Das Stiftsfräulein stickte mittlerweile an einer Altardecke für die Schlosskapelle. Es war ein Meisterstück von Geduld, von Feinheit und Zierlichkeit. Kaum hatte sie einen Umgang im Hause gehalten, so kam sie zurück und setzte sich an ihren Stickrahm, wenn auch nur um einige wenige Stiche hinzuzufügen, und die Zwischenzeit zu füllen, bis es wieder etwas auf dem Speicher, oder in der Küche, oder im Keller zu schaffen gäbe. Man musste es sehen, mit welcher Wichtigkeit alle diese kleinen Dinge behandelt wurden, und wie dieses schwächliche Geschöpf mit immer gleichem, immer würdigen und gemessenen, aber niemals zögernden Schritt durch das Haus stapfte und in allen Winkeln ihres kleinen Reiches schaltete, tausendmal des Tages und in allen Richtungen den beschränkten und einförmigen Bezirk ihres häuslichen Gebietes durchmessend.
Was der Consuelo noch merkwürdig schien, war die Hochachtung und Bewunderung, welche dieser unermüdlichen Beflissenheit in einem Magddienst, den die alte Dame mit so vieler Liebe und Eifersucht umfasst zu haben schien, sowohl in der Familie als außerhalb allgemein gezollt wurden. Wenn man sie mit der größten Sparsamkeit und Bedächtigkeit die geringfügigsten Dinge anordnen sah, so hätte man sie für beschränkt und misstrauisch halten sollen. Und dennoch besaß sie in allen entscheidenden Lagen wahre Seelengröße und Hochherzigkeit.
Aber diese edlen Eigenschaften, und sonderlich die mütterliche Zärtlichkeit, welche sie in Consuelo’s Augen so seelenverwandt und so ehrwürdig machten, hätten nicht hingereicht, sie in den Augen der anderen zur Heldin der Familie zu machen. Da bedurfte es mehr; es bedurfte vor allen Dingen dieser ernsten feierlichen Handhabung all dieses wirtschaftlichen Tands, wenn auch einen Wert haben sollte was sie allem dem zum Trotz besaß, einen hohen weiblichen Sinn und eine starke Seele. Es ging kein Tag hin, ohne dass Graf Christian, oder der Baron oder der Kaplan, so oft sie nur den Rücken wandte, wiederholten: was für eine kluge Frau! was für eine tüchtige Frau! was für eine bedächtige Frau! Selbst Amalie, welche keinen Unterschied kannte zwischen der wahren Höhe des Lebens und den Kindereien, die, wiewohl in anderer Form, auch das ihrige ausfüllten, getraute sich es nicht, ihrer Tante in Bezug auf diesen Punkt etwas anzuhängen, den einzigen, der für Consuelo einen Schatten mitten in das helle Licht warf, das die lautere, liebevolle Seele dieser buckligen Wenceslawa von sich strahlte.
Der Cingarella, auf der Landstraße geboren und verloren in der Welt, ohne anderen Herrn und anderen Hüter als ihren eigenen Genius, dünkten so viele Mühen, so viel Tätigkeit und Aufwand geistiger Kraft umso elende Zwecke als die Erhaltung oder Herstellung von dem und jenem, diesem oder anderem Essen, eine schreckliche Misshandlung des menschlichen Geistes. Sie, die nichts besaß und nichts begehrte von den Gütern dieser Welt, sie schmerzte es, eine schöne Seele sich so mit Willen verunstalten zu sehen durch die Geschäftigkeit um Korn, Wein, Holz, Flachs, Vieh und Hausbedarf.
Wenn man ihr all dies Gut, wonach die meisten Menschen gieren, angeboten hätte, sie hätte nichts an dessen Statt begehrt als eine Minute zurück von ihrem alten Glück, nichts als ihre Lumpen, ihren schönen Himmel, ihre reine Liebe und ihre Freiheit auf den Lagunen Venedigs: bitteres und köstliches Angedenken, das sich in ihrem Hirn mit immer glänzenderen Farben malte, je weiter sie sich von diesem lachenden Horizont entfernte, um in die eisige Region zu dringen, die man das wirkliche Leben nennt.
Es schnürte ihr furchtbar das Herz zu, wenn sie bei einbrechender Nacht das Stiftsfräulein von Hans begleitet, mit einem großen Schlüsselbunde durch alle Gebäude, alle Höfe gehen sah, um persönlich die Runde zu machen, um jedes Türchen selber zuzuschließen, um jeden Winkel, wo sich Missetäter versteckt haben konnten, zu durchsuchen, gleich als hätte niemand hinter diesen furchtbaren Mauern sicher schlafen können, bevor nicht die Flut des von naher Schleuse gefesselten Baches sich brausend in die Schlossgräben gestürzt hatte, während man die Gatter verriegelte und die Brücken aufzog.
Consuelo hatte so oft auf ihren weiten Reisen am Rande einer Heerstraße geschlafen, mit einem Zipfel von dem zerrissenen Mantel ihrer Mutter über sich statt alles Schutzes! Sie hatte so oft die Morgenröte auf Venedigs weißen, wellengeküssten Fliesen begrüßt, ohne einen Augenblick für ihre jungfräuliche Ehre, ihr einziges Gut, dessen Hütung ihr am Herzen lag, zu fürchten. Ach! sagte sie zu sich, wie sind doch diese Leute zu beklagen, dass sie so viel zu bewachen haben! Ihre Sicherheit ist das Ziel, dem sie Tag und Nacht nachjagen, und vor allem Jagen danach, finden sie keine Zeit, es zu erreichen, noch sich sein zu freuen.
Sie seufzte daher schon ebenso, wie Amalie, in diesem schwarzen Gefängnis, dieser schaurigen Riesenburg, wo die Sonne selbst sich zu fürchten schien, hinein zu scheinen. Aber anstatt dass die junge Baronin Feste, Putz und Huldigungen träumte, träumte Consuelo eine Ackerfurche, ein Gehölz oder eine Barke sich zum Wohnpallaste, und den weiten Horizont zur Mauer und den unendlichen Sternenhimmel zur einzigen Augenweide.
Da das raue Klima und der Verschluss des Schlosses sie zwangen, die Gewohnheit aufzugeben, welche sie noch von Venedig mitgebracht hatte, einen Teil der Nacht zu durchwachen und morgens spät aufzustehen, so machte sie Versuche, und nach mancher schlaflosen, unruhigen Stunde und manchem schaurigen Träumen gelang es ihr endlich, sich in das raue Gesetz der Einsperrung zu fügen, und sie entschädigte sich dann dafür, indem sie es wagte, allein auf die benachbarten Berge hinaus einen Morgenspaziergang zu machen. Beim ersten Anbruch des Tages wurden die Tore geöffnet und die Brücken niedergelassen, und während Amalie, die einen Teil der Nacht damit zubrachte, heimlich Romane zu lesen, lag und schlief, bis es zum Frühstück läutete, eilte die Porporina hinaus, die freie Luft zu atmen und die feuchten Pflanzen des Waldes niederzutreten.
Eines morgens, als sie sehr leise auf den Zehenspitzen hinabstieg, um niemanden zu wecken, verfehlte sie ihren Weg unter den vielen Treppen und endlosen Corridoren der Burg, in welcher sie sich noch immer nur mit Mühe zurechtfand. In diesem Labyrinthe von Gängen und Quergängen verirrt, geriet sie in eine Art Vorhalle, die ihr fremd war und hoffte von da einen Ausgang in den Garten zu finden. Aber sie gelangte nur zum Eingang einer kleinen Kapelle von schönem