Als Albert auf Reisen ging, verfiel Zdenko in Schwermut, hing die Kutte an den Nagel und wurde völlig zum Vagabunden. Sein Trübsinn verlor sich nach und nach, aber das bisschen Vernunft, was immer noch bei ihm durchgeblickt hatte, ging mit verloren. Er sprach nur noch unzusammenhängende Dinge, trieb tausenderlei unbegreifliche Possen und wurde wirklich unsinnig. Da er aber immer nüchtern, enthaltsam und durchaus unschädlich ist, so kann man sagen, er ist mehr gemütskrank als verrückt. Unsere Bauern nennen ihn kurzweg den »Unschuldigen«.
– Alles, was Sie mir von diesem armen Menschen erzählen, sagte Consuelo, flößt mir Teilnahme für ihn ein; ich möchte wohl mit ihm reden; versteht er etwas Deutsch?
– Er versteht es, und spricht es auch so gut es gehn will, aber er hasst, wie alle böhmischen Bauern, diese Sprache; und wenn er so in seine Träumereien versunken ist, wie jetzt, so ist es sehr zweifelhaft, ob er Ihnen Antwort geben wird, wenn Sie ihn fragen.
– Versuchen Sie doch, ihn in seiner Sprache anzureden, und seine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, sagte Consuelo.
Amalie rief Zdenko zu wiederholten Malen an, und fragte ihn auf Böhmisch, ob es ihm wohlgehe und ob er etwas wünsche; aber sie konnte ihn nicht bewegen, auch nur seinen zur Erde niedergebückten Kopf aufzurichten, oder ein Spielchen zu unterbrechen, das er sich mit drei Steinen machte, einem weißen, einem roten und einem schwarzen, indem er unter Gelächter mit einem derselben nach einem der anderen warf und sich sehr freute, wenn einer fiel.
– Sie sehen, es ist umsonst, sagte Amalie. Wenn er nicht Hunger hat, oder Albert sucht, so spricht er niemals. Ist eines von Beidem der Fall, so kommt er an das Tor, und wenn er nur Hunger hat, bleibt er da. Man gibt ihm, was er fordert, er dankt und geht. Wenn er aber Albert sehen will, tritt er ins Haus, klopft an Albert’s Tür, die niemals für ihn verschlossen, ist, und bleibt Stunden lang bei ihm, still und ruhig wie ein furchtsames Kind, wenn Albert arbeitet, redselig und vergnügt, wenn Albert Lust hat, ihm zuzuhören, nie, wie mir scheint; meinem liebenswürdigen Cousin zur Last und hierin glücklicher als irgend ein Mitglied der Familie.
– Und wenn nun Graf Albert unsichtbar wird, wie jetzt zum Beispiel, bleibt dann Zdenko, der ihn so liebt, Zdenko, der seine Fröhlichkeit verlor, als der Graf auf Reisen ging, bleibt sein treuester Gefährte, Zdenko, dann zufrieden? Verrät er keinerlei Unruhe?
– Nein! Er sagt, Albert besuche den großen Gott und werde bald wiederkommen. Das sagte er auch, während Albert’s großer Reise, als er sich endlich darein fand.
– Und ist Ihnen noch nicht die Vermutung gekommen, liebe Amalie, dass Zdenko wohl bessern Grund haben möchte als Sie und die Ihrigen, sich so sicher zu fühlen? Dachten Sie nie daran, ob er nicht vielleicht im Geheimnis sei, und über Albert während seines Wahnsinns oder seiner Schlafsucht wache?
– Wir dachten wohl daran, und man hat Zdenko lange beobachtet, aber wie sein Beschützer Albert duldet er keinen Aufpasser, und schlauer als ein Fuchs, spottet er aller Bemühungen, täuscht alle List und macht alle Beobachtungen zu Schanden. Auch er scheint, wie Albert, sich unsichtbar machen zu können, so oft es ihm gefällt. Er ist manchmal unter den Augen derer, die Acht auf ihn hatten, im Nu verschwunden, als ob er in die Erde gesunken wäre, oder als ob ihn eine Wolke mit undurchdringlichem Schleier umhüllt hätte. Wenigstens behaupten das unsere Leute und Tantchen Wenceslawa ebenfalls, die bei aller ihrer Frömmigkeit, nicht viel freier denkt, was die Gewalt des Satans anbelangt.
– Aber Sie, liebe Baronin! Sie glauben doch wohl diese Abgeschmacktheiten nicht?
– Ich? ich denke darüber wie Onkel Christian. Der Onkel meint, wenn etwa Albert bei seinen geheimnisvollen Leiden niemanden zur Hilfe und Stütze hat, als diesen Wahnsinnigen, so ist es sehr bedenklich, ihm diese zu rauben, und man läuft Gefahr, wenn man Zdenko durch Beobachten stört und scheu macht, Albert vielleicht Stunden oder Tage lang die Pflege und vielleicht die Nahrung zu entziehen, die er von Zdenko haben mag. Aber, bitte, lassen wir das, liebe Nina! genug und mehr als genug über dieses Kapitel! Der Verrückte flößt mir nicht dasselbe Interesse ein wie Ihnen. Ich bin ganz hin von seinen Romanzen und von seinem Singen, und seine gebrochene Stimme macht mir Übelkeit.
– Ich wundere mich, sagte Consuelo, indem sie sich von ihrer Gefährtin wegziehen ließ, dass diese Stimme nicht einen großen Reiz für Sie hat. So verzehrt sie ist, macht sie doch einen tieferen Eindruck auf mich als die Stimme der größten Sänger.
– Das macht, weil Sie des Schönen zu viel gehabt haben und sich nur noch vom Neuen reizen lassen.
– Die Sprache, in welcher er singt, hat eine eigentümliche Weiche, versetzte Consuelo, und seine eintönigen Weisen sind nicht, was Sie glauben: es sind im Gegenteil sehr liebliche und eigentümliche Ideen.
– Für mich nicht, die ich davon belagert bin, antwortete Amalie; ich habe mich Anfangs für die Worte ein wenig interessiert, denn ich dachte mit den Leuten hier im Lande, dass es alte Nationalgesänge von historischer Merkwürdigkeit wären; aber da er sie nie zweimal auf die nämliche Art singt, so bin ich gewiss, dass er alles improvisiert, und ich habe mich bald überzeugt, dass es nicht der Mühe verlohnte, danach hinzuhören, obgleich unsere Gebirgsbewohner einen symbolischen Sinn darin zu finden suchen.
Sobald Consuelo sich von Amalie losmachen konnte, eilte sie wieder in den Garten und fand Zdenko noch an derselben Stelle, jenseit des Grabens, und noch in sein Spiel vertieft. In der Überzeugung, dass dieser Unglückliche mit Albert in geheimer Verbindung stehe, war sie verstohlen in die Küche gegangen und hatte einen vom Stiftsfräulein eigenhändig sehr sorgsam gekneteten Fladen von feinem Mehl und Honig weggenommen. Sie erinnerte sich bemerkt zu haben, dass Albert, der sehr wenig aß, immer mechanisch nach diesem Backwerk griff, welches seine Tante mit besonderem Fleiß für ihn bereitete. Sie wickelte den Fladen in ein weißes Tuch, und da sie ihn dem Zdenko zuwerfen wollte, so versuchte sie es, diesen anzurufen. Aber da er nicht hören zu wollen schien, so fiel ihr ein, mit welcher Lebhaftigkeit er ihren Namen genannt hatte, und sie sprach ihn aus, zuerst in der deutschen Übersetzung. Zdenko schien zu hören, aber er war in diesem Augenblicke schwermütig, und ohne aufzublicken wiederholte er seufzend und den Kopf schüttelnd: Trost, Trost! als wollte er sagen: ich hoffe keinen mehr.
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