Doktor Ruß zuckte mit den Achseln und lächelte ein bedeutsames Lächeln, dann aber stand er auf, trat an seine Frau heran, umfaßte sie liebevoll und drückte sie an sich.
»Teures Weib, hier ist dein Platz, den du dir selbst gewählt,« sagte er mit dem vollen Wohlklange seiner modulationsfähigen Stimme. »Hier ist dein Platz, der dein bleibt, ob auch die Welt dich verstößt wegen deiner Herzenswahl. Denn was nützen uns Rangkronen und Titel, wenn das Herz fehlt?«
Und er beugte sich herab, ihren zuckenden Mund zu küssen und ihre vor Rührung überquellenden Augen zu trocknen.
»Na, da schlag' Gott den Teufel tot,« murmelte Falkner ziemlich deutlich, denn diese Komödie täuschte ihn nicht und sollte es vielleicht auch nicht thun. Denn einmal hielt er seinen Stiefvater für einen viel zu klugen Mann, um ihm solch' unlogisches und ungerechtfertigtes Vom-Zaun-brechen einer Rührscene zuzutrauen, und dann wußte er sehr genau, daß es dieser Ton war, mit welchem er seine Mutter sich gewann und unterordnete, mit dem er sie aufreizte und zu seinen Ansichten und Plänen bekehrte. Ob es nun zu diesen gehörte, oder ob wirklich sein Mißtrauen und die Furcht, nicht für voll anerkannt zu werden, in ihm vorherrschte – genug, er wußte seine Frau genau ebenso denkend zu machen. Frau Ruß bewieß auch sofort, daß ihres Mannes Taktik für sie berechnet und mit Erfolg gekrönt war, wie gewöhnlich.
»Ja, mein Lieb,« sagte sie, mit den Thränen kämpfend, »wir bleiben fern von dem Orte, an dem wir nur geduldet werden würden. Ich brauche die ganze hochmütige Clique nicht,« fuhr sie heftig fort, »und wer mich frägt, wer ich bin –: ich bin die Frau Ruß, nichts mehr und nichts weniger!« –
»Aber liebe Mutter, wer ist dir denn je in dieser Beziehung zu nahe getreten?« fragte Falkner beruhigend, doch Doktor Ruß winkte ihm nur ab und drückte den Kopf seiner Frau lange und stumm an seine Brust. Die Wirkung war komplett, der Sieg war gewonnen über ein verbittertes Weib. Deshalb blieben Falkners Worte auch gänzlich unbeachtet, und er war im Begriff, sich zu erheben und zu gehen, als Doktor Ruß, wieder Platz nehmend, ein anderes Thema aufnahm.
»Da wir gerade einmal in Ruhe bei dem Thema deiner Heirat sind, lieber Alfred,« sagte er, »so mag zugleich eine Frage erledigt werden, welche nahe liegt. Was haben deine Mutter und ich von deiner Heirat zu erwarten?«
»Das verstehe ich nicht,« erwiderte Falkner verwundert.
»Nun wohl, ich meine, welch' materielle Vorteile können und sollen uns daraus ersprießen?«
»Materielle Vorteile?« wiederholte Falkner. »Offen gesagt sehe ich für euch als Kollektivbegriff keine, doch werde ich nach wie vor bemüht sein, aus meinen Überschüssen meiner Mutter diejenige Hilfe zu gewähren, welche ich eben gewähren kann.«
Frau Ruß reichte ihrem Sohne die Hand und wollte etwas sagen, doch ein vielsagendes »Hm!« ihres Gatten hielt das freundliche und dankbare Wort auf der Stelle zurück.
»Was soll das heißen?« fragte Falkner gereizt.
»Ich wollte damit nur sagen, daß wir natürlich keine Rothschild-artigen Revenüen von dir verlangen,« erwiderte Ruß sehr gelassen, »denn wir wissen ja, daß die Apanage deiner Braut durch ihre unebenbürtige Heirat erlischt und ihr mütterliches Vermögen nur eine unantastbare Leibrente bildet. Ich habe also auch nicht von pekuniären Vorteilen gesprochen, sondern von materiellen.«
»Jedenfalls bist du sehr gut informiert,« sagte Falkner sarkastisch.
»Nicht wahr?« nickte Doktor Ruß seinem Stiefsohne so harmlos zu, daß diesem das Blut in die Stirn stieg und er alle Mühe hatte, eine heftige Antwort zurückzudrängen.
»Ich bitte also um eine Erklärung, was du unter materiellen Vorteilen von meiner Heirat verstehst,« rief er ungeduldig, »du mußt meiner schweren Begriffsfähigkeit hierin etwas zu Hilfe kommen.« –
»Gern, lieber Alfred,« entgegnete Ruß sehr sanft und freundlich. »Ich meine nämlich, es dürfte jetzt die Zeit gekommen sein, wo du statt deiner vielgerühmten Hilfen aus deinen Überschüssen –«
Nun sprang aber Falkner empor im hellen Zorn.
»Wie kannst du wagen, von ›vielgerühmten‹ Hilfen zu sprechen,« sagte er leise mit flammendem Auge. »Ich habe das Wenige, was ich meiner Mutter geben konnte, in meinem Herzen stets um seiner Wenigkeit willen beklagt, aber ich war nie solch' ein Lump, mich dessen zu rühmen, was ich gab; denn wer sich erfüllbarer Pflichten rühmt, ist nichts als ein alberner Selbstanbeter und ein verächtlicher Renommist obendrein!«
Doktor Ruß sah ein, daß er zu weit gegangen war und seinen Stiefsohn unnötig gereizt hatte. Er nickte ihm deshalb lächelnd zu und klatschte leise Beifall.
»Bravo! Bravo!« rief er, »Adelheid, geliebtes Weib, sieh' deinen Sohn, dein Fleisch und Blut! In welch' schönen Zorn er für dich geraten kann –« –
»Was soll das wieder?« unterbrach ihn Falkner drohend. Aber Doktor Ruß war nicht so leicht einzuschüchtern.
»Nein, du hast mich nicht recht verstanden, oder ich, vielmehr, habe mich nicht richtig ausgedrückt,« sagte er mit seinem gewinnendsten Ton. »Ich meinte vielgerühmt in dem Sinne, als deine Mutter, und ich mit ihr, es in der That stets viel gerühmt haben, daß du von dem Deinen trotz den großen Ansprüchen, welche deine Carriere, dein Name und die große Stadt an dich stellten, immer noch für deine Mutter übrig hattest –«
»Daran ist auch von dir nichts zu rühmen,« unterbrach ihn Falkner kurz und scharf, denn der schnelle Blick, den Frau Ruß auf ihren Mann geworfen hatte, war ihm nicht entgangen und hatte ihm gesagt, daß sein Stiefvater das böse Wort nur zu seinen Gunsten gedreht, und seine Fertigkeit in dieser Kunst abermals bewiesen hatte.
»Doch! doch!« widersprach der Unerschütterliche auf das Süßeste, und fuhr dann fort: »Um also endlich auf des Pudels Kern zu kommen, so hatte ich sagen wollen, daß deine Mutter und ich erwarten, daß es dir nunmehr gelingen wird durch deinen unleugbaren Einfluß am Hofe des Herzogs, deines Schwiegervaters, für mich eine Stellung zu erwirken, welche deine Mutter auf eine Stufe stellt, die für dich nichts Peinliches hat. Der meinem Namen mangelnde Adel dürfte dann auch wohl so schwer nicht zu beschaffen sein.«
Falkner, welcher stehen geblieben war, ergriff jetzt seinen Hut.
»Ich fürchte, dich enttäuschen zu müssen,« sagte er, sich vollständig bezwingend. »Ich bin so ganz und gar nicht der Mann dazu, der durch eine nähere Verbindung mit den Großen dieser Erde, diese sogleich dazu benutzt, um seine Verwandten zu poussieren. Das war ein Geschäft für die Pompadour und ihresgleichen. Deine eigenen Bemühungen um eine Professur werden da jedenfalls erfolgreicher sein. Du brauchst dann auch den Adel nicht, dessen in meinen Augen ein gebildeter Mensch überhaupt nicht bedarf, um vorwärts zu kommen. Und bis ich soweit bin, das heißt bis ich in der Intimität mit den neuen Verwandten soweit gedeihe, daß ich eine derartige Bitte aussprechen würde – bis dahin bist du längst in Amt und Würden.«
»Natürlich,« erwiderte Doktor Ruß seltsam zerstreut.
»Dies ist meine persönliche Ansicht davon,« fuhr Falkner fort, »aber es kommt noch ein anderer Faktor dazu, der deinem Wunsche entgegentritt. Es ist dies die wahrscheinliche Resignation des Herzogs und seines Hauses und die Einverleibung Nordlands in die Reichslande.«
»Ah –!« machte Doktor Ruß mit demselben unsteten Blick wie zuvor.
»Ich bitte euch, diese Mitteilung aber geheim zu halten,« schloß Falkner, verwundert, daß die Zunge seines Schwiegervaters keinen scharf zugespitzten Pfeil auf seine Weigerung hatte. »Ich habe,« setzte er hinzu, »nur deshalb davon gesprochen und dir gegenüber Gebrauch von dieser nur in Umrissen skizzierten Idee gemacht, um den Beweis zu liefern, daß Egoismus und böser Wille mich nicht leitet.«
»Gewiß! Gewiß!« meinte Doktor Ruß, wie wenn jemand, sehr beschäftigt, ein fragendes Kind abfertigen will.
»Und nun adieu, liebe Mutter,« sagte Falkner, sich zu