht jeder, der einen Doktortitel hat, ist Arzt, meine Liebe«, sagte sie.
»Aber er ist, glaube ich, wirklich einer … auf jeden Fall ist er sehr nett.«
»Und wie alt ist er?«
Leni zuckte die Achseln.
»Weiß nicht, Mitte Fünfzig? Er ist schwer zu schätzen, groß, schlank, angegraute Haare, Brille mit Goldrand … ein feiner Herr.« Sie blickte Bettina an. »Reicht das?«
»Ja«, entgegnete die und stand auf.
»Du willst doch nicht etwa schon wieder gehen?«, fragte Leni, die solch kurze Aufenthalte von Bettina nicht gewohnt war. Meist blieb sie ja wenigstens auf einen Kaffee.
»Doch, denn ich hab nämlich oben in der Destille noch eine ganze Menge zu tun. Und Tee hatte ich gerade bei Linde, die dich übrigens herzlich grüßen lässt … wo ist übrigens unsere kleine Bettina? Schläft sie?«
»Nein, Babette hat sie zu sich rübergeholt, und ich bin über die kleine Pause auch froh.«
Bettina bekam ein schlechtes Gewissen.
»Es wird dir mit der Kleinen zu viel, nicht wahr? Wir müssen da eine andere Lösung finden. Ehe ich Veronika in das Fahrenbach-Haus bringe, muss ich mit ihr reden.«
Leni winkte ab.
»Du wirst nichts tun, und mir wird es auch nicht zu viel, im Gegenteil, ich bin glücklich darüber, dass ich das jetzt ausleben kann, was mir bei Yvonne verwehrt wurde, weil ich sie weggeben musste … Wenn ich sage, dass ich über die Pause froh bin, bedeutet das doch nicht, dass ich die Kleine nicht hier haben will. Ich nehm Babette doch auch manchmal die kleine Marie ab, damit Babette Zeit für sich hat, außerdem holst du dir die Kleine doch auch so manches Mal in dein Haus, wenn Jan nicht da ist, und das ist er ja die meiste Zeit nicht.«
»Das wird sich aber ändern. Jan will sesshaft werden.«
Leni überlegte einen Moment, dann verkniff sie sich die Antwort, die sie eigentlich hatte geben wollen, und sagte stattdessen: »Es wäre dir zu wünschen, mein Kind, es wäre dir wirklich zu wünschen.«
Bettina ahnte, dass Leni das mit dem Sesshaft-Werden so recht nicht glaubte, hatte aber keine Lust auf weitere Diskussion zu diesem Thema, außerdem musste sie wirklich in ihr Büro.
»Ich muss rauf in die Destille«, sagte sie deswegen und wandte sich zur Tür.
»Du solltest dir wirklich angewöhnen, Likörfabrik zu sagen«, rief Leni ihr nach, »das hört sich besser an, und schließlich haben deine Vorfahren die Firma so genannt … Likörfabrik Fahrenbach, wie es auf dem Firmenschild steht.«
»Ich gelobe Besserung«, lachte Bettina, ehe sie endgültig verschwand. Ja, da war Leni wirklich sehr eigen, das Wort Destille gefiel ihr überhaupt nicht.
Max und Goldie kamen ihr entgegengestürzt, da konnte auch Arno nicht mehr weit sein, und richtig, er kam aus der Remise.
»Bettina, gut dass ich dich sehe«, rief er, »hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was aus dem Häuschen werden soll, in dem Toni früher wohnte, ehe er in das Gärtnerhaus umgezogen ist?«
Sie musste nicht antworten, er sah ihr an, dass sie das noch nicht getan hatte.
Arno schüttelte den Kopf.
»Bettina, Bettina, ich weiß ja, dass du viel um die Ohren hast. Aber das Haus kann doch nicht ewig leer stehen, da muss was geschehen.«
»Du hast recht, Arno, und ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich mir ernsthafte Gedanken machen werde, aber es brennt doch nichts an.«
»Wenn du es in die Vermietung nehmen willst, dann muss es entsprechend hergerichtet werden.«
»Stimmt schon, Arno, aber wir sind im Gesindehaus noch nicht ausgelastet. Ich hoffe, dass sich das ändern wird, wenn Babette mit ihrer Werbung, die sie für die Vermietung macht, so richtig durchstartet. Ich selbst habe das ja ziemlich lasch gehandhabt, und die Gäste kommen nicht von allein hereingeschneit.«
»Du hast halt zu viel um die Ohren«, wiederholte er, »und du bürdest dir immer mehr auf … Bettina, niemand kann auf allen Hochzeiten tanzen, dein Vater hätte nicht gewollt, dass du dich überforderst. Die Likörfabrik, die Vermietung, und jetzt auch noch die Stiftung … das geht wirklich nicht, das kann niemand. Außerdem, wenn du deinen Jan heiratest und vielleicht Kinder bekommst, wie soll es denn dann weitergehen, hm?«
Bettina war gerührt, welche Gedanken Arno sich machte. Sie nahm ihn in die Arme und versprach: »Ich werde mein Leben neu ordnen, du hast ja recht. Aber es ist halt alles wichtig. Die Vermietung vielleicht nicht ganz so, aber als wir die Rezeptur für das Kräutergold noch nicht hatten und auch nicht die Vertriebsrechte für all die Spirituosen, schien das die einzige Möglichkeit zu sein, an Geld zu kommen, um den Hof zu erhalten.«
Er nickte.
»Es war eine verdammt harte Zeit, als du dein Erbe angetreten hast und nicht wusstest, wie du alles erhalten solltest.«
Sie lächelte ihn an.
»Ich hatte euch. Ohne eure Hilfe hätte ich es nicht geschafft, und außerdem hast du die Seeschlachten-Bilder gefunden, die viel Geld in die Kasse gebracht haben. Und dann sind viele meiner Grundstücke Bauland geworden.«
Er winkte ab.
»Wovon du nicht viel hast, weil du nicht verkaufst, aber beruhigend ist es schon, ich mein, für den Fall der Fälle.«
»Das wird niemals eintreten«, sagte Bettina, »die Fahrenbachs haben noch niemals etwas verkauft, und ich werde ganz gewiss nicht den Anfang machen, Arno. Ich werde alles erhalten und bewahren für die nächste Generation, so wie es die Generationen vor mir gemacht haben. Dazu fühle ich mich verpflichtet, und es ist für mich auch eine große, große Ehre, dass mein Vater mir den Besitz anvertraut hat.«
Arno nickte.
»Er hat schon gewusst, was er tat, ja das hat er, dein Vater, er war ein sehr kluger Mann.«
Bettinas Handy klingelte, sie angelte es aus ihrer Tasche, meldete sich.
»Jan«, rief sie, und ein Strahlen glitt über ihr Gesicht. Arno rief die Hunde, die ohnehin das Interesse an Bettina verloren hatten, weil sie keine Leckerli aus ihrer Tasche hervorgezaubert hatte. Dann trollte er sich mit ihnen.
»Jan, Liebster, wie schön, dass du anrufst.«
»Ich bin froh, dich noch zu erreichen«, antwortete er, »ich habe es auf all deinen Anschlüssen versucht. Das Handy war jetzt die letzte Möglichkeit.«
»Wo bist du?« Ihr Herz begann wild zu klopfen. War er gar auf dem Weg zu ihr und befand sich schon kurz vor dem Hof? Jan war für alle Überraschungen gut, und so etwas hatte er auch schon gebracht.
Er zögerte mit seiner Antwort.
»Ich bin auf einem kleinen privaten Flughafen und werde gleich ausgeflogen.«
»Ausgeflogen? Wohin?«
Da