Dieser und Dolores nahmen im Salon indes einander gegenüber Platz.
»Also nun zu den Staatsgeheimnissen,« meinte sie, ersichtlich gespannt. »Nach dem zu dieser Unterredung nötigen Apparate bin ich doch wohl berechtigt, etwas ganz Außergewöhnliches zu erwarten und zu hören!«
»Und doch erraten Sie gewiß nicht, daß von Ihnen in dieser Stunde das Bestehen oder Aufhören eines Staates abhängt,« erwiderte der Erbprinz mit jenem Lächeln, das auch Ernst bedeuten kann.
»Von mir?« fragte Dolores erstaunt. Aber dann lachte sie. »O Hoheit, die Hundstage und die Sauregurkenzeit, wo man vergebens nach Enten sucht, um die Zeitungen zu füllen und die Konversation zu beleben – die sind doch noch nicht da, und vor denen brauchen Sie sich doch nicht zu fürchten!«
»Das ist sehr freundlich bemerkt, aber mir lag wirklich jeder Scherz fern,« versicherte der Erbprinz. »Also darf ich mein Staatsgeheimnis erzählen? Und werden Sie mich geduldig anhören, bis ich zu Ende damit bin?«
»Ich werde keine Silbe sagen, bis Hoheit mir erklären, daß Sie fertig sind,« entgegnete sie freundlich und lehnte sich zurück in ihren Sessel. »Also ich höre und verspreche, kein Wort zu verlieren.«
»Nun wohl,« sagte der Erbprinz, »ich verspreche dagegen auch, kurz zu sein und Ihre Geduld nicht zu schwer zu prüfen. Um mit dem neuesten zu beginnen, so muß ich also berichten, daß wegen der in sechs Wochen stattfindenden Vermählung meiner Schwester Alexandra, von der Sie gestern ja gehört haben, die Hochzeit meiner Schwester Lolo schon Anfang August stattfinden muß. Entscheidend waren dabei Etikettenfragen in Rücksicht auf meinen künftigen Schwager Falkner – wir haben das heute Morgen besprochen und bestimmt.«
»Gehört das zur Sache?« warf Dolores etwas kühl ein.
»Doch, denn es leitet die Sache selbst ein,« entgegnete der Erbprinz und fuhr fort: »Aber der durch diese Hochzeiten zu erwartende Trubel und der Umstand, daß, da Monrepos dem jungen Paare als buen retiro für den Honigmond eingerichtet werden soll, wir alle diesen lieben Aufenthalt in den nächsten Tagen verlassen müssen, all' dies hat den Herzog, meinen Vater, etwas nervös gemacht. Er ist ein Mensch mit stillen Neigungen und dem Hange zu einem ruhigen Leben, und nichts ist ihm schrecklicher, als sich in eine Uniform zwängen zu müssen und Pflichten zu erfüllen, die ihn nicht befriedigen, die ihm das leere Gefühl hinterlassen, nichts gethan zu haben und doch in Bewegung gewesen zu sein. Und nun sein Haus leer wird und ihn die Rücksicht für seine Töchter nicht mehr fesselt, nun will der Herzog einen langgehegten Wunsch erfüllen und auf die Regierung verzichten. Er ließ mich also vorhin zu sich rufen und teilte mir seinen Entschluß mit.«
»Ah, das also ist das Staatsgeheimnis!« rief Dolores interessiert. »Aber, Hoheit, warum würdigen Sie mich, es mir gerade anzuvertrauen?«
»Weil, wie ich Ihnen schon sagte, das Bestehen und Aufhören unseres kleinen Staates von Ihnen abhängt,« erwiderte der Erbprinz.
»Sesam, öffne dich!« rief sie lächelnd.
»Ich komme zur Sache. Nachdem der Herzog mir also seinen Entschluß, zu resignieren, kundgegeben hatte, billigte ich denselben vollständig, denn ich teile ganz die Lebensansichten meines Vaters und dessen Neigungen. Ich sagte ihm also, ich begriffe voll und ganz die Motive, die ihn Scepter und Krone niederlegen ließen, aber ich würde diese Resignation auch gerechtfertigt finden, wenn sie aus dem Grunde geschähe, daß damit zugleich unser Land dem Reiche einverleibt würde, welches unsere Souveränität vertragsmäßig anerkennt, dem wir aber damit doch ein Hindernis sind. Ich habe als Vergleich dafür nur den dahinbrausenden Blitzzug, welcher über Zeit und Raum triumphierend den Erdball durchmißt und dazu genötigt wird, jedesmal vor einer kleinen Haltestelle ein unliebsames Halt zu machen, um Ballast aufzunehmen, der ihn nicht beschwert, aber aufhält und belästigt.«
»Das ist eine großherzige politische Auffassung, Hoheit!«
»Sie wäre es, Baroneß, wenn ich nicht ein Mensch wäre und als solcher eigennützige Motive im verborgensten Winkel meines Herzens bärge.«
»Wer soll Ihnen das glauben, Prinz?«
»Hören Sie mich zu Ende, und Sie werden es glauben müssen. Also mein Vater gab mir von seinem Gesichtspunkt aus recht, denn seine partikularistischen Ideen von ehedem sind längst einer wirklich großherzigen, weiten Auffassung von politischer Einigkeit und Größe gewichen, und er hätte auch sicher seine engbegrenzte Souveränität für diesen großen Gedanken geopfert, wenn er nicht geglaubt hätte, das Aufrechthalten derselben mir, seinem einzigen Sohne und Erben, schuldig sein zu müssen. Nach dieser Eröffnung glaubte ich meinen Moment zum Sprechen gekommen, und ich erklärte meinem Vater, daß ich seinem Beispiel freudig folgen und auf einen Thron verzichten wollte, dem gegenüber, ganz abgesehen von meiner politischen Überzeugung, mir ein Leben als mediatisierter Fürst weit größere geistige Vorteile böte. Aber nun komme ich auf des Pudels Kern. Der Herzog fragte mich, als erfahrener Menschenkenner, ob dies allein mein Motiv sei, und da mußte ich freilich gestehen: nein. Denn das wahre Motiv für mich ist – eine Dame, eine Dame, welche ich liebe, und welche mir nicht ebenbürtig ist. Und ich setzte dem Herzog auseinander, wie ich davon geträumt hätte, den Herrscherpflichten zu entsagen – nicht um der Liebe willen, welche ja stets hinter Pflicht zurücktreten muß, sondern rein meiner politischen Überzeugung wegen, und wie ich dann, ein freier Mann, mich einfach nach meiner ererbten Privatbesitzung Graf von Waldburg nennen wollte, um der Dame meines Herzens mit meiner Hand auch meinen Namen bieten zu können. Was nach dieser Erklärung zwischen meinem Vater und mir als Herzog und Erbprinz und endlich als Vater und Sohn besprochen wurde, gehört nicht hierher, ich will nur sagen, daß ich siegte – vielleicht weil der Sieg meiner Schwester Eleonore dem meinen vorausgegangen war. Aber ich habe alles von der Entscheidung jener Dame abhängig gemacht. Nimmt sie meine Hand an, dann werden die Reichslande um ein paar Quadratmeilen größer – refüsiert sie mich, so übernehme ich die Regierung, bis ein geeigneter Moment die Verzichtleistung unauffällig vollzieht.«
»Und das sollte in meiner Hand liegen?« fragte Dolores, als er schwieg.
»Ja,« sagte er fest, »weil Sie die Dame sind, die ich liebe, und weil ich nicht als Erbprinz mit der linken Hand, sondern als Graf von Waldburg vor Sie hintrete, Ihnen Herz, Rechte und Namen biete und Sie frage: wollen Sie mein Weib werden?«
Dolores war aufgestanden – blaß lehnte sie an dem Tisch, der hinter ihr stand und sah zu dem Prinzen herüber, der sich gleichfalls erhoben hatte.
»Hoheit sehen mich aufs höchste überrascht,« sagte sie nach einer Pause ruhig und gefaßt. »Der mich so hoch ehrende, liebe und in letzter Zeit vertraute Verkehr mit Monrepos hat mich nie, auch nicht im entferntesten ahnen lassen, daß –« sie stockte.
»Daß ich Sie liebe,« vollendete der Erbprinz. »Nein, Dolores, ich weiß, daß ich mich nicht verraten habe, denn ich halte es für einen Mann in meiner Stellung für gewissenlos, eine Frau mit seiner Liebe zu verfolgen, der er im besten Falle nichts bieten kann als einen Trauring zur linken Hand, einen fremden Namen und eine stets untergeordnete, peinliche Stellung in seinem Hause. Das waren die Motive, die mich veranlaßten, Ihnen meine Neigung zu verbergen, aber ich wußte, daß wenn Ihr Herz für mich spräche, Sie dies auch in sich verschließen würden. Nun aber hab' ich's erreicht, ich darf sprechen und trete vor Sie hin mit meinem Geständnis. Dolores, darf ich auf Erhörung, darf ich auf Gegenliebe hoffen?«
Nun ward es still in dem hohen, kühlen Raume, so still, daß man das Summen der Fliegen an den Fensterscheiben hören konnte. Dolores stand, die großen, dunklen Augen traumverloren in die Ferne gerichtet und sann, der Erbprinz wartete auf ihre Antwort – –
»Hoheit,« sagte Dolores nach einer Weile, »ich würde Sie schwer täuschen, wenn ich Ihnen sagen wollte, daß die wahrhaft herzliche Sympathie, welche ich für Sie empfinde, Liebe ist. Wenn Sie diese verlangen – ich habe sie nicht!«
»O Dolores!« rief er schmerzlich bewegt. »Ich habe es wohl geahnt, daß ein anderer – –«
»Nein, nein!«