Heilige Närrinnen. Ulrich Holbein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Holbein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843802659
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ihr unsinniges Ansinnen nicht so gern und forderten Krates auf, ihr den Unsinn auszureden. Krates gab sich erdenklichste Mühe; sie aber wurde nicht wankend und wollte nur ihn, ließ sich auch dadurch nicht abschrecken, daß er sein Gewand abwarf und seine entblößten leiblichen Mängel abschreckend deutlich hervorspringen ließ. Hipparchia meinte, sie könne keinen schöneren und reicheren Mann finden als ihn, legte sofort die gleiche ärmliche Kleidung an wie er und gab sich ihm am hellichten Tag und unter freiem Himmel hin, ohne Rücksicht auf zufällig herumstehende Leute. Krates’ Schüler Zenon warf wenigstens einen Mantel über die Kopulierenden. Dieses Ehepaar führte nun eine Hundeehe – ein Sonderfall; denn viele Kyniker lehnten Ehe heftig ab. Mangels festem Wohnsitz zogen sie ab sofort unzertrennlich herum und verbrachten ihre Tage und Nächte meist in den öffentlichen Säulenhallen von Athen. Auf einem Gastmahl beim Lysimachos lüpfte der Gottesleugner Theodoros den Umhang der Hipparchia; sie aber kreischte gar nicht nach Weiberart hysterisch auf. Und als Theodoros fragte: »Aha, das also ist sie, die vom Weberschiffchen sich entfernt hat?«, parierte sie: »Ich bin’s, Theodoros, meinst du wirklich, ich hätte was falsch gemacht, als ich die Zeit, die ich am Webstuhl gesessen hätte, für Geistesbildung verwendet hab?« Also ein frühes Hippiemädchen, unbekümmert nach der Maxime handelnd: »Why don’t we do it in the road?« Unbekümmerter Pleinair-Beischlaf wurde von Sextus Empiricus verteidigt, mit Hinweis auf einige Völker Hindustans, wo dergleichen nicht als unanständig gelte. Der freien Verbindung entsprang ein Sohn namens Pasikles.

      Hipparchia wurde als »ein zweiter Krates« gerühmt. Diogenes Laertius berichtete fünfhundert Jahre später, es gäbe noch viele Aussprüche dieser Philosophin, nannte aber keine weiteren Beispiele. Diesen Übelstand versuchte Christoph Martin Wieland 1804 auszugleichen in seinem Briefroman »Krates und Hipparchia«, wo sie genauer zu Wort kam.

      Worte von Hipparchia: Was Theodoros tut, ohne dafür eines Unrechts geziehen zu werden, das kann auch Hipparchia tun, ohne eines Unrechts geziehen zu werden. Wenn Theodoros kein Unrecht tut, sich selbst zu schlagen, dann tut auch Hipparchia nicht Unrecht, wenn sie den Theodoros schlägt.

      Andere über Hipparchia: Wenigstens ist die einzige Verbindung, von der wir in diesem Kreise genauere Kenntnis haben, jene zwischen Krates und der selbst das Kynikerkleid und die Kynikersitte nicht verschmähenden Hipparchia, offenbar ein echter und ein mehr als flüchtiger Liebesbund gewesen. (Theodor Gomperz, 1893/1922) – Der Christ Theodoret stellt es so dar, als habe Krates, von Leidenschaft überwältigt, gegen seine eigenen »großartigen Prinzipien« gehandelt; aber eigentlich wollte er Hipparchia von ihrer Leidenschaft heilen, indem er ihr seinen Buckel zeigte. (Georg Luck, 1997)

      Mit Fackel und Wassereimer gegen Hölle und Paradies

      Rabi’a al-Adawiya – Sklavin, Mystikerin, Vegetarierin (752 oder 801 n.Chr.)

      Sie kam aus einem Slum in Basra, einer von Arabern, Mawalis (nichtarabischen Muselmanen), Griechen und Persern wimmelnden Vielvölker-Metropole. Ihr asketischer Vater wartete nach drei Töchtern dringend auf einen Sohn und nannte sie resignierend: »Die Vierte«. Sie ahmte ihn nach, nahm bei Essensreichung nur kleine Bröckchen und nie Nachschlag. Dann frühverwaist, wurde sie verkauft für sechs Silberlinge. Als ihr Herr an ihr eine Besonderheit erkannte, ließ er sie frei. Ein Dieb, der ihr nachts den Tschador (andere Übersetzung: das Hemd) stehlen wollte, fand die Tür nach draußen nur dann wieder, sobald er das Diebsgut daließ – schöne Legende. Aber daß sie, als sie nach einer Pilgerreise unter erschwerten Bedingungen, zu Fuß und zu Knie, nämlich bäuchlings durch x (unverminte) Wüsten robbend, nach sieben Jahren in Mekka ankam, ausgerechnet am Tag ihrer Ankunft ihre Tage hatte und als Unreine nicht zur Ka’aba vorgelassen wurde, klang unerfunden, sehr lebenstypisch. Eine andere Rabi’a-Geschichte setzte sich aus zwei Hälften zusammen, einer empirischen und einer unglaubhaften: Als ihr auf der Wallfahrt der Esel verendete, hob sie das Gesicht zum Himmel und rief glaubwürdigerweise: »O Allah, behandeln wohl die Könige so eine hilflose, schwache Frau? Du hast mich zu Deinem Haus gerufen und dann auf halbem Weg meinen Esel umgebracht und läßt mich allein in der Wüste stehn?« Sie hatte noch nicht ausgeredet, als unglaubwürdigerweise der Esel munter und quick aufsprang – Scheintod, Lehrstück, Heiligenwunder? Wozu aber ließ Allah den Esel sterben, wenn er dann doch weiterlief? Doch wohl nicht, um Vorwürfe von einer verlassenen, schwachen Frau zu bekommen?

      Als man ihr vorschlug, sie solle doch mit den Männern ihres Stammes reden, damit sie ihr eine Haushaltshilfe (d.h. einen Sklaven) kaufen möchten, erwiderte sie erschrocken: »Bei Allah! ich schäme mich, den um das Diesseits zu bitten, dem das Diesseits gehört. Wie könnte ich da einen um es bitten, dem es nicht gehört.« Als ihre Dienerin (die sie zeitweise dann doch hatte) die Nachbarn nach fehlenden Zwiebeln fragen wollte, für ein Zwiebelgericht, erklärte Rabi’a, sie habe vor vierzig Jahren geschworen, nie jemanden um etwas zu bitten außer Allah und fügte hinzu: »Vergiß die Zwiebeln.« Da fiel etwas von oben exakt in die Pfanne – ein Vogel ließ Zwiebeln fallen. Rabi’a zögerte: »Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht nur ein Trick ist«, und ließ das Zwiebelessen stehn, aß nur Brot und sagte: »Mein Herr ist kein Zwiebelhändler.«

      Mehr als einen Heiratsantrag schlug sie aus, sogar den von Hasan aus Basra; nach dem Grund befragt, erklärte sie: »Eheverträge beziehen sich auf Wudschud (Seiendes). Bei mir aber hat sich Wudschud hinweggehoben; ich bin nur noch in Ihm. Um eine Braut muß man bei Ihm werben, nicht bei mir.«

      Während in jeden kaum aufgetauchten Monotheismus bald wieder Artenvielfalt sich einschlich, durch alle Hintertürchen und Hauptportale, polytheistisches Getümmel aus Erzengeln, Engeln, Heiligen, Gottesmüttern, Sakramenten, Päpsten, ging Rabi’a in der sanften Verstrengerung sufischen Kreisens um Gott pionierhaft voran. Als sie darniederlag und man fragte, warum sie krank sei, erwiderte sie: »Ich hab an die Ergötzungen des Paradieses gedacht, deshalb hat mein Herr mich gezüchtigt.« Überhaupt: Erlebte sie Unangenehmes, freute sie sich: »Heut hat Allah an mich gedacht!« Sobald nichts oder wenig Schlimmes sie heimsuchte, weinte sie und sprach: »Was hab ich falsch gemacht, daß Allah nicht an mich denkt!?!« Hier konnten im Rückblick ähnlich asketisch-masochistische Anklänge hineingelesen werden wie in Ibrahim Adhams überschwenglichen Dank für einen schmerzhaften Treppensturz. Befragt, warum sie immer weine und leide, sagte sie: »Mein Leid liegt in meinem Herzen, und alle Ärzte sind unfähig es zu heilen. Das einzige Mittel wäre meine Vereinigung mit meinem geliebten Herrn.« Als umgekehrt sie einen Mann ausrufen hörte: »O Traurigkeit!«, sagte sie zu ihm: »Wärst du tatsächlich traurig, könntest du nicht Luft holen.« In ihren Gebeten rief sie: »O Allah! läßt Du ein Herz, das Dich liebt, im Höllenfeuer schmoren?« Da hörte sie eine Stimme: »So handeln Wir nicht! Denke nicht schlecht von Uns!« Diese Stimme sagte ihr auch mal: »Sei nicht bekümmert, morgen wird ein Rang dir zuteil werden, so hoch, daß die Engel dich darum beneiden werden!«

      Sie lief durch (das damals zwar nicht unzerstörbare, aber noch gänzlich unzerbombbare) Basra, mit Wassereimer und Fackel, um sowohl Hölle wie Paradies zu löschen und anzuzünden, auf daß diese beiden nicht länger von Allah ablenken mögen. Sie wollte sogar die Ka’aba abbrennen. Weder Diesseits noch Jenseits sollte ihr bei ihrer Gottesliebe in die Quere kommen. Umgeben vom düsteren Asketismus damaliger Derwische und Scheiche, ließ sie Liebesüberschwang aufblühen (parallel zur europäischen »Gottesminne«). Aber Natur bezog sie nicht ein: Im Frühling weigerte sie sich sogar höchst unweiblich, beim Anblick von Blumen Freude zu empfinden, und dies mitten in der Wüste, mit der Begründung: »Wenn ich den Schöpfer hab, was geht mich dann Seine Schöpfung an?«

      Muhammad erschien ihr im Traum und drang in sie: »Liebst du mich?« (Wörtlich dieselbe Frage, die tausend Jahre später Jesus an Oskar Matzerath stellte.) Sie erwiderte: »O Gesandter Allahs, wen gibt es, der Dich nicht lieb hätte! Aber mich hat die Liebe zu Allah so vollständig erfaßt, daß für Liebe zu einem anderen kein Platz mehr bleibt.« Unfaßbar, aber sie brachte keine Liebe für den Propheten und keine Feindseligkeit gegen Iblis (den Teufel) auf, als wär sie Buddhistin; andererseits schien solch monomanische Übertreibung spätere fixe Ideen und Obsessionen wie Amerikahaß oder Waffenfetischismus zu präludieren, richtete immerhin keinerlei Kollateralschäden an. Haditwissenschaft lehnte sie ab, als weltliches Tun. Im Gebet stieß sie sich ein Stück Rohr der Gebetsmatte ins Auge – und merkte es nicht.

      Sobald