»Negativ, Lou. Wir sehen nichts als Schwarz; könnte Öl sein. Die Leitstelle bei Glaxco wird verständigt, bleiben Sie dran.«
Lou schaltete den Monitor ein, der über seinem Bedienfeld hing. Wolken waberten wie Tinte rings um die Antriebswelle des Bohrers. Dieser verlor sich in der Tiefe unter dem Wirbel, der sich wie eine Ranke aus Rauch um ihn wand. Lou konnte sich gar nicht mehr an alle Bohrinseln und Fördertürme erinnern, auf denen er schon angestellt gewesen und meistens auch auf Öl gestoßen war, doch so hatte es nie zuvor ausgesehen.
»Lou, die Leitstelle möchte umgehend eine Tauchsonde im Wasser sehen, um die Situation zu bewerten. Wir lassen eine vorbereiten und für Sie an Deck aufstellen.«
»Zentrale, für mich sieht das nicht nach Öl aus«, antwortete Lou. »Sind die Aufnahmen der Leitstelle zugekommen? Womöglich tun wir gut daran, die Arbeit zu unterbrechen, bis wir wissen, was da los ist.«
»Ordnungsgemäß erledigt, Lou. Die Bildaufnahmen wurden gemeinsam mit unserer vorigen Unterhaltung übermittelt. Sie sollten wissen, dass Glaxcos Leitstelle unseren Status von Erprobungsphase zu Einsatzbereit geändert hat. Sie wollen, dass wir möglichst bald Öl fördern.«
»Klar wollen sie das«, murrte Lou, während er sich an der schmalen Leiter oberhalb hochzog.
3
Die meisten Lokale auf Sunset Island waren nur während der Urlaubssaison geöffnet und stellten den Betrieb während der kalten Monate ein. Wegen der Kundschaft, die nicht kam, Kosten für Licht und Heizung zu verursachen, hatte keinen Zweck. Sobald das sommerliche Klientel die Insel verließ, machte die Stadt die Schotten dicht, woraufhin abgesehen von der Bücherei und dem Supermarkt so gut wie alles geschlossen blieb. Die Bewohner von Sunset waren zäh und genügsam; in Wellnessbädern und Designer-Süßwarenbäckereien verkehrten nur Auswärtige, nicht die Einheimischen.
Das Dry Dock zählte zu einem der wenigen Gewerbe, die das ganze Jahr über geöffnet und eine Stammkundschaft hatten. Es war nicht viel mehr als eine Bruchbude an der Kreuzung zweier Hauptverkehrswege der Insel. Man hatte die Schindeln an den Wänden zahllose Male blau übergestrichen, es aber irgendwie immer noch nicht geschafft, sie sauber aussehen zu lassen. Ein kleines, rotes Ruderboot, von dem die Farbe abblätterte und an dessen Bug der Name der Kneipe stand, zierte die Oberkante der Front. Aus unerfindlichem Grund ergab es sich, dass sie tagein, tagaus geöffnet war. Möglicherweise rührte dies daher, dass die Besitzerin, Big Mo, Touristen nicht mochte oder während der dunklen Jahreszeit keine andere Anlaufstelle vorhanden war, um sich zu betrinken. Doch woran auch immer es lag: Die Einheimischen begeisterten sich für das Dry Dock. Ray bildete da keine Ausnahme.
Jeden Abend, nachdem er die letzte Fahrt zur Insel hinter sich gebracht und angelegt hatte, fand er sich unweigerlich im Lokal ein, um ein paar Bier zu kippen, während er sich vor der Touristenplage versteckte. Ray liebte das Dry Dock und jeden verwitterten Teufelskerl, der sich darin verkroch. An den Mauern des Schankraums hingen zahlreiche nautische Erinnerungsstücke und gerahmte Artikel aus der Lokalzeitung. Eigentlich war nichts davon bedeutsam oder beeindruckend, doch das schummrige Licht, das wässrige Bier und das Gewimmel an den Wänden hielten das meiste angereiste Pack fern. Allein schon deswegen gefiel es Ray hier. Dann war da natürlich noch Big Mo selbst. Sie gehörte nicht zu der Sorte Frau, die man sich als Bettgespielin wünschte, entsprach jedoch genau dem Typ, den man bei einem Kampf gerne hinter sich wusste. Damit war Big Mo aber auch zufrieden. Einmal hatte sie Ray erzählt, jemand sei so verrückt gewesen, ihr einen Heiratsantrag zu machen, woraufhin sie ihn geschlagen habe, und zwar heftig. Sie war sich sicher, ihn getötet zu haben, weshalb ein Haftbefehl gegen sie ausstände.
Big Mo hatte widerspenstiges rotes Haar, das knapp bis an ihre breiten Schultern reichte, und war bestimmt fast zwei Meter groß. Ihre Arme waren so dick wie Brotlaibe und mit verblassten Seefahrertätowierungen übersät. Ray hatte einmal gemeint, sie sehe wie geschaffen fürs Dry Dock aus, woraufhin er von ihr angesehen worden war, als habe er sie gerade die schönste Frau der Welt genannt. Danach hatte er eine Woche lang aufs Haus trinken dürfen.
»Hey, Ray.« Big Mo nickte, als er durch die Tür kam. »Ein weiterer erfüllender Tag als Kapitän deines Pestschiffs?«
»Hätte schwören können, heute sei der Tag.« Ray grinste, als er sich beschwerlich auf seinem Stammhocker niederließ. »Jepp, ich war unheimlich nahe dran, sie heute gegen den Kai zu donnern.«
»Ganz bestimmt.« Big Mo lächelte und stellte ihm ein Pint Bier hin. Das Getränk sah seltsam aus und roch noch seltsamer.
»Was zum Geier ist das?« Ray betrachtete das beschlagene Glas. »Stinkt wie eine jener Kerzen, die meine Frau ständig im Bad aufgestellt hatte. Das roch, als hätte jemand in eine Obstschale geschissen.«
»Gewählte Ausdrucksweise wie immer, Ray. Die Kerle da hinten sagten, sie wollten dem Kapitän einen ausgeben.« Big Mo zeigte mit einem Daumen auf das Trio großer Kinder am anderen Ende der Theke. »Ich erklärte ihnen schon, dass du nichts von dieser Plörre mit Fruchtgeschmack aus Kleinbrauereien hältst, aber sie bestanden drauf.«
»Was um alles in der Welt machen die überhaupt hier? Sich unter den Pöbel mischen, oder was?« Ray schnupperte am Bier. Es roch künstlich nach Heidelbeere. »Ich werde dieses Zeug nicht trinken!«
»Sie müssen Ihren Horizont erweitern, Mann«, warf ein junger Mann mit Flanellhemd, enger Jeans und, wie es aussah, Krankenpfleger-Clogs ein, indem er sich auf einen Hocker neben Ray setzte. »Ihr Geschmacksempfinden weiterentwickeln. Wer weiß, Kapitän, vielleicht schmeckt es Ihnen ja. Stellen Sie sich vor, nach Hause zu gehen und beim Aufstoßen nach Heidelbeere zu riechen. Wie könnte Ihnen Ihre Frau da widerstehen?«
»Nicht dass es Sie etwas angehen würde, mein Freund, aber meine Frau ist tot.« Ray schob das Bier von sich fort. »Mo, sei so lieb und bring mir ein Bud.«
»Verzeihung, Kapitän«, fuhr der Kerl fort. »Das konnte ich nicht wissen. Woran ist Ihre Frau gestorben?«
»Bist ganz schön vorwitzig«, schnaubte Big Mo, als sie ein neues Bier vor Ray abstellte. »Geht dich ja eigentlich nichts an, aber der alte Ray hier hat seine Lady ans große K verloren, falls du es unbedingt wissen musst.«
»Krebs?«, fragte der Jungspund. »Oh Gott, tut mir leid, Kapitän. Mir ist mal eine Katze an so was gestorben. Das war extrem bitter und hat mein Weltbild total verändert, echt.«
»Sie ist nicht an Krebs gestorben, du Trottel.« Ray trank einen Schluck Bier und knallte das Pint auf die Theke.
»Aber sie sagte doch ...«
»Ich sagte, er hat sie ans große K verloren«, unterbrach ihn Big Mo. »Von Krebs war keine Rede.«
»Na, und was ist das große K dann?«, fragte er.
»Eher wer als was.« Sie schmunzelte süffisant. »Rays Frau Linda ist nicht tot, Bursche, sondern nur lesbisch geworden. Das große K, so hat Ray die neue Lebensgefährtin seiner Frau getauft: Karla. Die beiden wohnen irgendwo auf dem Festland zusammen.«
»Machte es irgendwie einfacher für mich, damit klarzukommen.« Ray zuckte mit den Achseln und trank seinen Krug leer. »War deine Katze auch lesbisch – oder können wir aufhören, so zu tun, als müssten wir uns über irgendetwas unterhalten?«
»Hören Sie, Mann, Entschuldigung wegen des Biers und Ihrer Frau«, beschwichtigte ihn der Schnösel. »Lassen Sie sich das Nächste von mir ausgeben, Kapitän.«
Ray entgegnete ausdruckslos: »Also gut, du darfst dir dieses Bier auf die Rechnung schreiben, weil es, glaube ich, das Mindeste ist, was du zur Entschädigung dafür tun kannst, mich gestört zu haben, aber falls du nicht aufhörst, mich Kapitän zu nennen, schlage ich diesen Krug auf deinem fusseligen Kopf kaputt.«
»Soll so geschehen Käp… ich meine Ray.« Der Fusselige nickte. »Noch zwei Bud, bitte.«
Nachdem Big Mo die nächste Runde gebracht