Wanda jedoch war nicht gewillt, Zuträgerdienste zu leisten und womöglich bei der Rückkehr der gnädigen Frau laute Klagetöne anzustimmen. Mochte sie noch so lange im Haus sein, sie fühlte sich mit den anderen viel enger verbunden als mit der gnädigen Frau.
Und ganz besonders mit Antonius Kallweit! Bei ihm hatte sie das Gefühl, sie müsse ihm ein wenig die früh verstorbene Mutter ersetzen.
Der arme Kerl! Wenn er nur nicht immer so nervös und aufgeregt wäre. Aber er fürchtete natürlich um seine Stellung. Es war so schwer, heutzutage eine Beschäftigung als Privatsekretär zu finden.
Wanda drückte also ein Auge zu, wenn es nicht ganz so korrekt und pünktlich zuging wie bei der gnädigen Frau.
Die Lisbeth allerdings übertrieb es ein wenig. Jeden Abend ging sie fort. Heute war sie erst gegen Morgen nach Hause gekommen. Sicher traf sie sich wieder mit irgendeinem Freund. Wer weiß, was sie diesen alles erzählte!
»Gehen Sie heute abend wieder aus, Lisbeth?« Als sie beim Mittagessen beisammen saßen, fragte Wanda es.
»Haben Sie etwas dagegen?« fragte das hübsche Ding schnippisch.
»Sie wissen genau, daß Sie nur einmal in der Woche Ausgang haben. Wenn die gnädige Frau überraschend nach Hause kommt, gibt es Ärger. Ich warne Sie.«
»Die Gnädige kann nur einmal nach Hause kommen, und dann ist das eben gerade mein Ausgehtag.«
Lisbeth schien um Ausreden nicht verlegen zu sein.
Antonius Kallweit verzog gequält das Gesicht. Bittend sah er Lisbeth an.
»Wenn Sie wenigstens nicht immer allein gehen wollten, Lisbeth. Bedenken Sie doch, was einer jungen Dame alles passieren kann.«
Lisbeth lachte schallend.
»Sie sind wie ein guter alter Onkel!«
»Lisbeth, Sie sollten sich freuen, daß es jemanden gibt, der sich um Sie Sorgen macht.«
Lisbeth überhörte Wandas Einwurf, aber sie war plötzlich sehr umgänglich. Und als sie dann vom Tisch aufstanden, blieb Lisbeth an seiner Seite.
»Ist es eigentlich nicht schrecklich langweilig, immer so hinter dem Schreibtisch zu sitzen, Herr Kallweit? Für mich wäre das nichts«, betonte Lisbeth.
Antonius wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte, obwohl es ihm Freude machte, von seiner Arbeit zu erzählen, schon weil er sich dabei ihr gegenüber ins rechte Licht setzen konnte, empfand er doch, daß hier mehr gesagt werden mußte, wenn die Gelegenheit nicht abermals verpaßt werden sollte. Irgendwo hatte er einmal gelesen, wie man in solchen Fällen vorging. Und er hatte es auch im Film gesehen.
Wenn er nur den Mut fand, sich genauso zu verhalten! Danach mußte er ihr jetzt lange und tief in die Augen sehen und sie dann einfach in die Arme nehmen, um ihr mit glühenden Worten seine Liebe zu gestehen.
Gleich dreht sie sich um und geht weg, durchschoß es Antonius Kallweit. Und plötzlich vergaß er all seine Hemmungen. Er blickte sie lange und voller Liebe an.
Dann trat er auf sie zu, legte beide Arme um sie: »Lisbeth, ich liebe Sie, werden Sie meine Frau!«
Mit offenem Mund hatte das Mädel seine Bewegungen verfolgt. Jetzt starrte sie ihn verständnislos an.
»Sind Sie verrückt geworden?!«
Kallweit wußte nicht, wie ihm geschah. Er war so stolz, daß er es endlich fertiggebracht hatte, sich ihr offen zu erklären. Es war, als wäre er mit diesem Entschluß zu einem anderen Menschen geworden. Endlich einmal hatte er seine Ängstlichkeit überwunden. Mußte er darauf nicht sehr stolz sein? Doch dann wurde ihm plötzlich bewußt, daß alles umsonst gewesen war. Lisbeth lachte ihn aus. Er blieb allein, wie immer.
Tiefe Mutlosigkeit befiel ihn.
»Sie lieben mich nicht, Lisbeth?« fragte er niedergeschlagen.
»Nein! Und außerdem bin ich so gut wie versprochen.«
»Ach so«, sagte Antonius Kallweit, »ich verstehe. Darum sind Sie jeden Abend weggegangen.«
Lisbeth blickte mitleidig auf den Mann, der ihr da eben eine so komische Liebeserklärung gemacht hatte. Niemals hätte sie dem schüchternen Kallweit zugetraut, daß er einfach auf sie zutreten und sie umarmen könnte. Ein bißchen imponierte ihr das ja. Aber wenn sie sich ihn so ansah, diese schmale schlanke Gestalt, eingezwängt in einen viel zu engen Anzug, nein, da war ihr Uwe von Hassen doch ein ganz anderer Kerl: groß und breitschultrig, das scharfgeschnittene Gesicht braungebrannt. Heute abend würde sie ihn wiedersehen.
Lisbeth bekam ganz sehnsüchtige Augen. Wenn sie allerdings daran dachte, daß sie sich ihrem Uwe mit einem ganz falschen Namen vorgestellt hatte, dann war da neben der Sehnsucht, ihn wiederzusehen, eine ganz große Angst. Für ihn war sie Lisbeth Gräfenhan, und sie hoffte nur, daß er mit ihr längst die große Auslandsreise angetreten hatte, wenn Inge Gräfenhan hierher zurückkam.
Lisbeth merkte plötzlich, daß sie allein war. Antonius Kallweit hatte sich umgedreht und war in sein Zimmer hinaufgegangen. Einen Augenblick lang sah sie den Gang entlang. Ja, sie war allein. Dabei hätte sie sich ganz gern noch ein wenig mit Antonius Kallweit unterhalten. Er brauchte doch wirklich nicht gleich so gekränkt zu sein.
Lisbeth sah sich noch einmal sorgfältig um, dann stieg sie behutsam die Treppe hinauf. Im Haus war es völlig still, Kallweit saß sicher wieder hinter seinem Schreibtisch, Wanda hantierte in der Küche herum und Fritz, den alten Hausdiener, sah man ohnehin nur selten.
Auf dem letzten Treppenabsatz blieb Lisbeth stehen und überlegte. Dann wandte sie sich nach rechts, öffnete hastig eine der großen Schleiflacktüren, vorsichtig zog sie diese hinter sich ins Schloß.
Inges Zimmer war es, in welchem sie jetzt stand.
Lisbeth zeigte keinerlei Nervosität, selbst wenn man sie hier überraschen würde, konnte sie sich jederzeit damit herausreden, daß sie hier schließlich auch einmal Staub wischen müsse, heute vormittag jedoch nicht dazu gekommen sei. Behende schlüpfte sie jetzt zu dem breiten Kleiderschrank aus hellem, poliertem Birnbaumholz. Sie kannte sich darin anscheinend sehr gut aus. Wählerisch glitten ihre Augen über Inges Garderobe.
»Die gnädige Frau hätte ihrer Tochter längst ein paar neue Kleider kaufen können«, sagte sie ärgerlich. »Diese beiden hier hatte ich schon an, bleibt noch das schwarze, aber das ist zu empfindlich. Lauter Tüll und Spitzen! Ich will doch nicht zu einem Ball gehen!«
Sie nahm es trotzdem heraus und trat damit vor den Toilettentisch. Prüfend hielt sie sich das Kleid an, mußte dann jedoch auf einen Polsterhocker steigen, weil der Spiegel nicht groß genug war.
Lisbeth fand, daß sie sehr gut aussah. Außerdem hatte Uwe ihr versprochen, heute mit ihr zusammen eine der teuersten und elegantesten Bars zu besuchen. Da war sie dann doch passend mit diesem Kleid angezogen. Lisbeth legte das Kleid zu einem kleinen Bündel zusammen, dann gingen ihre Augen prüfend über die Glasplatte des Toilettentisches. Natürlich, hier gab es nicht einmal ein vernünftiges Parfüm. Das gnädige Fräulein wurde wirklich sehr kurz gehalten. Ein Glück, daß Uwe ihr echtes Pariser Parfüm geschenkt hatte.
Bevor sie hinausging, legte sie prüfend das Ohr an die Tür. Als Lisbeth eine Zeitlang gewartet hatte, ohne ein verdächtiges Geräusch gehört zu haben, ging sie hinaus, um dann eilig die schmale Bodentreppe zu ihrer kleinen Kammer hinaufzuhuschen…
Man hatte sich in einem kleinen Café verabredet. Lisbeth Schmieder hatte diesen Treffpunkt ausgewählt, und Uwe von Hassen war es zufrieden gewesen. Wenn Lisbeth nicht so sehr mit sich selbst und ihrer Eitelkeit beschäftigt gewesen wäre, wäre es ihr aufgefallen, daß auch Uwe mit besonderer Vorliebe abgelegene Lokale auswählte. Aber wahrscheinlich hätte sie sich dann nur gesagt, daß er mit ihr allein sein wollte und es als besonderes Zeichen seiner Zuneigung gewertet.
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