Eugen war der Prinz Hai, aus »König Heinrich dem Vierten«. Am Tage vor dem Festzug kam sein Kostüm aus Philadelphia an. »Probier es mal gleich an«, sagte John Dorsey Leonard. Eugen zog es an. Er erschien auf der Terrasse vor dem Schulhaus. Er fingerte seinen Blechdegen und blickte nicht ohne begründeten Zweifel auf die hohen, dunkelrosa Seidenstrümpfe hinunter. Diese Strümpfe reichten nämlich bei weitem nicht bis zu der kurzen Pluderhose hinauf, sondern stellten eine breite Spanne der weißen hagern Oberschenkel bloß.
John Dorsey Leonard blickte ernst drein.
»Laß mich mal sehen, Junge.«
Er zog kräftig an den zu kurzen, dunkelrosa Seidenstrümpfen, woraufhin die zu kurzen, dunkelrosa Seidenstrümpfe rissen. Die Maschen fielen, und in langen Jakobsleitern liefen die Risse durchs Gewebe bis auf die Knöchel hinunter. Und da mußte John Dorsey Leonard lachen. Er hing am Verandageländer und lachte hell und hoch und so weinerlich, daß ihm der Speichel vom Mund troff.
»Ach, Du mein Gott!« Er schnappte nach Luft. »Entschuld'gung, Eugen!« stöhnte er, als er die gekränkte Miene seines Schülers sah, »… aber so was Komisches hab ich meiner Lebtag …« Hier verlor er die Sprache vor Lachen.
»Ich kann Dir aushelfen«, sagte Miss Amy. »Ich habe gerade das, was Du brauchst.«
Sie gab ihm einen weiten, losen Clownanzug aus grünem Sackleinen, eine Reliquie von einem Maskenfest. Die vollen Falten der Hose wurden an den Knöcheln zusammengebunden.
Eugen blickte Miss Amy verwirrt und höchst besorgt an.
»Das stimmt doch nicht«, sagte er. »Das paßt doch nicht für den Prinzen Hal. Oder doch? So 'nen Anzug hat er doch sicher nie angehabt.«
Miss Amy musterte ihn. Ihr Busen wogte. Sie lachte tief und voll.
»O ja! Das geht! Schon recht! Fein!« brüllte sie. »Gerade so ein Kerl war ja der Prinz Hal. Kein Mensch wird etwas merken«, sagte sie.
Sie sank lachend in einen Korbsessel. Der Korbsessel krachte.
»O Du mein Gott!« stöhnte sie, und die Tränen liefen ihr über die Backen. »So was hab ich wahrhaftig …«
Die Festvorstellung fand im Freien statt. Die mit Laubspalieren abgeteilte Rasenmulde hinter dem »Manor House« war ein natürliches Amphitheater. Unten in der Dälle stand Dr. George B. Rockham; das Publikum saß am Rasenhang. Die hehren Gestalten der Dichtung traten aus dem grünen Spalier hervor, und Dr. George B. Rockham erledigte sie mit seinen selbstgeschmiedeten, sauber schildernden fünffüßigen Jamben. Sein Kostüm gehörte in die Zeit der Restauration der Stuarts, eine Periode, die er besonders hochhielt, weil sie den Reiz muskulöser Waden zu schätzen wußte. Unter dem keuschen Gekraus der Hosenrüschen wuchteten seine schweren Unterschenkel zu barocken Wulstknollen aus.
Eugen stand droben an der Straße hinter der natürlichen Baumkulisse und wartete. Es war ein prächtiger Maitag. »Doc« Hines (Falstaff) stand daneben und wartete auch. Sein zähes, kleines Affengesicht grinste frech aus dem unförmigen, mächtigen Wattekostüm. Er ließ sich auf den untergeschnallten Schmerbauch fallen, der Bauch bekam eine Grube.
Er wandte sich mit komisch verzognem Gesicht an Eugen.
»Zur Hölle, Hal«, sagte er, »Du siehst ganz wie ein Prinz aus.«
»Schön bist Du auch nicht, Jack«, sagte Eugen.
Hinter ihnen zog Julius Arthur (Macbeth) schwunghaft sein Schwert.
»Ich fordre Dich zum Zweikampf, Hal«, sagte er.
Die Blechwaffen klirrten aneinander, blitzten im Licht. Zwitschernd mit jungem Vogelgelächter saßen und lagen sämtliche Dramatis Personae des Barden im Gras. Mitten im Zweikampf fuhr Julius Arthur aus und gickste den Falstaff unversehens in den geschwollnen Pansen. Die Gesellschaft der Unsterblichen schrie vor Lachen.
Miss Ida Nelson, die Regieassistentin, erschien wütend auf dem Plan.
»Pst! Pst!« zischte sie scharf. Sie verbrachte den Nachmittag mit Zischen.
Hoch zu Roß, im Seitsattel schwingend, erschien Rosalind, eine reife, kleine Schöne aus der Klosterschule. Sie lächelte Eugen an. Er sah sie an und vergaß.
Drunten in der Mulde begrüßte Dr. George B. Rockham das zahlreich erschienene Publikum. Eine sonore, bellende Stimme, fett wie ein Schinken. Der Festzug war eröffnet.
Aber Dr. George B. Rockham war noch lange nicht bei Shakespeare angelangt.
Zuerst sprachen die Stimmen der Gegenwart, was zwar nicht ganz zur Sache gehörte, aber aus geschäftlichen Gründen notwendig war. Diese Stimmen zogen nun stumm vorüber. Vier verängstigte Verkäuferinnen aus Schwarzbergs Warenhaus, in weiße Gewänder aus Verbandmull gehüllt, traten auf und trugen das Banner ihrer Firma vorüber. Der beredsame Doktor sagte dann so:
»Du schöner Handel, sollst, der Künste Schwester,
Den Platz, der Dir gebührt zu dieser Feier,
Auf unsrer Bühne haben …«
Dann kamen Ginsburgs: »Der Mode Spiegel und der Formen Abbild …« – der Krämer Bradley: »Als Pomona zuerst ihr Füllhorn leerte …« – die Agentur für Buick-Automobile: »Die Wagen auch vom Oxus und vom Indus …«
Kamen. Zogen vorbei wie Nebelgestalten über einem herbstlichen Strom.
Und nun kamen – Gott weiß aus welchem Grund – alle in weißen Engelshemdchen, zweitausend Freiheitsfähnchen in den kleinen Händen, die Legionen der Schüler aus den Sonntagsschulen von Altamont. In Reih und Glied, von ihren Lehrern geführt, marschierten sie in die grüne Talwanne.
»Eins, zwei, drei, vier! Eins, zwei, drei vier! Flott im Gleichschritt, Kinder!«
Als sie auftraten, begrüßte sie musikalisch aus einem Baumversteck ein Orchester mit Choralmelodien. Als die kleinen Baptisten anrückten, erklang: »Die Religion der guten alten Zeiten …« Als die Methodisten vorübermarschierten, spielte die Musik: »Am Jordan will ich warten …« Den vorbeidefilierenden kleinen Presbyterianern gab »Fels aller Zeiten …« das Geleit, den Episkopalianern »Jesus, Liebster meiner Seele …« Und dann erhob sich die Musik zu hoher lyrischer Leidenschaft und spielte »Vorwärts, Christi Streiter!«, während drunten in der Mulde die kleinen Juden vorüberschritten. Niemand lachte.
Nun kam eine Pause.
»Gott sei Dank, soweit wär's überstanden«, sprach Ralph Rolls heiser in die feierliche Stille. Die Gestalten des Barden lachten und traten lärmend in Zweierreihen an.
»Pst! Psst!« zischte Ida Nelson.
»Die glaubt wohl, sie wär das Sicherheitsventil an einem Dampfkessel, was?« sagte Julius Arthur.
Eugen beäugte aufmerksam die schönen Beine des Pagen Viola.
Ralph Rolls, laut wie es seine Art war, rief aus: »Schau! Wer kommt denn da?!«
Sie sah sie mit ihrem kessen, unparteiischen Lächeln an. Wem ihr Herz gehörte, sagte sie nie.
Der Doktor gab Miss Nelson ein verstohlenes Zeichen. Langsam, immer zwei auf einmal, geleitete sie die Gestalten Shakespeares in die Mulde hinunter.
Der Mohr von Venedig (Mister George Graves) zeigte den Spöttern seinen breiten Röcken und schob hinunter, verlegen, dumpf grinsend wie ein Schaf.
»Sag ihnen, wer Du bist, Othello«, rief ihm Doc Hines nach. »Sonst halten sie Dich für den Negerboxer Jack Johnson.«
Die Bürger der Stadt saßen im Frühlingsstaat auf dem Rasen und sahen ernst auf die waldumwobne kleine Komödie der Irrungen herab. Die Berge ringsum und die Götter, die auf ihnen thronen, sahen auf das etwas größere Theater, das die Stadt ihnen bot, herab. Und bildlich gesprochen, von den Bergen, die auf diese sichtbaren Berge herabsehen, von der höchsten Zitadelle der Philosophie, sah der endgültige Urheber des Ganzen auf alles herunter.
»Hopp! Hal!« sagte