Heilige Närrinnen. Ulrich Holbein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Holbein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843802659
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– Wo sind, o Herr, meine Kuh und ihr Kälblein? Vor der Tür stehn Elefanten.

      Mirabai über sich selbst: Ich bin ein Dorn in den Augen aller. – Ich bin nur eine Liebesnärrin. – Von Sinnen bin ich. Als würde Holz zernagt von Holzbocklarven. Heiltrank aus Wurzeln schlägt bei mir nicht an. Liebesschmerz zerfrißt mich. – Die Zunge versagt mir gescheite Rede. – Unerschütterlich ist mein Glauben an Deine Füße. – Ab streifte ich die Bluse der Hemmnisse. – Wehklagend ging mein Leben dahin.

      Andere über Mirabai: Sie ist vielleicht die wichtigste aller erleuchteten Frauen. In jener Zeit, in diesem idiotischen Klima, in einem solchen Umfeld fing die Königin an, auf den Straßen zu tanzen! Die Menge versammelte sich, und Meera war so trunken vom Göttlichen, daß ihr der Sari herabglitt und Gesicht und Hände enthüllte! Die Familie war zweifellos in höchster Empörung. Aber sie sang wunderbare Lieder, die wunderbarsten Lieder, die je auf der ganzen Welt gesungen wurden, denn sie kamen direkt aus ihrem Herzen. Sie waren nicht komponiert, es waren spontane Ergüsse. (Bhagwan Shree Rajneesh) – Ihre Verse zählen zum Kanon der Weltliteratur und stehen neben denen Rumis, Hafis’ und Hildegard von Bingens. (Regina Berlinghoff, 2005) – Sie ist nicht nur wegen ihrer eigenwilligen Persönlichkeit eine höchst faszinierende Frauengestalt der Religionsgeschichte. Ihre ganz persönlich gehaltenen ekstatischen Liebes-, Preis- und Klagelieder sind durch die Jahrhunderte lebendig geblieben und werden noch heute auf dem indischen Subkontinent von Hindus, Sikhs, Muslimen und Christen gleichermaßen rezitiert, gesungen und von den indischen Radiostationen ausgestrahlt. (Wikipedia, 2012) >

      Kopulieren und sterben, um sich zum Mann umzugebären

      Jeanne Marquise d’Urfé – Okkultistin, Alchimistin, Leichtgläubige, Geschlechtsumwandlerin, Selbstgebärerin (1704–1770?)

      Camus de Pontcarré erbte und erweiterte die größte alchimistische Privatbibliothek der damaligen Welt, ging hingegeben in ihr auf und heiratete 1724 Louis-Christophe de Larochefoucauld de Lascaris, Marquis d’Urfé et de Langeac, Graf von Sommerive, und schenkte ihm als Jean Marquise d’Urfé bzw. Madame Durfee einen Sohn und zwei Töchter und wurde mit neunundzwanzig Jahren Witwe. Ihre Wertpapiere verwaltete sie (wohlmeinenden Stimmen zufolge) vernünftig oder auch (bösen Zungen zufolge) geizig. Sie bezog 80000 Francs Rente aus Grundbesitz und Immobilien in Paris, enterbte zwischendurch auch mal ihre allzu geldgierige Tochter. Täglich hielt sie ein Gastmahl für zwölf wechselnde Personen ab, fachsimpelte mit Chevaliers, Physikern, Mönchen, Maklern, Börsenspekulanten, Voltairegegnern, Parlamentsräten teils über Salpetergeist, Platin, Planetengeister, Kabbala, teils – und nicht minder kompetent – über Zinsen, Kaufverträge, Gewinnausschüttungen und Aktien der Ostindien-Kompagnie. Jedem Gast führte sie – immer auf Französisch – Rarissima, Specifica, Exotica vor: den Talliamed, ihren Athanor, den Baum der Diana (der in Novalis/Klingsohrs Märchen »Wetterbaum« hieß), Streupulver, gestern erst angezündet, das aber angeblich seit zwanzig Jahren köchelte, zwecks Goldproduktion. Sie behauptete, weiterhin Briefe des verstorbenen Abbé Le Maserier zu empfangen und von Philipp Herzog von Orléans den Ehrennamen Egeria (Gabir ibn Haijan, europäisiert) erhalten zu haben. Auch Raimundus Lullus, Arnauld de Villeneuve, Roger Bacon seien nicht gestorben! Ihr Lieblingsautor: Paracelsus, der ihrer Meinung nach weder Mann noch Frau gewesen wäre und sich mit seiner überdosierten Panacea vergiftet hatte. Ihr lustvoller Wahn: mit Undinen, Sylphen, Gnomen, Salamandern kommunicieren zu wollen. Da Frauen angeblich den Lapis Philosophorum nicht finden und mit Elementargeistern nicht zu verkehren vermochten, hieß ihr höchstes Lebensziel: im nächsten Leben als Mann wiedergeboren zu werden. Betrüger redeten ihr ein, sie wüßten, wie dieses Ziel in Bälde erreichbar sei. Hier plötzlich sehr unpragmatisch, kannte ihre Leichtgläubigkeit kaum Grenzen. Vom prominenten, dandyesken Abenteurer Comte de Saint-Germain ließ sie sich ein kostbares Wunderwässerchen kredenzen, das zwar nicht verjüngte, aber den Status quo durch drei Säkuli beizubehalten half, wie in seinem eigenen süperben Casus, und schon erzählte sie dem Regenten, daß sie jetzt tatsächlich nicht mehr altere. Ein gewisser Chevalier de Seingalt, 38, bzw. Galtinarde von Fontainebleau, beides Decknamen Giacomo Casanovas, witterte einen Coup, schlich sich 1763 in ihr Vertrauen, machte die Begüterte auf Umwegen glauben, auch er sei reich, und kribblig, indem er sie drei Wochen im Gasthof »Zu den dreizehn Kantonen« auf ihn warten ließ. Er setzte ihren durchschaubaren Prahlereien und Taschenkunstgriffen noch viel raffitückischere kryptographische Kunststückchen und Quasi-Zaubereien entgegen, wickelte sie um den Finger, verspürte keine Hemmung, die ruchlosen Taten seiner trickreichen Vorgänger weiterzutreiben. Sie, von Casanova schmeichelhaft »Semiramis« getauft, durfte sogar Casanovas Daimonium, oder besser: Genius befragen, des Namens Paralis. Ihrer überspannten Fehl-Intuition zufolge besaß dieser Casanova ganz unbedingt den begehrten philosophischen Stein, dies einzige Ein und Alles aller Alchimisten. So traute sie ihm zu, die Welt ungebührlich, ja: übernatürlich aus den Angeln heben zu können, und er war zu schwach oder hintertrieben, um da allzu laut nein zu sagen. Selten war jemand auf ihre anschürbaren Wahnideen und Hirngespinste so verständnisvoll eingegangen. Sie erhoffte, erwartete, verlangte von ihm das Geheimrezept, ein Mann zu werden, um wenigstens alsdann, als Mann, mit ihren geliebten Elementargeistern verkehren zu können. Diesseits hormonell-operativer Geschlechtsumwandlung, die im achtzehnten Jahrhundert noch nicht in Frage kam, hätte sie für ihr Ziel, ein Mann zu werden, sogar die Vorverlegung ihres irdischen Todes in Kauf genommen und sagte in diesem Sinne zu Casanova: »– ich glaube nicht, daß es Ihnen aus falsch verstandenem Mitleid mit meinem alten Gerippe am nötigen Mut fehlen könnte.« Sie flehte ihn an, er möge sich ihrer erbarmen, schenkte ihm 500 Louisdor, schrieb ihm nach Holland, ihr Genius habe ihr mitgeteilt, er würde mit einem Knaben nach Paris zurückkehren, der einer philosophischen Paarung entsprungen sei. Ihr Herzenswunsch und Generalplan: der Magier Casanova solle ihre Seele in den Leib dieses Knaben hineinpraktizieren (hinüberbeamen!) bzw. auf ein erst noch, seitens Casanovas, im Schoß einer Jungfrau zu zeugendes Kind; sieben Tage später würde Mme d’Urfé dann sterben und drei Jahre später ihr Bewußtsein in diesem Knaben wiedererlangen. Angst vor ihrer gefährdeten Wiedergeburt bzw. effektlosem Tod, verspürte sie nicht. Ohnedies trug sie einen armierten Magneten um den Hals, auf daß jederzeit ein Blitz hineinführe und sie zur Sonne aufsteigen könne. Das betont außerirdisch fundierte Brimborium, das Casanova als Verwandlungspriester um ihre Wiedergeburt als Mann trieb, kraft Mondkalender und magischer Handbücher, also indem er z.B. rituell sieben Tage lang auf Sex verzichtete, imponierte ihr gar sehr. Mitspieler Passano, den Casanova als höchsten Hohepriester der Rosenkreuzer ausgab, des herrlichen Namens Querilint, wußte auf die hochgestochenen mystischen Fragen der Marquise kaum angemessen zu antworten, stattdessen gähnte er, stank nach Syphilis-Salbe und ließ es ohnedies an Tischmanieren fehlen, weshalb sie ihn für geistesabwesend hielt und die Rosenkreuzer für unglücksbedroht – und Casanovas etwas mundfaulen oder auch begriffstutzigen Bruder für schwachsinnig bzw. für bedürftig, einen Luftgeist eingepflanzt zu bekommen, um etwas göttlicher zu werden. Nach dieser Operation werde er ihr dann vernünftig entgegentreten, meinte sie. Sie bekam einen Brief vom Mond zugespielt, eine Gebrauchsanweisung: Als Weihegabe für die sieben Planeten sollte sie sieben Pakete in einer Kiste ins Meer bei Marseille werfen, voll mit Gold, Juwelen, gebackenen Diamanten (die von Casanova heimlich gegen weniger kostbares Blei ausgetauscht wurden), und sich zu einer kabbalistisch sinnreichen Mondzeit von Casanova schwängern lassen, dann würde sie in ihrem eigenen Sohn wiedergeboren – für 20000 Francs pro Jahr. Hierzu mußte der Betrüger eine alchymistische Hochzeit mit ihr durchführen, drei Kopulationen, von exakt abgemessenen Stundenzahlen, zeitlich festgelegten Sternstunden zugeordnet, durchaus eine Crux für den Galan, der die Neunundfünzigjährige, die er als »schön, aber alt« beschrieb, d.h. deren Alter er – seiner Liebhaberin und Mitbetrügerin Marcolina gegenüber – mit siebzig angab. Zur Einstimmung betete man selbander im Mondlicht am Strand zur Mondgottheit Selenis. Ohne rechten Mumm und auch ahnend, daß diese Séance nicht die attraktivste sein könnte, zog er das selbstangerührte Zeremoniell durch, konnte seine ausdauernde Potenz nur über 65 vorbestimmte Porno-Minuten aufrechterhalten, optisch angespornt und aufgepeitscht von den Reizen der anwesenden, angeblich stummen (weil sie nicht Französisch konnte), aber nicht tauben Dienerin, des nackten Wassergeistes Undine, d.h. Marcolina, der er zusah und die die beiden Ritualpartner in den Kunstpausen zwischen den Kohabitationen sowie vorher und hinterher liebreich zu waschen hatte, wofür sie von Semiramis ein