Aber ehe noch Zdenko fort war, hatte sie daran gedacht, ihm etwas zu geben, das auf zartere Weise Alberten ihre Teilnahme ausdrücken könnte, und den Tollen zurückrufend, der jetzt folgsam auf ihren Ruf kam, warf sie ihm ein Blumensträußchen zu, das sie im Treibhaus eine Stunde zuvor gepflückt hatte und das an ihrem Busen noch frisch und duftig war. Zdenko hob es auf, erneuerte seinen Gruß, seine Ausrufungen und seine Sprünge und verschwand im dichtesten Gebüsche, wo man höchstens einem Hasen hineinzuschlüpfen hätte zutrauen können.
Consuelo verfolgte seinen hastigen Lauf einige Augenblicke mit den Augen, indem sie die Spitzen des Gezweiges sich in der Richtung nach Südost bewegen sah. Aber ein leichter Wind, der sich erhob, machte die weitere Beobachtung unmöglich, da alle Zweige des Gehölzes zu zittern begannen, und Consuelo ging ins Haus zurück, noch mehr als zuvor entschlossen, ihren Zweck zu verfolgen.
8.
Als Amalie gerufen wurde, um den Spruch zu übersetzen, den Consuelo auf ihr Täfelchen geschrieben und ihrem Gedächtnis eingeprägt hatte, sagte sie, der Sinn wäre ihr nicht verständlich, obgleich sie die Worte verstünde; es lautete wörtlich:
»Grüß’ dich der, dem Unrecht geschehen!«
– Vielleicht, fügte sie hinzu, meint er Albert oder sich und will sagen, man täte ihnen Unrecht, dass man sie für toll hielte, da sie sich selbst in der Tat für die einzigen vernünftigen Menschen auf Erden halten. Aber wozu auch Sinn in den Reden eines Verrückten suchen? Dieser Zdenko beschäftigt Ihre Fantasie mehr als er verdient.
– Es ist in allen Ländern Volksglaube, entgegnete Consuelo, den Wahnsinnigen eine Art höherer Erleuchtung beizumessen, welche dem besonnenen und ruhigen Geiste versagt ist. Ich habe ein Recht, mich an die Vorurteile meiner Klasse zu halten, und ich kann mir durchaus nicht einbilden, dass ein Irrer Worte nur so hinspricht, wenn wir auch nicht wissen, was er meint.
– Wir wollen einmal sehen, sagte Amalie, ob der Kaplan, der sich auf alle alten und neuen Formeln, die bei unsern Bauern im Schwange sind, versteht, diese hier kennen wird.
Und zu dem guten Manne laufend, fragte sie ihn, ob er Zdenko’s Spruch zu erklären wüsste.
Aber aus den dunkeln Worten schien dem Kaplan ein furchtbares Licht aufzugehen.
– Gott im Himmel! rief er erblassend, wo hat Ew. Gnaden diese Lästerung vernommen?
– Wenn es eine ist, versetzte Amalie lachend, so errate ich sie wenigstens nicht, und eben deshalb wünsche ich, dass Sie sie mir übersetzen.
– Von Wort zu Wort besagt es allerdings auf gut Deutsch, was Sie schon bemerkten, gnädiges Fräulein! »Der, dem Unrecht geschehen ist, grüße dich!« aber wenn Sie nach der Bedeutung fragen (ich getraue mir’s kaum über die Lippen zu bringen), so ist es ein abgöttischer Spruch und will sagen: »Der Teufel sei mit dir!«
– Mit anderen Worten, rief Amalie noch stärker lachend: »Hol’ dich der Teufel!« Prächtig! prächtig! das ist ein allerliebstes Kompliment. Da sehn Sie, Nina! was dabei herauskommt, wenn man sich mit Verrückten zu tun macht. Das haben Sie nicht gedacht, dass Zdenko Ihnen mit einem so süßen Lächeln und mit so vergnügten Grimassen eine solche Grobheit an den Kopf würfe.
– Zdenko? rief der Kaplan. Ach! ist es der unglückliche Irre, der solche Formeln gebraucht? Nun! mir war schon Angst, dass es sonst jemand gewesen wäre … und das war dumm, denn dergleichen konnte nur aus diesem, mit den Verruchtheiten aller alten Ketzerei vollgestopften Hirne kommen! Woher hat er nur diese heut zu Tage beinah unbekannten und vergessenen Sachen? Es ist nicht anders denkbar, als dass sie ihm der böse Geist selbst eingibt.
– Aber das ist ja weiter nichts als eine garstige Verwünschung, die das Volk aller Zungen gebraucht, sagte Amalie; und die Katholiken machen sich kein größeres Gewissen daraus als die anderen.
– Denken Sie das nicht, mein Fräulein! versetzte der Kaplan. Es ist keine Verwünschung in dem verwirrten Sinne dessen, der sie gebraucht, sondern es ist im Gegenteil ein Liebesbeweis, eine Segensformel, und das ist die Sünde bei der Sache. Diese Verruchtheit rührt von den Lollharden her, einer verabscheuungswerten Sekte, welche die der Waldenser erzeugt hat, welche wieder die der Hussiten erzeugte …4
– Welche wieder viele andere erzeugen wird, fuhr Amalie fort, indem sie, um den guten Priester zu verspotten, seinen feierlichen Ton annahm. Aber Scherz bei Seite! Erklären Sie uns doch, Herr Kaplan, wie das ein Kompliment sein kann, jemanden zum Teufel zu wünschen!
– Dem Glauben der Lollharden zu Folge, sagte der Kaplan, war Satan nicht der Feind des menschlichen Geschlechtes, sondern vielmehr sein Beschützer und Patron. Sie nannten ihn ein Opfer der Ungerechtigkeit und der Eifersucht. Nach ihnen war der Erzengel Michael samt den übrigen himmlischen Mächten, so den Satan in den Abgrund gestürzt haben, das eigentlich böse Prinzip, dagegen Lucifer, Beelzebub, Astarot, Astarte und alle anderen Ungeheuer der Hölle die Unschuld und das Licht selbst. Sie glaubten, dass das Reich Michaels und seiner siegreichen Schar bald zu Ende gehen würde und dass der Teufel mit seiner verdammten Rotte wieder in den Himmel eingesetzt werden würde. Kurz, sie widmeten ihm einen abgöttischen Dienst, und begrüßten sich unter einander mit dem Spruche: Möge der, dem Unrecht getan worden (d. h. den man verkannt und mit Unrecht verdammt hat), dich grüßen (d. h. dich beschützen und dir beistehn).
– Nun seht mir! sagte Amalie hell auflachend, da steht ja meine liebe Nina unter sehr günstigen Auspizien, und es soll mich nicht wundern, wenn man binnen Kurzem zu Exorcismen schreiten muss, um die Wirkung von Zdenko’s Besprechungen zu zerstören.
Dieser Spaß machte Consuelo ein wenig betroffen. Sie war mit sich nicht ganz im Reinen, ob der Teufel ein Hirngespinnst und die Hölle eine poetische Fabel wäre. Sie hätte den Zorn und Abscheu des Kaplans gewiss sehr ernst genommen, wenn nicht sein Ärger über Amaliens Gespött ihn zugleich vollkommen lächerlich gemacht hätte.
Bestürzt und an allem, was von Kindheit auf ihr eingeprägt war, durch den innern Streit geirrt, in welchen