– Zum Beispiel einen hungrigen Wolf? fragte Consuelo lächelnd. Ich denke, unter Ihres Vaters Büchse wäre doch die ganze Gegend sicher.
– Es ist nicht bloß von wilden Tieren die Rede, sagte Amalie; die Gegend ist nicht so sicher als Sie glauben und zwar wegen der reißendsten Tiere, die es gibt, der Landstreicher und Räuber. Die erst zu Ende gegangenen Kriegsläufte haben so viele Familien zu Grunde gerichtet, dass sich eine Masse von Bettlern daran gewöhnt hat, weit umher zu streifen und mit der Pistole in der Hand Almosen zu fordern. Wolken von Zigeunern schwärmen auch umher, die sie uns in Frankreich die Ehre antun, Böhmen zu nennen, als ob sie auf unsern Bergen, die sie bei ihrem Erscheinen in Europa zuerst überzogen, einheimisch wären. Dies Gesindel, das man überall wegjagt und zurückstößt, das vor einem bewaffneten Manne feig und demütig ist, könnte wohl leicht bei einem hübschen Mädchen, wie Sie sind, dreist werden; und ich besorge, dass Ihr Geschmack an abenteuerlichen Streifzügen Sie mehr bloßstelle, als einer so vernünftigen Person, als meine liebe Porporina sein will, lieb sein dürfte.
– Liebe Baronesse, entgegnete Consuelo, obgleich Sie den Wolfszahn für sehr wenig gefährlich neben den anderen Gefahren, die mir drohen, zu halten scheinen, muss ich Ihnen doch gestehen, dass ich ihn mehr fürchte als den der Zigeuner. Das sind für mich alte Bekannte, und überhaupt ist es mir nicht leicht möglich, mich vor schwachen, armen, verfolgten Geschöpfen zu fürchten. Ich bilde mir ein, ich würde mit diesen Leuten immer so zu reden wissen, dass sie Vertrauen und Zuneigung zu mir gewinnen müssten, denn wie hässlich, zerlumpt und verachtet sie immer seien, ich kann nicht anders, ich habe für sie eine ganz besondere Teilnahme.
– Brava,3 Liebe! rief Amalie mit wachsendem Ärger. Da sind Sie ja schon geradezu bei Albert’s schöner Empfindsamkeit für Bettler, Banditen und Geisteskranke angelangt, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn ich auch Sie eines schönen morgens auf den nicht gar saubern und gewiss gar unsichern Arm des angenehmen Zdenko gestützt umherspazieren sähe.
Diese Worte trafen Consuelo mit einem Lichtstrahl, den sie bei dieser Unterredung von Anfang an gesucht hatte und der ihr über Amaliens Bitterkeit hinweghalf.
– Also lebt Graf Albert in gutem Einverständnis mit Zdenko? fragte sie mit einer zufriedenen Miene, die sie nicht Bedacht nahm zu verstellen.
– Es ist sein intimster, sein teuerster Freund, antwortete Amalie verächtlich lächelnd. Es ist sein Gefährte auf Spazirgängen, sein Vertrauter, und, wie man sagt, sein Bote an den Teufel. Zdenko und Albert sind die einzigen, die es wagen, sich in jeder Stunde auf dem Schreckenstein von den vertracktesten göttlichen Dingen zu unterhalten. Albert und Zdenko sind die einzigen, die sich nicht schämen, mit den Zigeunern, welche unter unsern Föhren ihr Lager aufschlagen, im Grase zu sitzen und mit ihnen das ekelhafte Mahl zu teilen, das diese Menschen in ihren hölzernen Näpfen zurechtmachen. Sie nennen das kommunizieren und man kann sagen, dass es kommun in jedem Sinne des Wortes ist. Puh! ist das ein Gemahl, ist das ein erwünschter Liebhaber, dieser mein Vetter Albert, der die Hand seiner Braut in eine Hand nimmt, mit der er eben die eines verpesteten Zigeuners gedrückt hat, und sie an den Mund führt, der eben den Kelchwein aus einerlei Becher mit Zdenko getrunken hat.
– Das ist vielleicht recht witzig, sagte Consuelo; indessen ich verstehe es nicht.
– Das macht, weil Sie keinen Geschmack an der Geschichte finden, entgegnete Amalie, und nichts von dem begriffen haben, was ich Ihnen von Protestanten und Hussiten erzählte, und ich habe mir doch die Lunge wund geredet, um Ihnen meines Cousins Rätsel und abgeschmackte Praktiken wissenschaftlich zu erläutern. Sagte ich Ihnen nicht, dass der große Streit zwischen den Hussiten und der römischen Kirche über die Kommunion unter beiderlei Gestalt ausbrach? Das Basler Concil hatte den Ausspruch getan, dass es eine Entweihung wäre, wenn man den Laien das Blut Christi in Gestalt des Weines reichte, denn, achten Sie auf den herrlichen Beweis! Leib und Blut wären gleichermaßen in beiden Gestalten, und wer den einen genösse, tränke auch damit zugleich das andere. Verstanden?
– Es scheint mir, als ob die Väter vom Concil sich selbst nicht recht verstanden haben könnten. Denn wenn beides in beiden Gestalten ist, so hätten sie nur den Ausspruch tun können, dass das Blut überflüssig wäre. Aber wie kann von Entweihung die Rede sein, wenn doch der, welcher das Brot isst, auch das Blut mit empfängt?
– Das kam daher, weil die Hussiten von einem fürchterlichen Blutdurst besessen waren, und die Väter des Concils das wohl kommen sahen. Sie waren selbst auch sehr durstig nach dem Blute dieser Leute, wollten aber selbiges gern unter der Gestalt des Goldes trinken. Die römische Kirche ist allezeit überaus hungrig und durstig nach diesem Lebenssaft der Völker, nach dem sauren Schweiß der Armen gewesen. Die Armen empörten sich endlich dawider und nahmen ihren Schweiß und Blut zurück in den aufgehäuften Schätzen der Abteien und auf den Kappen der Bischöfe. Das ist der ganze Grund des Handels, wozu noch, wie ich Ihnen sagte, das Gefühl der Nationalunabhängigkeit und der Fremdenhass kamen. Der Abendmahlsstreit drückte das symbolisch aus. Rom und seine Priester verwalteten das Abendmahl in goldenen und mit Edelstein besetzten Kelchen; die Hussiten spitzten sich darauf, es in hölzernen Geschirren zu tun, um den Luxus der Kirche zu strafen und die apostolische Armut vorzustellen. Da ist nun Albert, der sich’s in den Kopf gesetzt hat, den Hussiten zu spielen, jetzt, wo alle diese Sachen allen Wert und alle Bedeutung verloren haben, Albert, der sich einbildet, Johann Hussens wahre Lehre besser zu kennen als Johann Huß selbst; und da denkt er sich allerlei Kommunionen aus und läuft auf die Landstraßen und kommuniziert mit allen Bettlern, Heiden und Dummköpfen. Es war auch die fixe Idee der Hussiten, überall und alle Augenblicke und mit aller Welt zu kommunizieren.
– Das ist in der Tat sehr wunderlich, antwortete Consuelo, und ich kann es mir nicht anders erklären, als aus einem übertriebenen Patriotismus, der beim Grafen Albert, ich gestehe es, bis zum Wahnsinn gehn muss. Es liegt vielleicht ein tiefer Gedanke zum Grunde, aber die Form, die er diesem gibt, scheint mir kindisch für einen so ernsten und so unterrichteten Mann. Sollte nicht die wahre Kommunion vielmehr die milde Gabe sein? Was haben leere Zeremonien für Wert, die nicht mehr in Brauch sind und gewiss von denen, die er dazuzieht, nicht begriffen werden?
– Was die milden Gaben betrifft, so lässt es Albert daran nicht fehlen, und wenn man ihn gewähren ließe, so würde er sich bald seinen Reichtum vom Halse geschafft haben; mir wär’s schon