Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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Rolls lachend.

      Die beiden schritten in die Mulde hinunter. Ein leises, anschwellendes Gemurmel des erstaunten Publikums begleitete sie. Auf der Bühne hatte der Doktor gerade die Desdemona erledigt. Sie trat mit einem zierlichen Knicks ab. Nun war er bei Othello, der bullenhaft und verlegen auf stämmigen Beinen dastand und abwartete, bis die Geduldsprüfung überstanden war. Nun schritt er ab. Der Doktor wandte sich an Falstaff. Glücklicherweise erkannte er die Gestalt sofort an dem unförmigen Wanst. Er deklamierte:

      »Nun, Trauerspiel, fahr hin! Lustspiel erscheine,

      Du heiteres, mit Kappen und mit Schellen.

      Falstaff steht hier, der alte feiste Witzbold,

      Fürst aller Späßemacher, der mit seinen

      Dreist-liederlichen Streichen einen Prinzen

      Aus königlichem Blut ergötzte, und mit losem

      Wortspiel ein Königreich sich unterwarf.«

      Das unterdrückte Lachen im Publikum nahm zu. Doc Hines, verlegen gemacht, verzog das Gesicht und flüsterte Eugen heiser zu: »Hörst Du's, Hal? Ich bin wohl die Hölle auf Rädern, was?«

      Eugen sah ihn im verschwimmenden Grün abtreten und wurde plötzlich gewahr, daß den Dr. George B. Rockham eine unnatürliche Stille befallen hatte. Die Stimme der Geschichte, das Sprachrohr der Nachwelt war verstummt. Der Doktor sperrte den Mund weit auf und war wortlos.

      »Wer sind Sie?« flüsterte er heiser, die behaarte Hand am Mund.

      »Prinz Hal«, flüsterte Eugen, ebenfalls heiser, ebenfalls die Hand am Mund.

      Dr. George B. Rockham taumelte ein wenig. Der kleine Wortwechsel war in den vorderen Reihen verstanden worden. Die Leute kicherten. Aber Dr. George B. Rockham ließ sich nicht entwegen. Mit fester Stimme begann er:

      »Der Schwachen Freund, den Tollen ein Gefährte,

      Im Leichtsinn weis geworden, kühner Hal …«

      Gelächter! Entzüngeltes, ungestümes Gelächter! Gelächter, das sich Welle um Welle an sich selber steigerte! Wildes, wieherndes, erderschütterndes, donnerdröhnendes Gelächter! – Gelächter, Gelächter, Gelächter verschüttete den Dr. George B. Rockham und alles, was er zu sagen hatte.

      Helene heiratete im Juni, einem Monat, der angeblich dem Hymen heilig ist, aber so oft zu Hochzeiten hergenommen wird, daß der Segen des Gottes vermutlich nicht immer eintrifft.

      Sie kehrte im Mai nach Altamont zurück. Nach ihrem letzten Engagement war sie zur Gastopernwoche nach Atlanta gefahren und hatte dann in Henderson Daisy und Mistress Selborne besucht. In Henderson hatte sie ihren künftigen Lebensgefährten gefunden.

      Er war ihr kein Fremdling mehr. Sie hatte ihn schon vor Jahren in Altamont kennen gelernt, als er dort als Distriktagent einer großen und humanen Firma – der Federal Cash Register Company – stationiert war. Seitdem hatte ihn die Firma in verschiedne andre Gegenden des Landes geschickt. Er verkaufte Registriermaschinen, jene praktischen Zahlautomaten, jene Sinnbilder der Sparsamkeit, des Wohlstands und der Ordnung, die, von Kassiererinnen bedient, in keinem Geschäft fehlen. Nun wohnte er in einer kleinen Stadt in Süd-Carolina zusammen mit seiner Schwester und seiner betagten Mutter, deren gewichtige Gebrechen ihrem mächtigen Appetit keinen Abbruch taten. Er war den beiden sehr ergeben und erzeigte sich äußerst freigebig gegen sie. Und die Federal Cash Register Company, von seiner Pflichttreue offenbar gerührt, belohnte ihn durch ein gutes Gehalt. Er hieß Barton. Die Bartons lebten gut.

      Helene kehrte unerwartet heim. Es war die Art der Gants, unerwartet heimzukehren. Eines Nachmittags, als einige Mitglieder der Familie in der Küche in Dixieland versammelt waren, kam sie an, trat ein und sagte:

      »Hallo! Wie geht's Euch Allen?«

      »Ei, um Go-go-gottes willen«, sagte Lukas. »Schau an, wer da-da-da ist!«

      Sie umarmten sich herzlichst.

      »Was? Um alles in der Welt!« rief Eliza, stellte ihr Bügeleisen ab und schwankte einen Augenblick im Bestreben, gleichzeitig nach zwei Richtungen zu laufen.

      Sie küßten einander.

      »Ich hab gerade so für mich gedacht«, sagte Eliza, etwas ruhiger, »daß es mich gar nicht wundern würde, wenn Du plötzlich hereingeschneit kämst. Ich hatte so 'ne Vorahnung, ich weiß nicht, mir war ganz so, als schwante mir …«

      »Ach, Du mein Gott«, stöhnte Helene, zwar gutmütig, aber doch ein wenig verdrossen, »wenn Du schon wieder mit Deinen Pentland-Spukgeschichten anfängst, dann krieg ich 'ne Gänsehaut.«

      Sie schoß Lukas einen komisch-flehentlichen Blick zu. Lukas zwinkerte zurück, lachte idiotisch. Er ging zu Eliza und kitzelte sie in die Rippen.

      »Weg mit Dir!« keifte Eliza.

      Er fauchte wie ein Verrückter.

      »Ich versichere Dich, Junge«, quengelte sie bekümmert, »bei allem, was mir heilig ist; ich glaube wahrhaftig, Du bist nicht ganz richtig im Kopf.«

      Helene lachte heiser.

      »Nun, wie geht's Daisy und den Kindern?« erkundigte sich Eliza.

      »Zufriedenstellend, nehme ich an«, sagte Helene mürrisch. »Gott soll mich vor ihnen schützen! So eine Rasselbande wie diese Kinder habe ich in meinem Leben nicht gesehn!« Sie lachte. »Ich hab fünfzig Dollar in Geschenken und Spielsachen an die Blase gehängt. Du würdest es nicht glauben, nach der Erkenntlichkeit, die sie mir dafür bezeigen. Daisy tut einfach so, als war man den Bälgen das schuldig. Selbstsucht, reine Selbstsucht, weiter nichts.«

      »Um Go-go-gottes willen!« sagte Lukas treuherzig.

      Ein feines Mädchen, die Helene. Selbstlos bis zum äußersten.

      »Das kann ich Euch versichern«, berichtete sie jetzt mit herausfordernder Schärfe, »ich habe für alles bezahlt, was ich bei Daisy genossen habe. Und ich bin nicht länger im Haus geblieben, als ich anstandshalber mußte. Ich war die meiste Zeit bei Mistress Selborne: ich war fast immer bei ihr zu Tisch.«

      Ihr Bedürfnis nach Unabhängigkeit war größer, ihr Hunger nach Anhängerschaft schärfer geworden. Sie sträubte sich dagegen, jemandem Dank schuldig zu sein. Sie gab stets mehr, als sie empfing.

      »Also, also«, sagte sie bald darauf, vergeblich bemüht, ihre Mitteilungsgier länger zu zügeln, »also ich bin jetzt hineingetreten.«

      »Wo hinein?« fragte Lukas.

      »Barmherzigkeit!« schrie Eliza. »Du hast doch nicht geheiratet, was?!«

      »Noch nicht«, sagte Helene, »aber bald wird es so weit sein.«

      Dann erzählte sie von Hugo T. Barton, dem Registriermaschinenverkäufer. Sie sprach ergeben, treuherzig und gütig von ihm, ohne große Liebe.

      »Er ist zehn Jahre älter als ich«, sagte sie.

      »Na«, sagte Eliza und schürzte nachdenklich die Lippe. »Ich will Dir was sagen, das gibt manchmal die besten Ehemänner.« Sie schwieg eine Weile. Dann fragte sie: »Besitzt er Vermögen?«

      »Nein«, sagte Helene, »sie verbrauchen alles, was er verdient. Sie leben auf großem Fuß. Die ganze Zeit zwei Dienstboten im Haus. Seine alte Mutter macht keinen Finger krumm.«

      »Wo wirst Du Deinen Hausstand haben?« fragte Eliza scharf. »Doch nicht mit seinen Leuten zusammen?«

      »Nein! Das nicht! Das nicht!« sagte Helene langsam und mit großer Entschiedenheit. »Ich will mein eignes Heim.« Plötzlich fuhr sie gereizt auf. »Guter Gott! Mama! Siehst Du das denn nicht ein? Ich bin mein Lebtag für andre dagewesen, nun will ich mich mal bedienen lassen.« Dann setzte sie mit Nachdruck hinzu: »Ich möchte keine Schwiegerleute im Haus haben. Nein, beileibe nicht.«

      Lukas biß sich nervös die Fingernägel.

      »Ja«, sagte er, »der kriegt ein f-f-f-feines Mädchen! Ich hoffe, daß er sich darüber klar ist.«

      Sie war gerührt. Sie lachte. Und