Jäh erblassend wandte sie sich ab – mußte auch das noch kommen, sie zu peinigen.
»Dolores, Ihre Antwort!« bat er leise vor Erregung.
Da wandte sie ihm wieder ihr schönes Antlitz zu.
»Nein,« sagte sie fest.
»Nein! Wieder nein!« rief er außer sich. »Dolores, heut' habe ich ein Recht zu fragen, warum Sie meine Hand, die Hand eines redlichen Menschen, der Sie so sehr liebt, zum zweitenmal zurückweisen. Zurückweisen mit einem kurzen, harten ›Nein,‹ unversüßt, unvergoldet durch die üblichen Versicherungen von Achtung und Freundschaft – hab' ich auch das verwirkt?«
»Warum quälen Sie mich so?« fragte sie schmerzlich.
»Quäle ich Sie? Nein, bei Gott, das will ich nicht, denn es ist nicht edel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten,« erwiderte er bitter und ergriff seinen Hut. »Also leben Sie wohl! Aber eins müssen Sie wissen und sollen es bedenken: Es ist nicht gut, ein Herz von sich zu weisen, das wahrhaft liebt. Und wenn einst Ihr Herz gebrochen und Ihr Kranz verblüht ist, dann ist es zu spät, sich in die Arme der Kunst zu flüchten – sie wird nichts mehr haben für Sie als höchstens – Mittelmäßigkeit.«
Sie wollte ihm antworten: »Sie sind ein zu spät geborener Prophet, denn mein Herz ist gebrochen, mein Kranz ist verwelkt,« – aber sie schloß die Lippen wieder und schwieg, blaß und kalt, und als er in der Thür noch einmal umkehrte, voll Reue über seine harten Worte, und ihr zögernd die Hand reichte, da legte sie freilich die ihre hinein, aber sie war kalt und bewegungslos, wie eine Marmorhand.
Und als sie dann endlich allein war, da war auch ihre Kraft erschöpft, elend an Leib und Seele, sank sie zu Boden und rang die Hände und klagte ihr Schicksal an, das ihr die Liebe zweier redlicher Männer, die sie nicht wieder lieben konnte, bescherte, während sie den, den sie liebte mit der ersten Liebe ihres Herzens, nicht lieben durfte.
Derselbe Bahnzug, der die Bewohner von Monrepos fortführte in ihrem auf der Station deponierten Salonwagen, verabschiedet auf dem Perron von den Bewohnern von Falkenhof und Arnsdorf, welche den Scheidenden eine Überfülle von Rosen mitgaben auf den Weg – derselbe Zug brachte Dolores von der anderen Seite Gäste: Professor Balthasar und seine liebenswürdige Frau, welche mit ihrem Gatten, dem berühmten Historienmaler, siegreich in die Schranken trat durch ihre stimmungsvollen Landschaftsbilder, welche ihr Pinsel in Aquarell duftig und mit hoher Meisterschaft hinzauberte aufs Papier. Dolores begrüßte diese lieben Freunde mit aufrichtiger Freude, denn von dem nicht nur äußerlich, sondern von innen heraus liebenswürdigen und bedeutenden Paar, dessen Unterhaltungsgabe noch außerdem hervorragend war, hoffte sie viel für ihr Gemüt, dessen sonnige Eigenschaften die letzte Zeit so sehr getrübt. Doch ihre frühere Heiterkeit, Energie und Thatkraft wollten trotz der anziehenden Gesellschaft nicht zurückkehren, und mehr als einmal fragten sich der Professor und seine Frau: »Was ist mit ihr vorgegangen? Was hat sie getroffen? Von der geistsprühenden, harmlos heiteren, entzückenden Dolores, was ist geblieben? Ein schönes ernstes Mädchen, bei dessen Anblick man staunend fragt: Ist das die berückende Satanella von ehedem? Welche Wandlung!«
»Aber eine Wandlung zum Schöneren,« behauptete der Professor, und seine Frau riet mit echt weiblichem Instinkt auf eine unglückliche Liebe als auf des Wandels Ursache.
Und die Wochen schwanden dahin, und Balthasars verließen wieder den Falkenhof mit großem Bedauern, diesmal aber zusammen mit Dolores, welche nach Nordland fuhr – zu Alfred Falkners Hochzeit als Gast der Prinzessin Alexandra. Es war nur eine Leidensstation mehr auf dem Kreuzwege ihres Herzens, und nicht einmal die letzte, wie sie wußte. Aber sie haderte nicht mehr mit ihrem Schicksal, das ihr Ruhm und Besitz gewährt und ihr das Glück versagte, denn sie hieß nicht umsonst – Dolores, die Schmerzensreiche. Sie war ruhiger geworden mit der Zeit, und als sie nun dem schweren Tag seiner Hochzeit entgegenfuhr, da glaubte sie fest und ehrlich ganz und vollkommen entsagt und überwunden zu haben.
Doktor Ruß und seine Frau waren im Falkenhofe zurückgeblieben – sie hatten ihr Fernbleiben von der Hochzeit in Nordland durchgesetzt, und da sie ja erst im Herbst mit Dolores zusammen den Falkenhof verlassen sollten, so hüteten sie einstweilen das Haus. Die Anwesenheit des Balthasarschen Ehepaares hatte ihnen übrigens eine sehr angenehme Abwechslung geschaffen, unter welcher sogar Frau Ruß ein wenig aufthaute und weniger schroff schien wie früher, wohingegen Doktor Ruß und der Professor sich in vielen Dingen fanden und sich gegenseitig sehr ansprachen. Auch Schingas hatten in dieser Zeit gute Nachbarschaft gehalten, und soweit der heiße Sommer die Gräfin nicht im tiefsten Negligé in ihr Zimmer bannte in Gesellschaft ihrer Schlangen und ihres Zola, waren sie häufige Gäste im Falkenhof.
Dolores wurde in Nordland von einer herzoglichen Equipage abgeholt und in dem grandiosen Schlosse von Prinzeß Alexandra, welche ihr Zimmer neben ihren eigenen Appartements angewiesen hatte, empfangen. Und als sie bald nach ihrer Ankunft im kleinen Kreise zum Familienthee befohlen wurde, dem Falkner aber nicht beiwohnte, da sah sie, daß man das leichte, bürgerliche Gewand aus Monrepos vollkommen mit dem Hofkleide vertauscht hatte, welches ja an kleinen Höfen viel steifer ist, als an großen, hier aber freilich anmutender wurde die persönliche, schlichte, und herzgewinnende Weise seiner Träger. Prinzeß Lolo, welche heute Mittag eine Abschiedscour absolviert hatte, war übermütig und naseweis wie immer und machte den Damen und Herren jede Verbeugung, jede Antwort mit sehr viel Beobachtungs- und Nachahmungsgabe nach, nur daß sie eben alles ins Lächerliche zog und Dolores, wider Willen mitlachend, eigentlich froh war, daß Falkner nicht zugegen war, denn die amüsante Darstellung schien ihr etwas moquant und herzlos, und sie wußte, daß er für das Herunterziehen und Persiflieren von jedermann kein Verständnis hatte.
»Ich hätte schreien können vor Lachen, als all' diese Karikaturen an mir vorbeimarschierten in Gänsemarsch und jedes mir einen Kuß auf den rechten Handschuh applizierte,« schloß Prinzeß Lolo ihren Bericht. »Sascha, wenn du deine Cour hältst, dann rate ich dir, laß dir einen Blitzapparat in der Corsage deines Kleides anbringen und photographiere dir damit die schönsten Gestalten und Komplimente. Da ist ein alter General, der setzte sich einfach aufs Parkett vor mich hin, als er im Anmarschieren plötzlich parierte – er wird sich auch vor dich hinsetzen. Und dann die ganzen Landpomeranzen, die Komplimente machen als hätten sie einen Schuß in die Kniee bekommen, und über ihre großen Zehen stolpern! Ich habe in dieser Menagerie heut' nur den Grafen Schinga vermißt in seinem Schweinetreiberkostüm und meine künftige Schwiegermutter in ihrer altmodischen Faltentaille ohne Kragen, mit Scheulederscheiteln, Diamantringen auf dem Zeigefinger und ihrem ewigen Strickstrumpf!«
Nun war Frau Ruß Dolores gar nicht sympathisch, aber es war ihr noch nicht eingefallen, die starke, unmodern und nachlässig gekleidete, aber doch noch stattliche Frau lächerlich zu finden. Daß es aber von seiten der Braut ihres Sohnes geschah, berührte sie unsäglich unangenehm, und als gar bei den letzten Worten Falkner den Salon betrat, da errötete sie für die lose Zunge der Prinzeß, und der erschrockene, abbittende Blick, der jener zugekommen wäre, traf ihn aus Dolores' Augen, das Aufleuchten seiner Augen aber sagte ihr, daß er sie verstanden habe und ihr danke.
Die übrige Gesellschaft, bestehend aus der Familie, einigen wenigen zur Hochzeit erschienenen fürstlichen Verwandten, einigen hohen Hofchargen und dem Verlobten der Prinzeß Alexandra, welchem sie Dolores als ihre liebe Freundin und künftige Palastdame vorgestellt hatte, verfiel in peinliches Schweigen, als Falkner unter ihnen stand, ehe seine Braut kaum ihre Rede vollendet hatte. Er küßte derselben, nachdem er seine pflichtschuldigen Reverenzen gemacht, die Hand und sagte ihr, nur hörbar den Zunächststehenden:
»Es giebt eine Posse, in welcher ein unzufriedener Sohn die klassischen Worte spricht: ›Man kann nicht vorsichtig genug sein in der Wahl seiner Eltern.‹ Diese Weisheit läßt sich ja auch auf Schwiegereltern anwenden und zwar um so erfolgreicher, als man hier wirklich diese gerühmte Vorsicht zur Anwendung bringen kann.«
Prinzeß Lolo lachte.
»Ach was – ich heirate dich ja, nicht deine Mutter!«
»Eben darum sollte sie wohl besser außerhalb deiner Karikaturengalerie bleiben,« entgegnete er sehr ernst.
»Aha,«