Eine intellektuelle Koryphäe – gleichfalls aus Basra – erging sich Rabi’a gegenüber in Klage und Schimpftiraden, über das kriegsverwüstete Land, alias: die verderbte Welt, da sagte sie leise: »Hängst du so sehr an der Welt? Nur wer sie liebt, redet so oft von der Welt wie du. Nur Käufer machen die Ware schlecht. (Anders übersetzt: »Wer Waren zerschlägt, kauft Waren«, bzw. »Wer von der Ware wegschaut, ist ein Käufer.«) Wärst du mit der Welt fertig, würdest du sie weder tadeln noch loben.« Tausend Jahre später übersetzte sich so was noch mal anders, nämlich schier: »Wer keine Waren zerschlägt, verdient nicht doppelt!« In noch angewendeterem Klartext: »Wer seine Feinde nicht hochrüstet, kann sie anschließend nicht zurückbomben, um sie dann wieder aufzubauen und sich dabei ein drittes Mal gesundzustoßen.« Und typische Sufi-Statements wie »Keiner ist glaubwürdig, der den Schlag seines Herrn nicht geduldig erträgt« grenzten schier ans jesuanische Hinhalten der Backe, und Steigerungen solcher Credos »Keiner ist glaubwürdig, der für den Schlag seines Herrn nicht dankbar ist« ans Masochistische. Im Munacara (Wettstreit der Heiligen) übertrumpfte damals ein Guru diese Maximen mit: »Keiner ist glaubwürdig, der nicht Wohlgefallen findet am Schlag seines Herrn.« In der Realpolitik aktueller Warlords und Blutsäufer wär dergleichen schwerlich anwendbar. Rabi’a aber ging noch einen qualitativen Gedankensprung weiter: »Keiner ist glaubwürdig, der nicht im Anblick seines Herrn den Schlag vergißt …« Für Zeiten, die technisch und religiös nur partiell, politisch aber nach wie vor in toto in Mittelalter und Steinzeit zurückfielen, blieb der Anblick des Herrn zwar weitestgehend aus, dafür aber steigerten sich herrenlos ausgeteilte Schläge.
Als ein Dogmatiker sie harsch belehrte, Frauen könnten wahrlich keinen Anspruch erheben, heilig zu sein, erwiderte sie schlagfertig: »Und, ungleicher Mann, Frauen können erst recht keinen Anspruch erheben, Gott zu sein.« Später wurde sie bisweilen »Krone der Männer« genannt.
Frauen, die ihr halbwegs glichen (à la Maryam aus Basra, Bahrijja al-Mausulijja, Schawana, Amina ar-Ramlijja, Raihana al-Wahila, Rabi’a asch-Schamiya, Rabi’a al-Qaisis, oder Fatima von Nischapur), nannte man ehrenvoll »eine zweite Rabi’a«. Fariduddin ‘Attar bezeichnete Rabi’a al-Adawiya als eine zweite Maryam (Maria). Legenden hüllten sie bald ein: Ihre Fingerspitzen leuchteten nachts; ihr Gebetsteppich hob sich in die Luft wie in Tausendundeiner Nacht; jedem Tierlein sein Pläsierchen. Die Ka’aba eilte ihr entgegen, worüber Mitpilger sich erbosten. Dialoge und Episoden mit Hasan aus Basra häuften sich, obwohl dieser vierundzwanzig Jahre vor ihrer Geburt starb; damals nahm man es mit den Lebensdaten nicht so genau, oder es handelte sich um einen anderen Hasan, der halt auch aus Basra kam. Daß Dschelalluddin Rumi sie nicht für würdig fand, in sein allumfassendes Mathnawi einzuwandern, warf schlechtes Licht auf Rumi, zumal er eine ihrer Geschichten durchaus aufnahm, aber sie einem namenlosen Asketen zuschrieb – wollte Rumi, anders als Fariduddin ‘Attar, in mystischer Domäne keine Mystikerinnen zulassen? Daß Rabi’a symbolschwanger mit Fackel und Eimer hantierte, wanderte als Legende durch Joinville, den Vertreter Ludwigs IX., ins Abendland und wurde vom Quietisten Camus 1640 in »Carité ou la Vraie Charitée« nacherzählt. In Florence Hervés und Ingeborg Nödingers »Lexikon der Rebellinnen« wanderte Rabi’a al-Adawiya nicht ein. Bhagwan Rajneesh rühmte Rabi’a als »herrlich verrückt« und referierte vier, fünf Episoden. Sie hätte in ihrem Koran x Stellen geändert, zum Erschrecken ihrer Zeitgenossen, und sogar ganze Zeilen rausgestrichen, z.B. »Wenn du den Teufel siehst, hasse ihn!« Jene Anekdote, wo Hodscha Nasruddin seinen Schlüssel an irrealem, aber gut beleuchtetem Ort suchte, übertrug Bhagwan auf Rabi’a, und schon suchte diese, laut Bhagwan, nach ihrer Nadel. Ihre weitergetragenen Aussprüche und Anekdoten, die an ihr weitererzähltes Leben andockten, schienen teilweise nicht ganz so originell, brillant und närrisch strukturiert wie bei Bayazid al-Bastami/Abu Yazid oder Abu Bakr Schibli, dafür umso rührender und vor allem zeitlich eher da als all die Späteren.
Worte von Rabi’a: Sei wie Wachs, erleuchte die Welt, und selbst brenne. Sei wie eine Nadel, arbeite immer nackt. Wenn Du diese beiden Dinge getan hast, werden tausend Jahre für Dich wie ein Haar sein. – Gib Du Deinen Feinden das Diesseits, Deinen Freunden das Jenseits; ich will von beiden nichts; denn Du bist mir genug! – Wie gern möcht ich wissen, ob Du meine Gebete angenommen oder sie verworfen hast.
Rabi’a über sich selbst: Ich komme von der anderen Welt und gehe zu der anderen Welt; ich bessere mich in dieser Welt, weil ich arbeite für die andere Welt; meinen Lohn bekomm ich schon in dieser Welt. – Ich habe Dich im Herzen zu meinem Gesprächspartner gemacht, während ich meinen Leib denen überließ, die mir Gefährten sein wollten. Mein Leib pflegt mit ihnen Umgang, doch nur der Geliebte meines Herzens ist mein Vertrauter. – O Allah, meine einzige Beschäftigung und all meine Sehnsucht in dieser Welt, eingeschlossen alle weltlichen Dinge, ist, Deiner zu gedenken, und in der zukünftigen Welt von allen Dingen, die diese zukünftige Welt zu gewähren hat, Dir zu begegnen. Dies sage ich von mir aus, nun mach Du, was immer Du willst. – O Allah, was immer Du mir an weltlichen Dingen zugesprochen hast, gib dies Deinen Feinden; und was immer Du mir in der zukünftigen Welt zugesprochen hast, gib dies Deinen Freunden; denn Du genügst mir. – O Allah, wenn ich Dich aus Furcht vor der Hölle verehren sollte, dann verbrenne mich in der Hölle, und wenn ich Dich in Hoffnung auf das Paradies verehren sollte, dann schließe mich aus dem Paradies aus; aber wenn ich Dich um Deiner eigenen Selbst Willen verehre, dann verbirg vor mir nicht Deine immerwährende Schönheit. – Ich will nicht die Ka’aba, sondern den Herrn der Ka’aba. Was kann ich mit der Ka’aba anfangen? Sie ist zwar das am meisten angebetete Idol auf Erden, aber Allah ist weder in noch außerhalb ihrer Wände gewesen; das hat Er nicht nötig. – Ich bitte Allah um Vergebung für meine mangelhafte Ehrlichkeit, wenn ich sage: »Ich bitte Allah um Vergebung.«
Andere über Rabi’a: Man sagt, Rabi’a nähte im Schein der Fackel eines Herrschers einen Flicken auf ihr Kleid. Da verlor sie ein Weilchen ihr Herz. Als sie das merkte, zerriß sie ihr Kleid, und da fand sie ihr Herz. (Quschayri, Kap. 7,13) – Wenn jemand sagt: »Warum wurde Rabi’a in die Ränge der Männer aufgenommen?«, lautet meine Antwort, daß der Heilige Prophet selbst sagte: »Allah legt keinen Wert auf eure äußere Form.« Wenn eine Frau auf dem Pfade Gottes ein »Mann« wird, dann ist sie ein Mann und niemand kann sie danach noch eine Frau nennen. (Fariduddin ‘Attar) – Rabi’as Gottesliebe war absolut. (Annemarie Schimmel, 1975) – Rabya, du bist das Salz sämtlicher Frauen, die je existiert haben und je existieren werden. (Bhagwan Shree Rayneesh, ca. 1980) – Und sie war keine Milch-und-Wasser-Heilige. (Doris Lessing, 1982)
Kostbarer als tausend Söhne
Nangsa Obum, die Königin von Rinang – Dharma-Adeptin, Dakini, Mondschönheit (11. Jahrhundert)
Geboren wurde sie in Zentraltibet. Ihr Vater Kunzang Dechen und ihre Mutter Nyangtsa hatten sich abzufinden, bloß äußerliche Eltern zu sein. Als ihre inneren Eltern sah das Einzelkind alsbald die blaue und weiße Dölma, auch Tara genannt (ein weiblicher, tränengeborener Buddha – aus einer Träne Avalokiteshvaras!) und also keinen Geringeren als Avalokiteshvara höchstselbst. Auch sie, wie dieser, zeigte mahayanisches Mitgefühl für alle fühlenden Wesen. Ihr einziges Ziel bereits mit fünfzehn: dem Samsara zu entsagen und Dharma auszuüben. Sie verneigte sich vor den Dakinis, den Himmelswandlerinnen, den übernatürlichen Müttern übernatürlicher Buddhas. Sobald man ihrer nur ansichtig ward, fühlte man sich glücklich. »Diese Tochter ist kostbarer als tausend Söhne!«, behaupteten ihre äußeren Eltern, bei denen sie sich liebreizend bedankte: »Ihr wart so freundlich, mir diesen Körper zu geben.« Ihr Gesicht leuchtete wie der Mond; ihr Haar glänzte seidig wie zarte