Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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worden,« sagte sie forschend und schüttelte erstaunt ihre grauen Löckchen, als sie hörte, daß keine Geister die Nachtruhe der Herrin vom Falkenhof gestört.

      »Haben doch auch angenehm geträumt?« setzte sie ihr Examen fort.

      Dolores bejahte es nach einem Moment des Überlegens, denn böse war ja ihr Traum nicht gewesen – sie war geküßt und angelächelt worden.

      Nach dem Frühstück kam Engels, und mit ihm arbeitete sie ein paar Stunden unausgesetzt, um sich über den geschäftlichen Teil des Falkenhofes zu informieren und Reformen ins Werk zu setzen, die Engels von dem eigensinnigen Freiherrn nie hatte erlangen können. Dann besuchte sie mit ihm die Wirtschaftsgebäude und besichtigte das Inventar des Hauses, hier den Leuten des Hofes oder ihrer persönlichen Dienerschaft Geschenke verteilend, dort ein freundliches Wort sprechend, bei allen aber die Ahnung an eine kommende gute Zeit hinterlassend.

      Endlich, gegen Abend ließ sie sich bei Frau Ruß melden, die sie kühl und zurückhaltend, wie es nun einmal ihre Manier war, empfing, wogegen das Benehmen des Doktors nicht herzlicher und entgegenkommender sein konnte. Dolores empfand durchaus keine Antipathien gegen den Mann ihrer Tante, der sich ihr aufs Freundlichste als »Onkel« empfahl, und sie schätzte das reiche Wissen des stattlichen Mannes sehr, außerdem aber war sie selbst eine viel zu ehrliche und aufrichtige Natur, um sich vorzustellen, daß von der Herzlichkeit des Doktors nicht alles Gold war, was da glänzte. Ruß hingegen war sich des Vorteils durchaus nicht unbewußt, den seine glänzenden Gaben ihm vor Dolores einräumten, und er beschloß, sich diesen Vorteil zu Nutze zu machen.

      »Ich hoffe, daß, da Sie uns gestattet haben, den Falkenhof bis auf weiteres zu bewohnen, wir auch recht gute Freunde werden,« sagte er in seiner sanften, leisen und sympathischen Art. »Wenigstens wäre das Gegenteil für beide Teile höchst unerquicklich und fatal.«

      »Sie müssen nicht von ›Erlaubnis‹ sprechen,« erwiderte Dolores, und einem ihrer raschen Impulse folgend, schlang sie ihren Arm um den Hals der Frau Ruß und küßte die Wange der kalten Frau. »Ginge es nach mir, so wärst du heut' Herrin im Falkenhofe, liebe Tante, aber dein Sohn hat es nicht gewollt, und er hat mir sehr weh damit gethan.«

      Frau Ruß wechselte mit ihrem Manne einen bedeutungsvollen Blick.

      »Gutes Kind,« sagte sie, Dolores die Hand drückend, und das meinte sie wirklich so, wie sie es sagte in ihrer kalten, harten Weise.

      »So bleibt mir nur, den Falkenhof gut und im Hinblick auf deines Sohnes Descendenz zu verwalten,« fuhr Dolores fort, »und das will ich treulich thun, bis mein Tod die Annahme des Erbes seinem Stolze nicht mehr widerstrebt!«

      »Nun, mein seliger Schwager hat ja noch einen anderen Weg zur Applanierung dieser Affaire gebahnt und angedeutet,« bemerkte Doktor Ruß.

      »Je weniger wir von diesem Wege sprechen, desto besser,« entgegnete Dolores ruhig, aber sehr fest, obgleich sie es nicht hindern konnte, daß ein heißes Erröten sich dabei über ihr Antlitz ergoß.

      Natürlich bemerkte Ruß auch das und registrierte es in den Annalen seines Gedächtnisses.

      Es wurde nun verabredet, die Hauptmahlzeit des Tages, das Diner gemeinschaftlich im Speisesaale des Südflügels einzunehmen und sich zum Thee abends bei Dolores einzufinden.

      »Ich hoffe dabei viel von Ihren reichen Kenntnissen zu profitieren,« sagte sie zu Doktor Ruß, und dieser erwiderte sofort: »Da können wir uns ergänzen, denn ich liebe die Musik leidenschaftlich und namentlich übt Gesang einen großen Zauber auf mich aus!«

      »Va bene,« rief Dolores munter. »Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.«

      Mit der ihr eigenen Lebhaftigkeit machte sie sofort ihre Arrangements und bestimmte den großen Balkon des Rokokosalons zu dem Raum, in dem an schönen Abenden der Thee genommen werden sollte, während die Bildergalerie an trüben und kühlen Tagen zu diesem Zwecke dienen sollte, denn das Turmgemach reservierte sie sich als buen retiro, während der Salon allein der Musik geweiht bleiben sollte. Sie erließ sofort ein Schreiben an Ramo und beauftragte ihn, ein bewegliches Thee-Ameublement anzukaufen zum beliebigen Aufstellen auf dem Balkon oder in der Galerie, und bestellte für diese selbst Etablissements, Blumentische und Konsolen mit Figuren in Elfenbeinmasse darauf, »die wir später mit schönen Marmorbüsten vertauschen können,« sagte sie sich, als sie diese Vorbereitungen zur Wohnlichmachung der leeren und öden Galerien getroffen.

      Dann, nach einem kurzen Nachsinnen, setzte sie abermals die Feder an und schrieb an den Professor Balthasar.

      »Wenn Sie, teurer Freund, mit Ihrer mir so werten und lieben Gemahlin noch nicht wissen sollten, wohin Sie diesen Sommer zur Erholung gehen, so kommen Sie hierher, kommen Sie als meine hochwillkommenen Gäste auf den Falkenhof. Sie müssen dabei bedenken, daß Sie damit ein gutes Werk thun, denn ich bin nicht mehr ganz ich selbst, seitdem ich mich hier befinde. Nicht, daß mich das Erbe selbst aus dem Gleichgewicht gebracht hätte – ich schätze Geld und Gut dazu nicht hoch genug, aber, aber werter Freund, es giebt doch Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheit sich nichts träumen läßt, und von denen ich früher nichts geahnt – kurz, ich sehne mich nach Ihrer, dem Dasein Inhalt verleihenden Gesellschaft, nach Frau Annas herrlichem Gleichgewicht und der Liebenswürdigkeit, die sie Ihnen und anderen zum Schatze macht. Die Schönheiten des Falkenhofes, seine herrliche grüne Waldeinsamkeit brauche ich Ihnen nicht lockend zu schildern, die kennen Sie schon, und so bemerke ich nur, daß Ihre Künstlerseele auch noch in einer Menge von Porträts von Kneller, Holbein, Van Dyck, Pesne und wie sie alle heißen, schwelgen kann, wenn es ihr beliebt notabene. Schreiben Sie nur, ob Sie kommen und wann!

      Dolores.«

      Es war spät, als sie endlich müde, nachdem sie eine Menge Briefe geschrieben, in ihr Schlafzimmer trat.

      »Heute werde ich gut schlafen,« dachte sie, als sie ihr Haar löste und dabei die Abwesenheit Terezas bedauerte, die es so gut verstand, die goldigen Massen zu glätten. So gut es ging, versuchte sie selbst mit der Bürste Ordnung in die bis ans Knie reichenden, sich rebellisch kräuselnden Haare zu bringen und summte dabei leise ein Lied vor sich hin.

      Mit einem Male aber ließ sie den Arm mit der Bürste sinken und hörte auf zu singen – der Traum der vorigen Nacht war ihr eingefallen. Unwillkürlich sah sie nach der Stelle, wo sie die »böse Freifrau« hatte eintreten sehen, und schritt derselben zu, mit dem Lichte genau die Boiserie beleuchtend: Aber so genau sie es auch that, sie entdeckte keinen Ritz, der auf eine eingefügte, geheime Thür hätte schließen lassen können.

      »Natürlich nicht,« dachte sie, »es war eben ein Traum, wie man ihn in solchen alten Häusern leicht träumt, da man sie ohne geheime Gelasse, Thüren u. s. w. nicht denken kann, schon des Reizes wegen, den solcher Humbug in unseren Tagen immer noch ausübt!«

      Und ihr Lied wieder aufnehmend, wendete sie sich von der Wand ab, überzeugte sich, daß die Thüren innen verschlossen waren, und wollte die Bürste wieder ergreifen, als ihr Auge auf das kleine Madonnenbild fiel, auf das ihr Traum sie gewiesen. Wieder nahm sie den Leuchter auf und schritt darauf zu. In einem goldenen, spitzen, gotischen Rahmen mit kleinen Ecktürmchen und aufzumachender, durchbrochen gearbeiteter Thür war hier ein liebliches Madonnenbild über dem Betstuhl aufgehängt, und Dolores erkannte es sofort als eine uralte Kopie der »Madonna mit dem Stern« des Fra Angelico, genannt »il Beato« im San Marco-Kloster zu Florenz – sogar der Rahmen war getreu nachgemacht mit seinem zierlichen Schnitzwerk. Die kaum einen Fuß hohe Gestalt der Gottesmutter steht auf goldenem Grunde, umflossen von zartrotem Gewande, umwallt von dem dunkelblauen, goldgesäumten Mantel, der auch ihr Haupt nonnenartig einhüllt. Das Haupt nach dem süßesten Jesuskinde, das je gemalt wurde, hinneigend, steht sie mit sinnendem Ausdruck in den überirdischen Augen, mit einem wunderbaren Zug von Schmerz, Trauer und halbem Lächeln um den lieblichen Mund, umflossen von der holdesten Anmut, dem keuschesten Liebreiz, und über ihrem Haupte flammt ein strahlender Stern – der Morgenstern für den Tag der Glorie, da Jesus der Retter kam, die Welt zu erlösen und die Macht des Todes zu brechen. Und wie malte Fra Angelico dieses göttliche Kind auf den Armen der Jungfrau! Es lehnt sein Köpfchen mit dem sinnenden Ausdruck an ihr Antlitz und berührt mit dem Zeigefinger