»Nun, seien Sie ruhig,« spottete Dolores amüsiert, »ich stehe dafür ein, daß die böse Ahne mich nicht schlechter machen wird, und was meine Person anbetrifft, so können Sie noch ruhiger sein. Ramo und Tereza werden in meiner Nähe schlafen, mich zu schützen, und außerdem liegt auf meinem Nachttisch immer ein geladener Revolver – das ist Sitte in Brasilien bei Damen und Herren!«
Mamsell Köhler verbeugte sich und ging mit einem Blick nach oben, als wolle sie den Himmel zum Zeugen anrufen, daß sie ihre Pflicht gethan und die neue Herrin vor dem Familiengespenst gewarnt habe.
Draußen aber blieb sie überlegend stehen.
»Das wird eine gute Wirtschaft werden auf dem Falkenhof,« reflektierte sie, »schon darum, daß die Mulattin wieder herkommt, die Schwarze, die in ein christliches Haus doch einmal nicht gehört, von dem Brasilianer, dem Mosjö Ramo, ganz zu schweigen. Und dazu eine Herrin, die ein Freigeist ist und nichts glaubt – nun ja, das mag man auf dem Theater lernen, und etwas Teufelisches hat sie schon als Kind gehabt, wo sie mich mit ihrem Kürbiskopfe zum Schlagrühren erschreckt hat, und noch ihre Freude daran hatte! Ja ja, die roten Haare! Man soll sich vor denen hüten, die Gott gezeichnet hat.«
Der Gegenstand dieser Reflexionen, die zum Freigeist gestempelte junge Lehnsherrin, weil sie dem Schloßgeiste seine Rechte einräumen wollte, sie stand indes am Fenster des Turmgemaches, das Haupt, dem Gott seinen schönsten Schmuck verliehen hatte, gesenkt, die Hände gefaltet. Was in dieser jungen Seele vorging –?
Mamsell Köhler hätte es vielleicht gewußt, aber sie mußte herabgehen, ihrer Pflicht zu genügen. Als sie den Südflügel passierte, hörte sie in den Zimmern, welche das Ruß'sche Ehepaar bewohnte, die laute Stimme des Freiherrn Alfred zornige Worte sprechen, und gleich darauf kam er heraus und lief schnell die Treppe herab, an der Haushälterin vorüber, ohne sie zu beachten.
»Nun, nun,« meinte sie für sich hin, »da drinnen haben sie wieder einmal Feuerstein und Lunte gespielt – da hat es Funken gegeben. Meinetwegen – wer will haben gute Ruh', der seh' und hör' und schweig' dazu!«
Alfred Falkner hatte seine Mutter nach der Testamentsvorlesung in ihre Zimmer geführt, gefolgt von Doktor Ruß, der, das Haupt gesenkt, in tiefen Gedanken dahinschritt.
In ihrem Zimmer nahm Frau Ruß den Hut ab und setzte sich bequem – die Sache hatte sie angegriffen. Ihr Sohn durchmaß ein paarmal heftig den Raum, dann blieb er plötzlich vor ihr stehen.
»Du wirst natürlich diese Einladung, auf dem Falkenhof zu bleiben, nicht annehmen, Mutter?« fragte er.
»Es ist bereits geschehen, wie du gehört hast,« sagte Doktor Ruß vom Fenster her.
»Mit deiner Bewilligung, Mutter?« Die Frage wurde schwer betont.
»Nun, die Annahme meines Mannes überraschte mich eigentlich,« erwiderte Frau Ruß zögernd.
»Wir können von hier aus unsere Dispositionen für die Zukunft in aller Ruhe treffen,« fiel der Doktor ein.
Falkner wandte sich zornig ab.
»Ich möchte von ihr nichts annehmen,« sagte er, »am allerwenigsten Gnadengeschenke.«
»Das dachte ich zuerst auch,« sagte Frau Ruß, »aber da du nun doch bald selbst Herr des Falkenhofes sein wirst, so können wir ja ruhig bleiben.«
»Ich selbst bald Herr?« Falkner wandte sich erstaunt um.
»Nun ja, wenn du Dolores heiratest!« nickte sie, ganz zufrieden mit dieser ausgleichenden Idee des Verstorbenen.
»Das wird nicht geschehen,« entgegnete Falkner schnell und heftig.
»Nicht?« wiederholte Frau Ruß erstaunt. »Dann erkläre ich dich für unzurechnungsfähig,« setzte sie sehr kühl hinzu.
»Du hast recht damit, Adelheid,« sagte der Doktor, hinzutretend, »aber Alfred wird überlegen. Natürlich,« fügte er begütigend hinzu, »natürlich hat es für ihn momentan etwas Unerträgliches par ordre de Moufti heiraten zu sollen, aber das giebt sich, solche Ecken schleift die Zeit ab.«
»Du dürftest dich denn doch über meine Ansichten täuschen,« entgegnete Falkner verächtlich. »Es ist nicht jedermanns Sache, um Geld zu freien.«
Hinter den Brillengläsern des Doktors blitzte es warnend auf bei diesem Stich, aber er mäßigte sich wie immer, wenn die Bitterkeit gegen ihn in Falkners Herzen überschäumte.
»Hier ist die reiche Braut aber dein Vermächtnis,« sagte er ruhig.
»Denke darüber, was du willst,« erwiderte Falkner stolz, »bleibe du meinetwegen Zeit deines Lebens auf der Bärenhaut im Falkenhof, aber,« setzte er laut und zornig hinzu, »aber laß es bleiben, für mich zu denken und zu entscheiden oder mich beeinflussen zu wollen. Die Ansicht meiner Mutter zu hören ist meine Pflicht. Sie ist in diesem Falle nicht die meinige, aber jede Überredungskunst deinerseits weise ich zurück, ein für allemal!«
Und mit diesem Ultimatum verließ Falkner tiefgereizt das Zimmer.
Doktor Ruß sah ihm lächelnd nach und rieb seine gut gepflegten weißen Hände.
»Laß den Most schäumen, Adelheid,« sagte er heiter, »er wird schon ausgären. Natürlich, der freiherrliche Stolz deines Sohnes bäumt sich hoch empor, aber selbst der heftigste Sturm legt sich einmal. Wir bleiben vorläufig auf dem Falkenhof, und ich will nicht Ruß heißen, wenn Alfred nicht über Jahr und Tag als Herr hier einzieht.«
»Nun, das wäre allerdings wünschenswert,« entgegnete sie, »aber Dolores wird nicht lange ohne Freier bleiben, und wer weiß, was geschieht, wenn Alfred in seinem Stolz zu lange fortbleibt?«
Doktor Ruß lachte leise in sich hinein.
»Laß das meine Sorge sein, liebe Frau,« sagte er, »ich habe nicht umsonst die Einladung, hier zu bleiben, angenommen.«
***
Der Freiherr war hinausgeeilt in den Park, sich durch die Luft die erregten Nerven beruhigen zu lassen. Das Testament des Oheims hatte ihn förmlich aus dem Gleichgewicht gebracht, so ungern er sich's selbst eingestehen wollte, es hatte ihn urplötzlich der Notwendigkeit einer Entscheidung gegenüber gestellt, über die er zwar nicht im Unklaren war, die sich immerhin aber schwer geben ließ.
Was ihn hauptsächlich reizte, war, daß seine Mutter ganz einverstanden damit schien, daß er Dolores heiraten sollte, einfach des Besitzes wegen, und dann war es ihm ein entsetzlich peinliches Gefühl, daß sie auf die Eingebung des Doktors hin die Einladung, auf dem Falkenhof zu bleiben, ohne weiteres acceptiert hatte. Was waren die Pläne seines Stiefvaters dabei? Denn daß er aus reiner Bequemlichkeit bleiben wollte, konnte kein Grund sein, dazu kannte Falkner den Doktor zu genau, oder besser gesagt, er mißtraute ihm zu sehr, um an die angegebenen Gründe zu glauben. Sie waren für harmlose Personen vortrefflich, konnten aber für ein so stilles Wasser, wie Ruß es in den Augen seines Stiefsohnes war, nicht genügen. Natürlich war es für ihn, der den Falkenhof heut' noch verlassen wollte, nicht möglich, diesen verborgenen Motiven nachzuforschen – plante Doktor Ruß in seinem rastlos thätigen Kopfe etwas, so mußte er eben dabei gelassen werden.
Nach etwa halbstündigem Umhergehen kehrte Falkner nach dem Hause zurück, er traf Ramo im Korridor und ließ sich bei Donna Dolores melden.
Sie empfing ihn in dem Turmzimmer, ihm unbefangen die Hand reichend, die er indes nicht zu sehen schien.
»Sie wünschten mich zu sprechen,« sagte er kühl.
»Ja,« erwiderte sie, auf den Sessel ihr gegenüber deutend, »aber offen gesagt, ich hatte gewünscht, das, was ich zu sagen habe, freundschaftlich und verwandtschaftlich zu besprechen. Habe ich Sie in irgend welcher Weise gekränkt oder beleidigt, Baron Falkner? Denn sonst müßte ich doch wenigstens als Dame Anspruch an Ihre Höflichkeit machen können, wenn Sie diese auch der Verwandten verweigern!«
Falkners Blick streifte leicht das schöne stolze Antlitz mit den blitzenden Augen ihm gegenüber – wenn sie auf der Bühne gestanden, hatte er es unausgesetzt