TIDAL GRAVE - Ihr hättet es nicht wecken dürfen!. H.E. Goodhue. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H.E. Goodhue
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350540
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getan, bis die Fische verschwunden waren. Jetzt musste er sich dazu herablassen, Touristen vom Festland nach Sunset Island zu fahren. Hin und zurück waren es zwar nur etwa vier Meilen, doch dabei könnte er in einem fort kotzen.

      Mancher hatte gehofft, der neue Bohrturm, den man einige Monate zuvor errichtet hatte, hauche der Insel neues Leben ein, doch Ray wusste es besser. Die suchten etwas da draußen, doch nicht, dass man sich veranlasst sähe, die Bewohner von Sunset darüber zu informieren. Die Anlage diente einem bestimmten Zweck – einem Zweck, der eine Menge Geld verschlang, doch nichts davon trieb auf dem Wasser herüber und wurde an Land gespült. Nein, das Einzige, was sich aus den Bohrungen ergab, waren Probleme, doch das hielt Bürgermeister Billings nicht davon ab, das Seegebietsrecht an Glaxco Holdings zu verkaufen.

      Ray kannte eigentlich niemanden unter den Touristen so gut, dass er sie hätte hassen können, doch was er beim Umrunden der Insel sah, genügte ihm schon. Die meisten Menschen lebten mitten auf Sunset Island auf kleinen Gehöften oder in älteren Wohnhäusern – solche, die äußerlich davon zeugten, dass sie rechtschaffenen, hart arbeitenden Menschen gehörten. Der äußere Ring des Landes war unterdessen mit neueren Gebäuden besprengt. Beschissene Tempel aus vorfabrizierten Elementen dieser Art erinnerten ihn daran, dass man sich mit Geld zwar vieles kaufen konnte, aber ganz bestimmt keinen guten Geschmack. Fuhr Ray mit seinem Boot um die Insel, machte er zusehends mehr von diesen unnötig riesigen Bunkern aus, die allen anderen die Sicht aufs Wasser versperrten.

      Ein so großes Haus zu bauen, ergab keinen Sinn. Warum tat man das, wenn man dabei Gefahr lief, zu vergessen, mit wem man dort wohnte? Ray konnte sich gut vorstellen, genau diese Absicht stecke dahinter, doch auch, falls das wirklich der Grund dafür war, dass die reichen Trottel diese Ungeheuerlichkeiten entlang der Küste hochzogen, mutete es unsinnig an. Die meisten neueren, größeren Häuser auf Sunset Island waren während elf von zwölf Monaten im Jahr unbewohnt. Die Wohlhabenden mochten die Kälte nicht und waren ganz gewiss außerstande, an den harten Wintern hier herumzupfuschen. Sie tauchten in den warmen Monaten auf wie Unkraut und verschwanden beim ersten Stoß kühler Atlantikluft wieder. Ray hatte sich angewöhnt, die Winter zu lieben.

      Ob er die Touristen hasste oder nicht, war egal. Er brauchte sie, und das galt für jeden auf Sunset. Nach dem Niedergang der Fischerei blieb der Fremdenverkehr als eine von wenigen Branchen übrig. Die zwei bis drei milden Monate brachten genügend Geld ein, um jedermann auf der Insel ein weiteres Jahr lang am Leben zu halten.

      Die Fähre stieß sanft gegen die alten Gummireifen, die den Hafendamm säumten. Ray legte den Rückwärtsgang ein, um die Bugklappe herumzuschwenken. Als sie rumpelnd andockte, brachte er den Motor in Leerlauf. Die Rampe senkte sich, woraufhin sich Autos, deren Namen Ray nicht aussprechen konnte, geschweige denn, dass sie für ihn erschwinglich gewesen wären, in eine Schlange einreihten.

      Eine korpulente Frau kam schnaufend die schmale Treppe zum Steuerraum herauf. Ihr Gesicht war rot und glänzte wie gebratener Schinkenspeck. Auch dicke Schminke verbarg den unsympathischen Ausdruck ihrer Augen nicht. Ray seufzte und drehte sich zur Tür um. Am Fuß der Treppe hing ein Schild, das Passagiere klar darauf hinwies, die rote Linie nicht zu überschreiten, doch diese Frau konnte entweder nicht lesen oder scherte sich nicht darum. Ray tippte eher auf Letzteres, auch wenn er Ersteres nicht ausschließen wollte.

      Sie klopfte mit ihren dicken Fingern – jeder quoll unter Goldringen hervor wie Brotteig – an die Tür.

      »Kapitän!«, schrie die Frau schrill. »Kapitän! Meine Kinder wollen ein Foto!«

      Ray stöhnte und rutschte vom Kapitänssessel. Dieser Teil seiner Arbeit verdross ihn am meisten.

      »Ich übernehme die Kontrolle«, sagte Jimmy Horst grinsend. Er war sein Stellvertreter. Eigentlich hätte er mittlerweile schon selbst Kapitän sein sollen, doch Ray hegte den Verdacht, dass Horst aufgrund dieser fotografischen Pflichten bereitwillig weiterhin die zweite Geige spielte.

      »Danke, Jimmy«, erwiderte er mit schiefem Lächeln, ehe er die Klinke packte und die Tür aufwarf. Die Frau wippte ungeduldig mit einem Fuß auf dem metallenen Treppenabsatz.

      »Schönen Nachmittag, Ma’am«, begrüßte er sie lächelnd mit geheucheltem Vergnügen.

      »Haben Sie nicht etwas vergessen?«, grunzte die Frau, indem sie mit einem dicken Finger auf Ray zeigte.

      »Bitte?«

      »Hier, Kapitän!« Jimmy lachte und warf ihm einen weißen Hut mit goldenen Zierbändern zu, als sei es ein Frisbee.

      »Nochmals danke, Jimmy.« Ray fing den Hut auf.

      »Schon besser«, meinte die Frau nickend.

      »Zweifellos eine Verbesserung, Kapitän«, gackerte Jimmy hysterisch.

      »Hey, Jimmy«, raunte Ray ihm zu. »Wenn alle an Land sind, kannst du mal nach dem verstopften Klo sehen, ja? Anscheinend gab’s bei den Bartschnöseln gestern mexikanisch.« Jetzt war er an der Reihe, zu lachen.

      Vielleicht versenke ich diesen Kahn morgen, dachte er, während er die Treppe hinunterging, um strahlend für ein weiteres Foto zu posieren, auf das er lieber verzichtet hätte.

      2

      »Zurückziehen!«, brüllte Lou Sneltz.

      Er beobachtete, wie der Zeiger des Druckmessers vom gelben in den roten Bereich schnellte, woraufhin der Alarm losging. Offengestanden arbeitete der dämliche Bohrer die meiste Zeit über irgendwo an der Schwelle zwischen Gelb und Rot, aber diesen eindeutigen Rechtsausschlag durfte man nicht außer Acht lassen. Der Maschinenpark wurde genauso wie die Crew bis an die Grenzen getrieben, aber nicht dass dies irgendeinen Schlipsträger bei Glaxco Holdings gekümmert hätte. Ihnen ging es einzig und allein um den Beweis dafür, dass diese Methode funktionierte und Unterwasserbohrungen in solchen Tiefen durchführbar waren.

      Lou arbeitete seit einem Monat draußen auf der Plattform und begriff immer noch nicht, weshalb sie das Gerät an einer Stelle testeten, die geringe Chancen in Aussicht stellte, auf Öl zu stoßen. Irgendjemand hatte gemunkelt, das Gebietsrecht sei spottbillig zu erstehen gewesen, und man wolle die Konkurrenz nicht allzu neugierig machen. Lou hingegen wollte bloß mit seiner Arbeit hier fertig werden, den Gehaltsscheck einstreichen und nach Hause zu Frau und Kind zurückkehren. Alle weiteren Sorgen durften sich diejenigen machen, deren Lohnklasse die seine bei weitem überstieg.

      Die Druckanzeige sackte in den grünen Bereich zurück.

      »Sind wohl auf einen Gaseinschluss gestoßen«, meldete Lou per Funkgerät. »Mal sehen, ob wir es vor der Mittagspause schaffen, unsere Marke zu erreichen.«

      Das ohrenbetäubende Sirren der Maschine gab Lou zu verstehen, dass man mit seinem Vorschlag übereinkam.

      Die Anlage vibrierte, während der massige Bohrer tiefer in den Meeresgrund vorstieß. Lou hatte sich an das Gefühl gewöhnt, Tausende von unsichtbaren Käfern mit unter Strom stehenden Füßchen würden über ihn krabbeln.

      Irgendwo aus der Tiefe des Turms drang ein lautes, mechanisches Quietschen, und der Zeiger des Druckmessers neigte sich fast bis zum Anschlag nach rechts. Lou streckte ruckartig die Hand aus und schlug auf den Notschalter. Die Schlipsträger würden sich über die vergeudete Arbeitszeit ärgern, hätten aber noch mehr Grund zum Klagen, wenn der Bohrer brechen würde.

      »Musste stoppen«, gab Lou an. »Die Druckanzeige wäre beinahe kaputtgegangen. Wir ziehen ihn heraus, dann geben wir dem Boden ein paar Minuten Zeit zur Beruhigung. Gut möglich, dass der Druck irgendetwas aufgerüttelt hat.«

      Er hörte, wie die gewaltige Maschine, die den Bohrer lenkte, frustriert ächzte. Die gesamte Anlage schien zu erschaudern.

      »Lou, Zentrale hier.« Die Stimme kam knarrend aus der Gegensprechanlage. »Sieht so aus, als sei der Bohrer steckengeblieben.«

      »Steckengeblieben?«, hakte er nach. »Können Sie sehen, worin und warum? Probieren Sie einige der Unterwasserkameras aus.«

      »Negativ, Lou, nichts zu erkennen. Es scheint Flüssigkeit an der Bohrstelle auszutreten und das schränkt die Sicht ein.«

      »Flüssigkeit?«,