»Nein, nein.« Der junge Mann schüttelte seinen zotteligen Kopf. »Ich heiße Alex, und das dort drüben sind meine Freunde. Wir hatten gehofft, Sie für einen Job anheuern zu können.«
»Anheuern? Mich?«, schnauzte Ray. »Was zum Henker meinst du damit, Grünschnabel? Ich steuere die Fähre von Punkt A nach Punkt B und dann wieder zurück nach A. Das ist keine bescheuerte Kreuzfahrt.«
»Wir wollten nicht die Fähre benutzen«, erklärte Alex. »Es geht darum, die Gegend drüben bei Peach Island zu besichtigen, vielleicht auch die neue Ölplattform. Ich dachte, vielleicht könnten wir ein Boot bei Ihnen mieten.«
Nun seufzte Ray. Dass diese Flegel darum baten, ein Boot für die Überfahrt nach Peach Island zu chartern, kam hin und wieder vor. Die Insel war nicht spektakulär, bloß ein Haufen Sand mit ein paar Bäumen darauf, doch die Reste eines aufgegebenen Forschungslabors der US-Armee für Infektionskrankheiten reizte all die Arschlöcher, dort Schwarz-Weiß-Fotos von irgendwelchem Stuss zu schießen, für den sich niemand interessierte. Ray hatte sich noch nie erklären können, wieso ein Bild von Gerümpel in Schwarz-Weiß Kunst und nicht einfach Gerümpel ohne Farbe sein sollte. Die Sache mit dem Bohrturm war allerdings etwas Neues.
»Junge, der ganze Stuss, den man im Internet über Ungeheuer und Mutanten auf Peach Island liest, ist genau das: Stuss. Die Regierung hat dort nichts weiter untersucht als irgendeine Seuche, an der eine ganze Menge Nutzvieh erkrankte. Zu sehen gibt es da nichts.« Ray schob sein Glas zu Big Mo hinüber, damit sie ihm ein weiteres einschenkte. »Es gibt nichts als ein paar alte Gebäude und Bäume voller Lianen. Wenn du Fotos von so etwas Ödem schießen willst, lege ich dir gerne den Garten meines Nachbarn ans Herz.«
»Und was ist mit dem Turm?«
»Was soll damit sein?« Ray zuckte wieder mit den Schultern. »Da gibt es ebenfalls überhaupt nichts zu sehen. Außerdem wird es diesen Glaxco-Typen nicht sonderlich gefallen, wenn jemand dem Ding zu nahe kommt. Die sind bewaffnet dort, Junge, und tun sich keinen Zwang an, uns vor den Bug zu schießen. Am besten bleibst du einfach hier auf Sunset, wo du dir keinen Ärger einhandeln kannst. Danke für die Biere, aber ich werde dich nicht einmal in die Nähe dieses Turms fahren.«
»Na gut«, blaffte Alex. Er war es offensichtlich nicht gewohnt, dass man ihm einen Wunsch ausschlug. Ray fragte sich, ob er gleich erleben würde, wie ein erwachsener Mann einen Tobsuchtsanfall bekam. »Dann mieten wir einfach allein ein Boot und fahren raus.«
»Davon würde ich auch abraten, Junge.« Ray schlürfte an seinem frischen Bier. »Der Turm steht weiter draußen, wo der Festlandsockel schon abgefallen ist. Das Wasser wird mächtig tief dort, und Wellen können aus dem Nirgendwo heranrollen. Nein, du willst auf keinen Fall ohne Bootserfahrung da draußen sein.«
»Bootserfahrung?«, fragte Alex abschätzig. »Ich bin schon oft im Sommer gesegelt. Wir kriegen das schon hin.«
»Bei allem gebührenden Respekt«, schnaubte Ray. »Dass du mit einem Sunfish auf einem völlig ruhigen Teich herumgedümpelt bist, zählt eigentlich nicht als Bootserfahrung. Dafür bekommst du vielleicht eine Auszeichnung in Ferienlagern, doch draußen auf hoher See bedeutet es nicht viel.«
»Wie gesagt«, Alex stieß sich von der Theke ab, »wir kriegen das schon hin.«
»Tu, was du nicht lassen kannst, Junge.« Ray drehte sich wieder zu seinem Bier um. »Du bereitest damit deine eigene Totenfeier vor.«
Ray konnte nicht ahnen, wie richtig er damit lag.
4
Lou stand an der Brüstung des Bohrturms und beobachtete, wie die Tauchsonde unter der Oberfläche verschwand. Er wusste, sie war nur eine Maschine, aber er nahm zur Kenntnis, dass er sich eigenartigerweise um sie sorgte. Vielleicht war er schon zu lange hier draußen; gut möglich, dass er einfach nur seinen Sohn vermisste und deshalb seine aufgestauten Emotionen auf ein kleines, ferngesteuertes U-Boot abwälzte.
»Also gut, dann wollen wir mal sehen, was verflucht noch mal da unten vor sich geht«, grummelte er, als er sich hinters Steuerpult setzte. Nachdem er die Anzeigen überprüft und alles für einsatzbereit befunden hatte, fuhr er den Motor hoch.
Blubbernde Blasen tanzten über Lous Monitor. Das war üblich, wenn der Motor gestartet wurde. Die Sonde tauchte tiefer ins schwarze Wasser, indem sie der Antriebswelle des Bohrers folgte. Lou sollte sie nun wiederholt anhalten und den Bohrer untersuchen. Er sah in Ordnung aus; nichts deutete auf Schäden hin, kein Zeichen dafür, dass er ein Leck geschlagen hatte.
Dicke, schwarze Ströme mäanderten von der Schraube aus fort, wo sie in den Meeresboden eindrang. Lou verringerte den Schub, um das kleine U-Boot ein paar Sekunden lang treiben zu lassen. Irgendetwas kam ihm nicht geheuer vor. Schließlich dämmerte es ihm.
»Wo sind nur die Fische?«, fragte er sich laut.
Natürlich erwartete er nicht, in dieser Tiefe schimmernde Schwärme vorzufinden, aber eine Qualle oder ein Seeteufel hätten außer Frage gestanden. Lous Bildschirm jedoch zeigte überhaupt keine Lebenszeichen an. Keine einzige Pflanze, keinen Schwamm oder Kalkröhrenwurm konnte er sehen.
Die Sonde senkte sich weiter über die Bohrstelle. Alles machte einen normalen Eindruck, ein offensichtlicher Grund dafür, dass die Schraube stocken müsste, ließ sich nicht erkennen.
»Zentrale, versuchen Sie, den Bohrer wieder zu starten und langsam hochzufahren«, sprach Lou in sein Funkgerät. Dann hörte er den Motor aufbrummen und beobachtete, wie die Schraube ins Gestein griff, sich aber nicht bewegte.
»Lou, Zentrale hier, er steckt immer noch fest. Bitte melden.«
»Geben Sie volle Kraft. Vielleicht schaffen wir es, ihn so freizubekommen«, schlug er vor.
Es war, als würde die ganze Plattform erzittern, als der Motor zu voller Leistung getrieben wurde. Lou behielt seinen Monitor im Auge, während sich das Führungsrohr der Schraube bog und erzitterte. Die schwarze Flüssigkeit quoll zusehends stärker aus dem Bohrloch.
»Zentrale, brechen Sie ab«, verlangte Lou. »Lassen Sie mich die Sonde näher heranführen, um die Stelle zu überprüfen. Sieht so aus, als käme noch mehr Öl heraus, und wir wollen ja keine Ölpest wie am Golf von Mexiko heraufbeschwören, also ist Vorsicht geboten.«
»Verstanden.«
Lou lenkte das U-Boot auf den Grund. Die Bohrstelle ließ nichts Ungewöhnliches erkennen. Sobald er die erwünschte Position eingenommen hatte, ergriff Lou die Bedienhebel des mechanischen Armes der Sonde . Dieser war nicht stark, würde es aber schaffen, ein paar Steine zu verlegen, sodass Lou eventuell herausfinden konnte, warum die Schraube klemmte.
Nachdem er ein paar Steinhaufen und etwas Sand bewegt hatte, war er jedoch nicht schlauer als zuvor. Er fuhr mit der Sonde auf die andere Seite und suchte dort weiter. Immer noch nichts.
Dann versperrte ihm plötzlich eine dicke Wolke der schwarzen Flüssigkeit die Sicht.
»Verdammt! Zentrale, sieht so aus, als stünde uns eine größere Leckage bevor. Weisen Sie die Crew und Leitstelle darauf hin, dass wir dieses Bohrloch abdichten müssen. Außerdem würde ich empfehlen, das schnell zu tun, weil es so aussieht, als würde noch mehr Öl austreten. Wir müssen das unter Kontrolle bringen, bevor der Umweltschutz Wind davon bekommt.«
»Wird gemacht, Lou. Lassen Sie uns das eben an die Leitstelle weitergeben und eine Bestätigung einholen. Bitte warten Sie so lange.«
Noch mehr pechschwarze Flüssigkeit waberte von den Rändern des Bohrlochs ins Bild. Lou hatte hinreichend Erfahrung mit Öllecks, und das hier sah zu schaffen aus, doch so etwas konnte sich im Handumdrehen ändern.
Dann begannen plötzlich Blasen, an der Stelle aufzuwallen, und erschwerten Lous Sicht erheblich.
»Zentrale, Sie würden gut daran tun, sich Ihre Bestätigung schnell einzuholen«, drängte er. »Anscheinend haben wir einen Gaseinschluss oder so etwas getroffen; da unten