Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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was der Grund dieses beschleunigten Hochzeitstermins war, denn er hatte lange genug an Höfen gelebt, um das zu begreifen, aber im Grunde war er ganz damit zufrieden. Das Band war ja durch ihn nicht mehr löslich, und ob es zwei oder drei Monat später für ihn zur lebenslänglichen Fessel wurde oder in fünf Wochen – was that das?

      Doch es wurde noch mehr beschlossen im Rate der Familie, denn da man das Ende des Juli noch für zu früh im Jahre hielt für den programmmäßigen Ausflug nach dem Süden, so ward die Ummöblierung von Monrepos alsbald festgesetzt, damit das junge Paar daselbst seine Flitterwochen verleben konnte. Andere Vorschläge von seiten des Bräutigams wurden, als nicht üblich, gar nicht erbeten, und auch Prinzeß Lolo opponierte nicht, denn es war schon eine ganz andere Sache, Schloßherrin auf Monrepos zu sein, nach dem berühmten Muster Cäsars, welcher auch lieber auf dem Dorfe der erste, als in Rom der zweite war. Zudem spukten in dem blonden Köpfchen eigene Ideen von Visiten in Stadt und Land – und es sollte ganz amüsant werden auf Monrepos. »Die alte Bude soll sich wundern, wie ich sie aufmöbeln und aufkratzen werde,« gelobte sie sich innerlich.

      Doch so sehr des Herzogs Vaterherz sich freute über das Glück seiner Töchter, die er so gern echt bürgerlich und gemütlich »seine Mädels« nannte – die fortgesetzten Konferenzen, Korrespondenzen und Depeschenwechsel dieser letzten Tage versetzten sein ruhebedürftiges Gemüt in einen harten Anklagezustand gegen das Schicksal, das ihm nicht 'mal seine paar Sommermonate in Ruhe gönne und seinen Rosen ungestraft gestatte, so wilde Triebe anzusetzen, als ihnen beliebe, denn wer kam in diesem Trubel dazu, auch nur eine Raupe von den Stämmen zu lesen? Und nun sollte es gar vorzeitig zurückgehen in die staubige Residenz, in das große Schloß mit dem englischen Park, in welchem ihm die Etikette verbot, zu arbeiten – kurz, er sollte um zwei volle Monate eher aufhören, ein Mensch zu sein! Das war mehr für das geduldige Temperament des trefflichen alten Herrn, als er es ertragen konnte, und Entschlüsse, welche vorläufig nur als schwarze Gedanken in seinem Busen geruht, wurden in ihm reif – Entschlüsse, welche zwar nicht erschütternd an die Fundamente seines Landes und des Reiches griffen, welche aber für sein Haus immerhin Bedeutung hatten. Und nun war die Reihe, Konferenzen abzuhalten, an ihm – d. h. er legte, als seine Entschlüsse zur Reife gediehen und unwiderstehlich in ihm aufstiegen, Gartenschere und Okuliermesser mit der Entschiedenheit und der Hast beiseite, welche ebensosehr auf eine Unabänderlichkeit seiner Ideen, als auch auf deren rasche Erledigung deuteten, und nachdem er sich noch etlichemal die Hände gerieben und ein halb Dutzend Mal um ein Rosenrondel gegangen war, ließ er seinen Sohn, den Erbprinzen, zu sich bitten und blieb mit demselben nahezu zwei Stunden eingeschlossen. Des Herzogs Kammerdiener hörte seinen hohen Herrn dabei mehrmals mit erhobener Stimme reden – aber was immer auch besprochen wurde, es hatte einen friedlichen und befriedigenden Ausgang, denn als nach besagten zwei Stunden der Herzog mit seinem Erben wieder hinaustrat in den Garten und der Erbprinz nach seinem Hute griff, da reichte der Vater dem Sohne die Hand.

      »So, dann Glück auf, mein Junge,« sagte er herzlich. »Es hat so kommen sollen – und contre la force il n'y a point de résistance. Die zwingende Gewalt liegt eben im Menschen selbst – das ist die Natur. Willst du heut' noch nach dem Falkenhofe?« –

      »Ja, Vater. Wozu auf morgen verschieben, was man heut' ebensogut erfahren kann?« –

      »Ja, ja! Also nochmals: Glück auf, Emil!« –

      Der Erbprinz küßte seines Vaters Hand und verließ Monrepos auf dem Wege zum Falkenhofe. Er ging aber nicht schnell, wie ein Mensch, der seiner Sache gewiß ist. Langsam schritt er hin und blieb oftmals grübelnd stehen, aber am Ende kam er doch an sein Ziel und wurde von Ramo unverzüglich bei der Herrin des Falkenhofes gemeldet.

      Draußen brütete die Schwüle des Sommernachmittags über den Bäumen – aber die Sonne neigte sich schon nach dem Westen. Die dicken Mauern, wie sie nur die Architektur vergangener Jahrhunderte kannte, ließen nicht viel Hitze von außen hinein in die gewölbten Räume des Falkenhofes, und erquickt atmete der Erbprinz die Kühle ein, die ihm beim Eintritt in das feudale Schloß entgegenwehte. In denkbar kürzester Zeit kam Ramo wieder herab und meldete, daß Dolores den Erbprinzen erwarte. Gerade als letzterer sich anschickte, die Treppe hinaufzusteigen, erschien Doktor Ruß in der Vorhalle und begrüßte überrascht den hohen Besucher und schickte sich an, denselben nach oben zu begleiten.

      »Ich war gerade im Begriff, meiner Nichte dieses Buch, das eben eintraf, zu bringen,« sagte er, auf eine Broschüre in seiner Hand deutend.

      Doch zu seiner größten Überraschung nahm der Erbprinz ihm das Heft aus der Hand, ohne auch nur einen Blick auf den Titel zu werfen.

      »Ich kann Ihnen diese Mühe abnehmen,« meinte er, grüßte freundlich, aber in der Weise, welche nur den Regierenden eigen ist, wenn sie jemand entlassen, und schritt, dem voraneilenden Ramo folgend, die breite, teppichbelegte Treppe zu dem von Dolores bewohnten Flügel hinan.

      Doktor Ruß aber richtete sich von seiner tiefen Verbeugung auf und konzentrierte sich rückwärts nach seinen Gemächern.

      »Das war kurz – und deutlich,« murmelte er vor sich hin. »Hm! Hm! Also man will allein sein oben. Vielleicht enfin seuls! Und warum will man allein sein? Weil man etwas zu besprechen hat, wozu ein Dritter überflüssig ist. Um das zu erraten, dazu gehört nicht viel Kombinationsgabe. War dieser Besuch erwartet? Kommt er unerwartet? Schade nur, daß –«

      Und die Gedanken des Doktor Ruß verloren sich in ein vielsagendes Kopfschütteln.

      Oben im Korridor aber sagte der Erbprinz zu Ramo:

      »Ich wünsche Ihre Herrin, die Baroneß, allein und ungestört zu sprechen. Bitte, sorgen Sie also dafür, daß niemand gemeldet oder ungemeldet eindringt, so lange ich hier bin. Niemand; – auch Doktor Ruß nicht!«

      »Sehr wohl, Hoheit,« erwiderte Ramo respektvoll, aber nicht servil. Er mochte den Erbprinzen gern leiden, den Doktor Ruß aber nicht, trotzdem sich letzterer stets sehr freundlich dem Kammerdiener gegenüber zeigte.

      »Willkommen, Hoheit,« sagte Dolores, als der Thronerbe bei ihr eintrat. »Ah – Sie bringen mir ein Buch!«

      »Ich nahm es Doktor Ruß ab, der es Ihnen eben bringen wollte,« erklärte der Erbprinz, die dargebotene Hand küssend.

      »O, zu gütig –« –

      »Nein, es war keine Güte, nicht einmal Gefälligkeit. Ich wollte Sie heut' allein sprechen.«

      »Allein, Hoheit?« fragte Dolores erstaunt. »Das klingt ja ganz mysteriös und macht mich sehr neugierig. Sind es Staatsgeheimnisse, welche ich hören soll?« –

      »Auch das,« erwiderte er, auf ihren Ton eingehend. »Große Staatsgeheimnisse eines kleinen Staates. Also nur für Ihre Ohren allein bestimmt!« –

      »Ei, wie reizend! Ich habe mir immer gewünscht, Mitwisserin von Staatsgeheimnissen zu sein,« meinte sie nicht ohne ein leises Staunen, denn er hatte den letzten Satz merkwürdig ernst gesprochen, ernster, als er sonst zu reden pflegte.

      Ramo hatte inzwischen die Jalousien des Salons, wo Dolores ihren Gast empfangen hatte, emporgezogen, denn die Sonne lag nicht mehr darauf, aber er hatte die Fenster trotzdem noch geschlossen.

      »O Ramo, die Fenster auf!« rief Dolores, als er eben noch die Salonthür schloß.

      »Es ist noch zu heiß draußen, Herrin,« murmelte er in seinem leisen, wohlerzogenen Kammerdienertone und setzte noch leiser spanisch hinzu: »Man versteht unten auf der Terrasse jedes hier gesprochene Wort bei offenen Fenstern.«

      Und damit glitt er leise aus dem Salon und schloß sogar die Thür zum Turmzimmer hinter sich.

      Dolores fühlte sich entschieden intriguiert. Zwar mochte sie Angelegenheiten von Wichtigkeit auch nicht mehr im Turmzimmer besprechen, seit sie das Geheimnis des Kamins kannte, durch welches die Passage freilich abgeschnitten war, hinter dessen Wand man aber im Nordflügel jedes im Turmzimmer gesprochene Wort vernehmen konnte. Denn selbst der findige Ramo hatte nicht entdecken können, wie der Inhaber der gefundenen Fußspuren in dieses Zimmer hinein gelangt war. Aber Ramo kannte auch die unausgesprochenen Wünsche seiner Herrin – er wußte, daß das Turmzimmer ihr nicht