Dolores lachte, ihre Liebkosungen gerecht unter das seltene Paar verteilend. »So wär' ich denn wieder im Türmchen installiert,« sagte sie. »Älter bin ich geworden, nicht mehr so ausgelassen wie früher, aber unverändert sonst, darauf können Sie sich verlassen!«
»Wär' ein Glück für Sie, Fräulein Dolores,« erwiderte Engels, einen schnellen, forschenden Blick aus sein Visavis werfend.
»Ach,« entgegnete sie lachend, »dieses Glück scheint mir doch zweifelhaft, wenn ich daran denke, wie man damals, vor Jahren hier über mich urteilte. Hundertmal hat man mir versichert, daß Hopfen und Malz an mir verloren sei – ich hab's damals selbst schon geglaubt. Gebessert habe ich mich natürlich nicht!« –
»Nun, Fräulein Dolores,« meinte Engels, »Sie müssen die Unfreundlichkeiten, die man auf Sie entlud, vielem zu gute halten. Erstens der Feindschaft Ihres Vaters mit seinem Bruder, zweitens dem Mißtrauen, das man Ihrer spanischen Mutter entgegenbrachte, drittens der durch Kränklichkeit gereizten Laune Ihres Onkels, und viertens dem düstern Geiste der Grämlichkeit, Unduldsamkeit und Unfreudigkeit am ganzen Dasein, der den Falkenhof so lange beherrscht, und der erst unter Ihrer Herrschaft weichen soll!« –
»Geb's Gott,« rief Dolores ernst, »ich habe mit diesem Geiste nichts zu schaffen. Aber lieber, alter Engels, Sie müssen zugeben, daß all' diese Reden, diese Versicherungen, ich sei ein Satanskind, genügenden Stoff enthielten, einen jungen, unentwickelten Charakter, ein Kinderherz zu vergiften!« –
»Mehr als das,« gab Engels zu. »Aber es ist nicht geschehen!«
»Gottlob, nein – es war wohl ein ganz besonders gesendeter Engel mir zur Seite, der diese Reden nicht tief in mein Gemüt dringen ließ,« sagte Dolores, »im Gegenteil, anstatt ihn zu dämpfen, spornten sie meinen Mutwillen nur an, und ich gefiel mir ganz gut in der Rolle des ewig Streiche spielenden Teufels – tempi passati!« –
Wieder ward es still. Die junge Schloßherrin streichelte sinnend das schwarze, weiche Fell der Katze, und Engels paffte aus seiner kurzen Pfeife dichte Rauchwolken, durch die er Dolores aufmerksam beobachtete.
»Man sagt, Sie seien reich beladen mit Schätzen im Falkenhofe eingezogen,« begann er nach einer Weile.
»Wer sagt es?« fragte Dolores schnell.
»Wer? Hm – nun, Doktor Ruß,« gestand Engels. »Wenigstens flüsterte er mir zu, Sie hätten Diamanten, um damit das Bassin der großen Fontäne zuzuschütten, und Ländereien in Brasilien!« –
»Das letztere ist wahr – ich bin reich in der Heimat meiner Mutter begütert,« erwiderte Dolores einfach, und setzte, sich vorbeugend, um Engels besser ins Antlitz sehen zu können, hinzu: »Ich frage nicht nach den Kommentaren, die Doktor Ruß zu diesen Berichten gemacht hat, denn diese können nur eine Richtung haben und sind mir gleichgültig; aber Ihre Gedanken, lieber Engels, möcht' ich darüber hören!«
Engels hustete und machte sich an seiner Pfeife zu schaffen.
»Was liegt Ihnen an meinen Gedanken,« sagte er ausweichend.
»Es liegt mir viel an dem Urteil eines redlichen Menschen und Freundes,« erwiderte sie ernst.
Wieder huschte sein scharfer, prüfender Blick über sie hin.
»Nun,« sagte er zögernd, »ich dachte mir halt dabei: Wenn sie selbst so reich ist und sich über kurz oder lang doch verheiratet, so wird sie den Falkenhof dem letzten Falkner übergeben, damit der alte Stamm darin neue Sprossen treibe. Den meisten kommt die Nachricht, das Lehen sei ein Kunkellehen, sehr überraschend, denn es ist das erste Mal seit Menschengedenken, daß es auf die weibliche Linie übergeht. Man hat den Baron Alfred allgemein für den Erben gehalten, und er that es wohl auch selbst.«
»Nun, da wird die Welt wohl den Stab brechen über die habsüchtige Erbin, die nicht genug haben kann, wenn ich trotzdem auf dem Falkenhof verbleibe,« sagte Dolores ruhig. »Sie vielleicht vor allen anderen,« fügte sie hinzu, als Engels betroffen schwieg. »Nun sagen Sie mir aufrichtig, was Sie denken!«
»Ich denke, die Wege eines Frauenherzens sind unerforschlich, wie Gottes Wege,« erwiderte er rauh.
»Sehen Sie, daß Sie mich nicht kennen?« rief Dolores fast frohlockend. »Wenn also der, den ich für meinen einzigen Freund hielt um vergangener Tage willen, wenn der mich so verkennt, was habe ich da von der Welt zu erwarten? An ihr liegt mir wenig, an Ihrer Meinung aber liegt mir viel, mein guter Engels. Und so sage ich's Ihnen allein: Bei Gott und allem was mir heilig ist, ich habe Alfred Falkner das Erbe in den schonendsten Worten übergeben, ein für allemal ohne Reserve – und er hat mir's vor die Füße geworfen. Wie er's that, das hat das Tischtuch zwischen uns zerschnitten – ich darf ihm den Falkenhof nicht zum zweitenmal anbieten, um meiner Würde willen!«
Engels streckte Dolores seine mächtige Rechte durch den Tabakdampf entgegen.
»Verzeihen Sie,« sagte er einfach, und sie legte ohne Zögern ihre Hand in die seine. »Nun seh' aber einer den stolzen Herrn Alfred an – ein echter Falkner!«
»Auch ich bin eine echte Falkner,« entgegnete Dolores, »und wenn wir, die Zweige eines Stammes, einander nicht verstehen können, so sei es drum – er hat es so gewollt, nicht ich, dafür ist Gott mein Zeuge.«
»Gut, aber an dem stolzen Freiherrn ist es nun, den Sachverhalt etwaigen mißverstehenden Gemütern beizubringen.«
»Gleichviel, mir liegt nichts daran,« sagte Dolores, und nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Es wird dunkel – ich muß ins Schloß zurück, sonst suchen sie mich am Ende mit Fackeln!«
Sie erhob sich und legte die schnurrende Ida sanft auf das Sofa. Dann reichte sie Engels die Hand.
»Gute Nacht denn,« sagte sie herzlich, »ich komme wieder zum Plaudern in der Dämmerstunde, wenn Sie mich mögen. Das thut wohl, wenn man den Tag mit nicht allzu heiteren Gedanken zugebracht hat, denn, lieber Freund, es giebt Dinge, die sehr schmerzen, und das, das mit Alfred Falkner hat geschmerzt!« Sie beugte sich herab, den wedelnden Dächsel zu streicheln, und verließ ohne ein weiteres Wort das »Türmchen.«
***
Die junge Herrin hatte die erste Nacht auf dem Falkenhof unruhig zugebracht. Sie lag unter den schweren Damastvorhängen ihres großen Bettes und konnte doch nicht schlafen, als aber die Müdigkeit gegen Morgen ihr die Augen schloß, hatten seltsame Träume ihr den Segen dieser kurzen Rast geraubt.
Sie war endlich spät am Morgen erschreckt emporgefahren und bedurfte einiger Zeit, sich zu sammeln und sich zu sagen, daß sie wirklich und wahrhaftig geschlafen und geträumt, und nicht, nach der Manier exaltierter Leute, Geister gesehen hatte. Und doch, sie hätte darauf schwören mögen, daß sich die Boiserie dort an der Wand, welche die Bücherei von dem Schlafgemach trennte, verschoben hatte, und durch die entstandene Öffnung die »böse Freifrau« getreten war, ganz so, wie sie auf dem Bilde zu sehen war, daß die schöne Ahne an ihr Bett getreten und sie geküßt und ihr zugeflüstert hatte: »Ich grüße dich, Dolores, Erlöserin! Ich werde bei dir sein, bis es erfüllt ist!« – Dann hatte sie noch einen Kuß auf ihre Stirn gedrückt, einen langen, innigen Kuß, den Dolores bei der Erinnerung daran mit leisem Schauern fühlte, und war die Bettestrade herabgeschritten, direkt auf ein kleines Madonnenbild zu, das über dem Betstuhl am Fußende des Bettes hing. Auf das Bild hatte sie lächelnd gedeutet und die eine Stelle des Rahmens mit der Hand berührt, dann hatte sie diese Hand zum Gruß für Dolores geküßt und war desselben Weges gegangen, den sie gekommen.
Etwas verwirrt von der Lebhaftigkeit dieses Traumes erhob sich Dolores und kleidete sich an. Drüben im Turmzimmer stand schon ihr Frühstück bereit, das Mamsell Köhler selbst zierlich arrangierte. Beim Durchschreiten der Bildergalerie warf Dolores einen forschenden Blick auf das Porträt, das sich ihr so lebhaft eingeprägt, daß sie sogar davon geträumt – die »böse Freifrau« lächelte ebenso traurig daraus herab, wie gestern.
Mamsell