»Ah,« meinte Ruß mit Interesse, »das würde ich an Ihrer Stelle ordentlich verschließen lassen, denn wenngleich ein Eindringen von dieser Seite wohl kaum zu fürchten ist, das Bewußtsein dieser Geheimverbindungen, wie unsere Vorfahren sie liebten, ist immerhin unbehaglich genug.«
Dolores erklärte nun, daß Ramo diesen sicheren Verschluß bereits besorgt und zum Überflusse noch auf der anderen Seite ein Fuchseisen gelegt habe.
»Nun, ich hab' es ja immer gesagt, dieser Ramo ist eine Perle,« rief Ruß scheinbar sehr amüsiert. »Da wäre es ihm ja ordentlich zu wünschen, daß sich der Fuchs in dieser unfreundlichen Falle finge. Freilich zweifle ich, daß es je einer versucht hat, bei Ihnen auf diesem Wege einzudringen.«
Jetzt erörterte Dolores auch die gefundenen Fußspuren, was Doktor Ruß entschieden ernst nahm, denn er versprach bei der Nachforschung zu helfen, auf welchem Wege wohl der Inhaber dieser Pedalabdrücke in den Nordflügel gekommen sein könnte. Und damit trennte sich Dolores von ihrem Gaste, der noch einen Moment draußen zögerte und dann bei seiner Frau eintrat, welche sich sogleich erhob und ihr Strickzeug zusammenrollte. Dabei warf sie einen scharfen Blick auf ihren Gatten, welcher mit unsicheren Händen Bücher zusammenraffte, welche den Tisch mit der Lampe darauf bedeckten.
»Ist dir schlecht, Ruß?« fragte sie. »Du bist so blaß.«
Er schüttelte den Kopf und begann leise eine Melodie zu pfeifen.
»Das ist keine Antwort,« sagte sie gereizt, und als er auch darauf nichts erwiderte, fuhr sie heftig fort: »Aber du wirst dir noch ein tüchtiges Wechselfieber holen mit diesem Herumstrolchen in den ungesunden Nachtnebeln. Wie dir das so allein Vergnügen machen kann, fasse ich nicht.«
»O, ich war aber nicht allein, mein Täubchen,« erwiderte er sanft. »Dolores war, als sie von Schingas nach Hause kam, durch den Park gegangen. Dort begegneten wir uns, und ich begleitete sie nach Hause.«
Nun war die Reihe, blaß zu werden, an Frau Ruß, denn ihr Mann wußte, daß sie eifersüchtig war, und er hatte seinen Pfeil wohlbedacht entsendet, doch daß er getroffen, wagte sie ihm nicht zu sagen, und so ließ sie ihn sich weiter bohren in ihr thörichtes, altes Herz, und was er wirkte, war Gift und Galle und Haß und Bitterkeit.
Das freilich hatte Doktor Ruß mit seinem Trumpf erreicht, daß die Aufmerksamkeit seiner Frau von ihm und seiner Blässe abgelenkt ward, denn was, zum Teufel, brauchte sie's zu wissen, daß die Fußspuren droben im Nordflügel ihm mehr noch zu überlegen gaben, als der vernietete Kamin und das Fuchseisen des braven Ramo? – – –
Und zur selben Zeit durchlebte Falkner auf Monrepos böse Stunden, denn zu all seiner Mißstimmung hatte Prinzeß Lolo ihm selbst mit kleinen Übertreibungen ihrer Heldenthat die Geschichte mit den Schlangen erzählt und aus vollem Halse über das geradzu wahnsinnige Entsetzen »der dummen Satanella« gelacht.
»Du, zu ihrem Geburtstage schicke ich ihr anonym eine kleine Natter in einem Kästchen zu,« hatte sie geschlossen, »wenn ich nur dann bloß den Luftsprung sehen könnte, den sie machen wird, wenn das Vieh ihr so – tsch! – entgegenzischt.«
Falkner war außer sich, denn was wirklich über die Hälfte ungebundener, fesselloser Übermut war, nannte er, gereizt, wie er einmal war, herzlos und unweiblich.
Auf Monrepos angelangt, arbeitete ihm Prinzeß Alexandra, welche seinen tadelnden Blick in Arnsdorf und sein Schweigen auf die Erzählung seiner Braut bei der Heimfahrt ganz richtig aufgefaßt hatte, noch in die Hände, indem sie beim Gute Nacht sagen die Schwester liebevoll umfaßte und, Falkner die andere Hand reichend, sagte:
»Zu deinem Besten, Lolo, weil ich dich so lieb habe und deinen Verlobten schon als meinen Bruder betrachte, muß ich dir heut' etwas sagen, und zwar vor seinen Ohren, damit es auch wirkt und nicht bloß als leerer Schall verhallt. Du warst heut' Abend zu laut, Herzchen, zu wild fast! Das schickt sich nicht für eine junge Braut, welche vor dem ernstesten Schritt ihres Lebens steht!«
Da riß Prinzeß Lolo sich los aus den Schwesterarmen und stand nun sprühenden Auges, mit geballten Fäustchen vor den beiden.
»Nun hab' ich's satt, das ewige Schulmeistern und Sittenpredigen,« sprudelte es rapid über ihre Lippen. »Eben weil ich eine Braut bin, verbitte ich's mir, eben weil ich Braut bin, kann ich sein wie ich will. Ich will hinaus aus eurem ledernen Zwange, aus der tödlichen Langeweile eures lächerlichen kleinen Hofes, und weil ich mich nicht in eine eben solch' blödsinnige Mausefalle sperren lassen will, heirate ich mir statt eines dummen Prinzen lieber den da, als dessen Frau ich wenigstens thun kann, was mir paßt und was ich mag!«
»Nun, nun, Lolo, ich denke doch, du heiratest den Baron, weil du ihn so recht von Herzen lieb hast,« sagte Prinzeß Alexandra sanft, als ihre Schwester atemlos schwieg.
»Natürlich, deswegen auch,« rief die kleine Durchlaucht mit einem raschen Blick auf Falkner. Sie war über und über rot geworden.
»O nein, nur deshalb« meinte die ältere Schwester mit einem bittenden Blick, der die ganzen Unabhängigkeitsgefühle in der kleinen Furie wieder entfesselte.
»Ich will nicht geschulmeistert werden, und was ich gesagt hab', das hab' ich gesagt,« zischte sie und flog dann ohne weiteren Gruß von dannen und in ihr Zimmer, wo sie sich durch das Zerschlagen einiger kostbaren Nippes wesentlich erleichterte. Prinzeß Alexandra aber blickte Falkner trüben Lächelns an.
»Da werden Sie noch viel zu erziehen haben, trotz meiner redlichen und unverdrossenen Mühe,« sagte sie leise.
Er küßte ehrfurchtsvoll die warm gebotene Hand.
»Das ist gärender Most, Durchlaucht,« erwiderte er gegen seine bessere Überzeugung, denn was sollte er sonst sagen? »Aber ich will dafür sorgen, daß es klarer, goldiger Wein wird,« setzte er, sich mit Gewalt bezwingend, in ehrlichster Meinung hinzu.
»Gott geb's!« seufzte sie.
Falkner aber konnte heute nicht zur Ruhe kommen, denn die erlebten Scenen hatten ihm einen starken Stoß gegeben. Ihm graute vor der Zukunft, ihm graute vor dem, was hinter ihm lag, nur beides in verschiedener Weise. Was sollte daraus werden? Wie würde die Frau erst die Würde verlieren, welche die Braut schon, wie vorhin, mit Füßen trat, als ob solch' zertretenes und zerknülltes Ding sich wieder ganz glätten und mit Erfolg anziehen ließe! Und wenn er sich als redlich wollender Mensch auch vorzustellen versuchte, daß vielleicht gerade dies unverdrossene »Erziehen,« das Prinzeß Alexandra an der ihr anvertrauten Schwester erprobt, zu dem negativen Resultat geführt hatte, weil nicht eben jede Natur sich in die Form pressen läßt, die andere für sie ausgesucht und ausgeklügelt haben, so war es doch immerhin noch zweifelhaft, in welcher Form der eigenwillige Sprühteufel aus seinen Händen hervorgehen würde. Und es ist auch solch' eine eigene Sache mit der Erziehung der Frau durch den Mann, denn wenn die Liebe der ersteren nicht groß und nicht stark genug, wenn ihr Charakter nicht doch schon so fest ist, um ihn unbedingt dem ihres Mannes anzupassen, so giebt's doch nur einen Mißklang, den das »Erziehen« nur noch schlimmer macht, wenn's eben so betrieben wird, daß es ein Schulmeistern bleibt und nicht ein ganz unbewußtes Führen an der Hand der Liebe, die ja alles vermag. Denn wenn den Menschen etwas toll machen kann, widerspruchsvoll und eigensinnig, so ist es unablässiges Reden, Korrigieren und Verweisen.
Das alles sagte sich Falkner ohne Beschönigung, und dabei mußte er an die Ironie des Schicksals denken, das ihm jetzt als zu hoch vorstellte für seine Wünsche, was ihm früher zu niedrig gewesen. Und als ihm dann die Augen aufgingen und er sich bücken wollte und dem so niedrig geglaubten Wesen die Hand reichen, da war es zu weit geworden dazu, und jetzt –? Jetzt war es zu hoch und vielleicht auch zu spät. Vielleicht? Nein, es war gewißlich zu spät, denn er war gebunden,