Schwester Veve redet nicht viel anders, dachte Eugen, als Bruder Steve.
Aber die Zuneigung und Ergebenheit der Bartons untereinander war schön. Ein so fester Zusammenhalt, ein so ungewöhnliches Vertrauen, eine so ruhige Verläßlichkeit, das erschien den Gants rätselhaft. Es machte sie verstört. Es rührte sie unsagbar, aber ein ganz klein wenig ärgerten sie sich auch darüber.
Die Bartons waren zwei Wochen vor der Hochzeit in die Woodson Street gekommen. Es dauerte keine drei Tage, und Helene und die alte Dame Barton standen auf gespanntem Fuß. Das war unvermeidlich. Kraft ihrer inneren Wesensspannung mußte Helene der Alten aufmutzen, mußte sie sie feindselig bezichtigen. Die Begeisterung für die Familie ihres Verlobten kühlte schnell ab. Ihr Besitzinstinkt brach durch. Sie konnte unmöglich den Platz in seinem Herzen mit jemandem teilen. Halbansprüche kannte sie nicht. Sie wollte ganz besitzen; ihr mußte volles Eigentumsrecht zugestanden werden. Natürlich würde sie sich großherzig erzeigen, aber erst mußte sie Herrin sein. Sie würde geben, selbstverständlich: das war ihr Naturgesetz.
Mistress Barton wußte sehr wohl, wessen sie verlustig ging. Sie wollte versichert sein, daß Helene wisse, was für eine ungeheure Sache es sei, einen der wenigen Heiligen, die es heutzutage noch gibt, zum Gemahl zu bekommen.
Sie pflegten im Dunkeln auf Gants Terrasse zu sitzen. Die alte Dame rekelte sich dann gewichtig im Schaukelstuhl und äußerte sich so:
»Du kriegst ei-nen gu-ten Jun-gen, He-le-ne.« Beinah streitsüchtig wackelte sie mit dem Kopf. »Ob-schon ich es selbst sa-ge, He-le-ne, Du kriegst ei-nen gu-ten Jun-gen. Ein bes-se-rer Jun-ge als Hu-go lebt ü-ber-haupt nicht.«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Helene spitz. »Ich glaube nicht, daß er so schlecht mit mir fährt. Ich hab' eine ziemlich gute Meinung von mir selber.« Dann lachte sie heiser und herzhaft. Sie versuchte, lachend ihren Groll zu verhehlen. Tatsächlich war sie so verärgert, daß es alle – außer Mistress Barton – merkten.
Einen Augenblick später entschuldigte sie sich unter einem Vorwand und suchte im Haus nach Lukas, Eugen oder sonst einer teilnahmsvollen Seele.
»Hast Du's gehört? Hast Du's wieder gehört?« legte sie, das Gesicht hysterisch verkrampft, los. »Du hast es also gehört und siehst, mit wem ich da zu tun habe, nicht wahr? Kannst Du mir demnach einen Vorwurf daraus machen, daß ich dieses verdammte alte Weib nicht in meine Ehe mit reinhaben will. Nicht wahr? Alles soll doch nach ihren Anweisungen gehn, nicht wahr? Du merkst doch, wie sie mir das andauernd unter die Nase reibt, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Ist das wahr oder nicht? Sie bringt es einfach nicht fertig, ihn an mich abzutreten. Natürlich nicht! Er ist ja ihr Versorger, er zahlt für den ganzen Haushalt! Sie haben ihn geschröpft bis zum Weißbluten. Ja, selbst jetzt, wenn es drauf ankäme, daß er zwischen uns beiden wählen müßte …« Ihr Gesicht zuckte stark; sie konnte nicht weiterreden. Einen Augenblick später hatte sie sich beruhigt, sie erklärte bündig: »Nun weißt Du, warum wir nicht in derselben Stadt mit ihnen leben wollen. Das siehst Du doch ein, nicht wahr? Kannst Du mir einen Vorwurf machen?«
»Nein«, sagte Eugen. Gehorsam und erschöpft.
»'ne verda-da-dammte Schande, so was!« sagte Lukas. Ergeben.
In diesem Augenblick kam Mistress Bartons Stimme ruhig aber befehlshaberisch von der Terrasse: »He-le-ne! Wo bist Du? He-le-ne!«
»O scherdichzumteufel, scherdichzumteufel!« knurrte Helene.
»Ja! Was ist denn?« rief sie scharf.
Das siehst Du doch ein, nicht wahr?
Sie heiratete in Dixieland. Große Hochzeit. Sie kannte sehr viele Leute.
Mit dem Herannahen des Hochzeitstags nahm ihre unterdrückte Hysterie zu. In ihrem Bedürfnis nach Respektabilität wurde sie geradezu streitsüchtig. Sie griff Eliza aufs schärfste an, weil sie gewisse zweifelhafte Dinge in Dixieland dulde.
»Mama, aber um Himmels willen, Mama! Wie kannst Du solche Existenzen hier im Haus vor den Augen Hugos und seiner Angehörigen wohnen lassen?! Was müssen sie von uns denken?! Kannst Du denn nicht einmal meine Gefühle in diesem Punkt respektieren?! Guter Himmel! Mußt Du denn zu meiner Hochzeit das Haus voller Schneppen haben?« Ihre Stimme war überschrien und schrill. Sie weinte beinahe.
»Aber Kind«, sagte Eliza mit bekümmerter Miene. »Was meinst Du denn? Ich habe nie das Geringste bemerkt.«
»Bist Du denn blind? Alle Welt redet davon! Die beiden leben in wilder Ehe zusammen!«
Diese letzte Bemerkung bezog sich auf den Stand der Dinge zwischen einem verschwenderischen jungen Alkoholiker und einer dunkel-schönen, leicht tuberkulösen Frau.
Eugen wurde mit der Aufgabe betraut, diese Dächse aus dem Bau zu graben. Er hockte sich starrsinnig vor die Tür der Schönen und sah zu, wie die Schatten in der Türritze tanzten. Nach sechs Stunden endlich ergaben sich die Belagerten. Der Mann kam heraus. Eugen, bleich, aber stolz auf das in ihn gesetzte Vertrauen, sagte dem Menschen, der das christliche Heim verunglimpft hatte, daß er ausziehen müsse. Der junge Alkoholiker, ziemlich besoffen, willigte freudig ein. Er zog sofort aus.
Mistress Pert blieb bei dem großen Hausputz verschont.
»Alles in allem genommen«, erklärte Helene, »was wissen wir über sie? Die Leute sollen reden, was sie wollen. Ich hab die Fatty gern.« Farne, Blumen, Topfpflanzen, Geschenke und Gäste trafen ein. Das langweilige Gedröhn des presbyterianischen Seelenhirten. Die dichtgedrängte Menge. Das triumphante Getös des Hochzeitsmarsches.
Blitzlichtaufnahme: Hugo Barton neben seiner Frau, mit starrausdruckslosen Augen, erschreckt. Gant, Ben, Lukas, Eugen, breitmäulig grinsend wie Hammel. Eliza, hoch bekümmert und sorgenvoll. Mistress Selborne, ein subtil-geheimnisvolles Lächeln. Pearl Hines, keß, glückhaft lachend.
Als es vorüber war, hingen Eliza und ihre Tochter einander in den Armen. Sie weinten.
Eliza wiederholte über und über, von Gast zu Gast:
»Ein Sohn bleibt Sohn bis er freit,
Eine Tochter bleibt Tochter auf Lebenszeit.«
Sie war getröstet.
Die beiden flohen schließlich aus dem Gedräng der Gratulanten. Mit bleichen Gesichtern, ganz von Sinnen vor Angst, stiegen Mister und Mistress Hugo Barton in ein geschloßnes Auto. Sie fuhren ins Battery Hills Hotel für die Nacht. Ben hatte die Hochzeitssuite für sie bestellt. Und morgen: Flitterwochen! Ein Honigmond am Niagara.
Ehe sie abfuhren, küßte das Mädchen Helene den kleinen Bruder Eugen mit einer Zuneigung, die wie von einst war.
»Wir sehn uns im Herbst, Lieberchen, Du kommst rüber und besuchst uns, sobald Du Dich dort eingewöhnt hast.«
Denn: –
Hugo Barton begann sein neues Leben an einem neuen Ort. Er zog in die Hauptstadt des Staates. Und es war bereits – hauptsächlich von Gant – bestimmt, daß Eugen die Staatsuniversität besuchen sollte.
Aber Hugo und Helene gingen nicht auf die geplante Hochzeitsreise am nächsten Morgen. Mitten in der Nacht, als sie in Dixieland zu Bett lag, war Mistress Barton die Ältere heftig erkrankt. Sie spie und spie. Dieses eine Mal hatte ihr massiver Verdauungsapparat die schweren Zumutungen, die sie beim Hochzeitsmahl an ihn gestellt hatte, zurückgewiesen. Sie war auf den Tod krank.
Schnell kehrten am frühen Morgen Hugo und Helene auf die Szenerie des fahlen Flitters und der angewelkten Lilien zurück. Helene schmiß ihre ganze Lebenskraft in die Fürsorge für die Kranke. Dominant, furios, alles bewältigend. Sie blies ihr Leben in die Alte. Drei Tage später war die Kranke außer Lebensgefahr. Aber die vollkommne Wiederherstellung war langwierig, widerlich, peinvoll. Tag um Tag verging, und das um seine Flitterwochen betrogne Mädchen wurde bittrer und bittrer. Sie kam aus dem Krankenzimmer gefegt und erschien bei Eliza in der Küche mit schmerzlich verkrampftem Gesicht:
»Dieses verdammte,